Der Unterschied zwischen Dauerleistung und Spitzenleistung war lange Zeit nur für wenige Turbo-Konstruktionen relevant. Bei den E-Autos betrifft er aber alle.
- Die Dauerleistung
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- Spannung: Leistung wird versteckt
- Wichtigster Punkt: Thermik
- Keine Regeln
- Auslegungen und Werbung
- Lesen Sie mehr zu Elektroautos
(Bild: Mercedes-Benz)
Elektroautos trumpfen mit üppigeren Leistungs- und Drehmomentwerten auf als vergleichbare Verbrenner. Das liegt daran, dass es vergleichsweise einfach ist, kurzzeitig höhere Leistungen abzurufen, als die Maschine dauerhaft schafft. In der Zulassungsbescheinigung Teil 1 (“Fahrzeugschein”) stehen daher deutlich kleinere Werte als im Herstellerprospekt. Wir sprachen mit Mercedes-Benz über die rechtlichen Vorgaben, die technischen Realitäten und die Vermarktungseigenschaften krasser Spitzenleistungswerte.
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Die Dauerleistung
Die in den Papieren angeführte Dauerleistung ist der Wert, der tatsächlich genormt ist. Die Dauerleistung wurde einmal definiert als der Wert, den der Antrieb über 30 Minuten durchschnittlich liefern kann. Angesichts des Niveaus der Technik würde man das heute wahrscheinlich anders definieren, aber es spricht gleichzeitig wenig dagegen, diesen Wert weiterzuverwenden. Benzin- oder Dieselmotoren schaffen bei guter Kühlung so hohe Dauerleistungen, dass Dauer- und Spitzenleistung meistens gleichauf liegen. Es gibt nur selten Antriebe, bei denen kurzzeitig zum Beispiel der Ladedruck des Abgasturboladers erhöht wird für einen kleinen Leistungs-Kick, der nennenswert über der Dauerleistung liegt.
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Spannung: Leistung wird versteckt
Die Leistung der Batterie hängt auch an der Spannung. Bei niedrigerem Akkustand in Prozent (State of Charge, SoC) liegt die Spannung niedriger. Damit sinkt die maximale Leistung, die der Speicher an den Umrichter liefert, und damit wiederum kann auch die Dauerleistung sinken. Die Autohersteller dürfen allerdings ihre Homologations-Prüfstandsläufe mit fixen SoC- und damit Spannungs-Werten fahren, sodass es durchaus sein kann, dass ein Auto real eine geringere Dauerleistung liefert, als im Schein steht.
Mit der Energieentnahme sinkt die Spannung des Akkus. Damit sinkt auch seine maximale Leistung. Diesen Umstand verstecken Autohersteller in der Antriebssteuerung.
(Bild: Clemens Gleich)
Manche Autofahrer werden sich hier wundern, weil sie nicht bemerkt haben, dass der Akkustand sich auf die Leistung auswirkt. Das liegt daran, dass die Autohersteller dieses Verhalten verstecken, um die Leistungsabgabe vorhersagbarer und gleichmäßiger zu gestalten. Die Kehrseite: So eine Steuerung muss zwangsläufig die maximal mögliche Spitzenleistung bei hohem Akkustand kappen. Wer wissen will, wie sich Batterieleistung recht roh durchgereicht anfühlt, muss ferngesteuerte Modellautos oder ein Motorrad von Zero fahren. Bei Zero fällt schon bei 60 Prozent SoC ein deutlicher Leistungsverlust auf, unter 30 Prozent wird es angesichts der Superbike-Beschleunigung mit vollem Akku enttäuschend. Das würden Autokäufer so nicht akzeptieren.
Anzeige Zero SR/S: Von “Woah, wie ein Superbike!” bei >90 % SoC über merkliches Nachlassen auf Naked-Bike-Niveau in der Gegend 60 % bis hin zu “die kleine 690 Duke beschleunigt besser” bei 30 % SoC. Würden Autofahrer so wahrscheinlich nicht akzeptieren.
Wichtigster Punkt: Thermik
Mercedes-Benz wird in der nächsten Generation PSM verbauen, bei denen der Anteil Seltener Erden bei “nahezu Null” liegt. Eine verbesserte Kühlung macht das möglich. Nun besteht ein E-Motor jedoch aus Metall mit relevanter thermischer Masse. Eine kurzzeitige Wärmespitze aus Überlast kann sich also noch gut in den höchstbelasteten Bauteilen aufbauen, in der Motormasse verteilen und nach Abschalten der Überlast über das Kühlsystem aus dem Motor verschwinden.
Der aktuelle Motor des Mercedes-Benz EQS enthält Seltene Erden, die den Rotor temperaturfester und das Magnetfeld stärker machen. In der nächsten Generation will der Hersteller die Seltenen Erden auf “nahezu Null” herunterfahren und stattdessen die Kühlung verbessern.
Schwieriger sieht es im Umrichter aus. Dort fließen oft mehrere hundert Ampere Strom durch eine vergleichsweise geringe Halbleitermasse. Eine Überlast hier hat also weniger Spielraum als im Motor, ihre Hitze muss viel schneller ans Kühlsystem abgeführt werden. Der Inverter, seine Kosten, seine Kühlung und sein Bauraum begrenzen also üblicherweise zuerst die verfügbare Leistung. Um die Bauteile unter allen klimatischen Bedingungen zu schützen, überwachen Sensoren und darauf aufbauende Software-Modelle ihre Temperatur.
Umrichter am EQS-Modell. Gut erkennbar unten der Wärmetauscher mit den Metallnoppen, der Abwärme an die Kühlflüssigkeit abgibt. Achtung, Vorserie: Der Serien-Umrichter hat einen anderen Deckel mit zusätzlicher Schalldämmung.
Keine Regeln
Es existieren keine Regeln dazu, wie Autohersteller ihre “Boost-Leistung”, “Peak-Leistung”, “Overboost-Leistung” oder “Spitzenleistung” angeben. Die Prospektangaben sind nur ans Wettbewerbsrecht gebunden, dürfen also keine komplett erfundenen Werte zur Werbung enthalten. Aus den bisherigen Punkten ist bereits ersichtlich: Ganz kurz ganz hohe Leistung geht schon. Das bringt dann auch entsprechend gute Werte für den Prospekt. In der Praxis bedeuten die Spitzenleistungswerte aber unterschiedlich viel. Es geht hauptsächlich darum, wie lange die Dauerleistung anliegen darf und wie oft hintereinander in welchen Zeitabständen man sie abrufen kann.
Harley-Davidson Livewire, heißt heute Livewire One. Technisch bis auf Software-Updates gleich geblieben, schafft es der Antrieb nur einige Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit zu halten. Dann fällt das Motorrad um einige km/h ab. Dann kühlt der Umrichter ab. Dann geht es wieder nach vorn. Und so weiter.
Auslegungen und Werbung
Es gibt andere Auslegungen als bei Mercedes, bei denen die Spitzenleistung oft nur einige Sekunden anliegt. Manchmal ist das so kurz, dass es sich schon in der Diskrepanz “Spitzenleistung zu Gewicht zu Beschleunigung” in den Werten verrät. Es kann aber auch sein, dass die Auslegung des Fahrzeugs sportlicher gedacht ist. Auf Rennstrecken oder am Bergpass sind auch 10 s Höchstleistung interessant, wenn ich sie nach jeder Kurve abrufen kann. Deshalb weicht Mercedes für manche AMG-Sportmodelle mit Traktionsbatterie von der normalen Hauslinie ab und nennt 10 statt 30 s verfügbare Spitzenleistung. Solange in den Angaben zur Spitzenleistung die Zeit steht, die sie zur Verfügung steht, kann sich der Kunde ein Bild davon machen – zumindest für seltene Beschleunigungen.
Kühlschematik des Porsche Taycan. Die Wiederholbarkeit von Leistung hängt stark an der Leistungsfähigkeit des Kühlsystems, in die Porsche folglich einige Arbeit steckte.
(Bild: Porsche)
Der andere Faktor liegt in der Wiederholbarkeit. Die Boost-Leistung baut darauf auf, dass die kurzzeitige Wärme sich verteilt und abgeführt wird. Wie schnell sie abgeführt wird, bestimmt die Leistung des Kühlsystems. Wenn das Kühlsystem angesichts der Maximalleistungsangaben schwächer ausgelegt wird, passiert es, dass wiederholtes Abrufen hoher Leistungen Wärme in den Bauteilen akkumuliert, bis die Leistung zum Bauteilschutz entsprechend reduziert werden muss (“Derating”).
Für ein Alltagsauto wäre das verschmerzbar, für ein Sportauto fatal. Da aber so wenige Leute schnell fahren, es keine Regeln dazu gibt, wie lange oder oft der Antrieb seine Spitzenleistung liefern muss, eröffnen die physikalischen Vorgaben der Werbung interessante Optionen. Deshalb können die Unterschiede zwischen angegebener Spitzenleistung und tatsächlich im Test gelieferten Beschleunigungen erstaunlich groß sein. Auch das Beschleunigungsverhalten über den Drehzahlbereich des Motors zeigt bauartbedingte Unterschiede, ganz ähnlich wie bei Verbrennungsmotoren. Es bleibt also dabei: Um eine Probefahrt kommt man kaum herum, denn Fahrgefühl lässt sich nur sehr bedingt beschreiben und hängt stets extrem am jeweiligen Fahrverhalten.
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(cgl)