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Elektroautos: Welche Chancen eine Anode aus reinem Silizium eröffnet

Siliziumanoden könnten Batterien in E-Autos stark verbessern. Sie können viel Lithium aufnehmen, doch das ist auch eine Schwäche. Welche Chancen eröffnen sich?

elektroautos: welche chancen eine anode aus reinem silizium eröffnet

Der Porsche Taycan ist zusammen mit dem Audi e-tron GT auf der gleichen Plattform (J1) das einzige Elektroauto, das derzeit keine Anode hat, die ausschließlich aus Grafit besteht. Stattdessen ist dem Grafit im einstelligen Prozentbereich Silizium beigemischt. Silizium kann viel mehr Lithium aufnehmen als Grafit und hat das Potenzial, die Ladeleistung und die Energiedichte deutlich zu verbessern.

(Bild: Porsche)

Die Revolution bleibt aus, die Evolution aber geht weiter: Traktionsbatterien in Elektroautos haben eine immer höhere Energiedichte, und die Ladeleistung steigt schrittweise an. Ein großes Potenzial für die weitere Verbesserung liegt in der Anode der Batteriezelle. Hier kommt mit wenigen Ausnahmen ausschließlich Grafit zum Einsatz. Im Porsche Taycan werden der Anode bereits fünf Prozent Silizium beigemischt. Es ist sogar möglich, Anoden aus reinem Silizium herzustellen, die in fast jeder Hinsicht große Vorteile bieten – sofern es gelingt, die bisherigen Probleme zu lösen.

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Dass nahezu alle Lithium-basierten Batteriezellen unabhängig vom Kathodenmaterial eine Grafitanode haben, hat einen simplen Grund: Grafit hat sich bewährt. Es ist chemisch schlicht Kohlenstoff. Die Lebensdauer ist hoch, und die Energiedichte ist akzeptabel. Ein industriepolitisches Risiko ist dagegen die Abhängigkeit von China, wo über 90 Prozent der weltweiten Produktionskapazitäten konzentriert sind. Außerdem braucht Grafit viel Volumen, und es ist heute der wichtigste Faktor bei der Begrenzung der Laderate. Zusätzlich begünstigt häufiges Schnellladen die Abscheidung von Lithium (englisch Lithium Plating), was die Dauerhaltbarkeit stark reduziert und zum Sicherheitsproblem werden kann.

elektroautos: welche chancen eine anode aus reinem silizium eröffnet Das Ziel ist aber nicht die Beimischung, sondern eine reine Siliziumanode. Silizium ändert beim Be- und Entladen das Volumen sehr stark. Das ist ein enormer Materialstress, der die Struktur ruiniert. Die Firma NorcSi hat ein Verfahren entwickelt, das die Struktur vorab stabilisiert: Mit der Blitzlampenausheilung wachsen Kupferdendriten ins Silizium, die es ähnlich verstärken wie Stahl den Beton. Links im Bild steht Dr. Marcel Neubert, technischer Geschäftsführer bei NorcSi.

(Bild: NorcSi)

Silizium kann viel mehr Lithium aufnehmen

Die elektrochemische Stärke von Silizium ist, dass ein Atom Silizium bis zu 3,5 Atome Lithium aufnehmen kann. Es sind aber sechs Kohlenstoffatome nötig, um ein Atom Lithium aufzunehmen. Allerdings ist Silizium schwerer als Kohlenstoff, was dieses Plus konterkariert. Der massebezogene Vorteil liegt immer noch bei etwa Faktor 10. Eine Batteriezelle mit einer reinen Siliziumanode hätte also eine ungleich höhere volumetrische Energiedichte, die Fachkreise auf über 1000 Wattstunden pro Liter taxieren, wo heute 600 Wh/l üblich sind. Auch bei der gravimetrischen Energiedichte könnte der Vorteil etwa 50 Prozent betragen, also zum Beispiel 375 statt derzeit 250 Wattstunden pro Kilogramm. Eine Traktionsbatterie mit einer Anode aus Silizium wäre also bei gleichem Energieinhalt erheblich kleiner und leichter als ein Speicher mit einer Anode aus Grafit.

elektroautos: welche chancen eine anode aus reinem silizium eröffnet Die Struktur der Kupferdendriten in der Siliziumschicht ist gut sichtbar. Die Volumenänderung beim Ladevorgang wird so minimiert. Das Verfahren ist preisgünstig, muss aber noch beweisen, dass es im Ergebnis zu einer angemessenen Dauerhaltbarkeit führt.

Materialstress durch Volumenänderung

In der Praxis ist das Problem von Silizium die sehr starke Ausdehnung und Schrumpfung beim Laden und Entladen der Batterie. Diese permanente Volumenänderung bedeutet einen enormen Materialstress und folglich Verschleiß. Bei der geringfügigen Beimischung von Silizium zu Grafit wie bei Porsche ist das kontrollierbar, aber das Ideal bei Energiedichte und Laderate kann so nicht oder nur teilweise erreicht werden. Forschung und Industrie arbeiten an unterschiedlichen Verfahren, um die Stabilität einer reinen Siliziumanode zu garantieren. Ein vielversprechendes, weil absehbar preisgünstiges und patentiertes Verfahren hat NorcSi entwickelt, eine Art untypisches Start-up aus Halle (Saale). Hier arbeiten 14 Menschen vom Laboranten bis zum Wissenschaftler.

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elektroautos: welche chancen eine anode aus reinem silizium eröffnet Anoden bestehen heute nahezu ausschließlich aus Grafit. Es ist der wichtigste begrenzende Faktor für die Ladeleistung. Außerdem sind über 90 Prozent der Produktionsstandorte in China. Eine Siliziumanode könnte problemlos in Europa gefertigt werden und würde die strategische Abhängigkeit reduzieren.

(Bild: Volkswagen)

Struktur wie Stahlbeton

NorcSi kombiniert zwei bekannte und bewährte Verfahren miteinander. Das eine ist die Rolle-zu-Rolle-Produktion. Eine Kupferträgerfolie wird mit einer dünnen Schicht aus reinem Silizium beschichtet. Anders als etwa metallisches Lithium ist Silizium problemlos handhabbar, und die derzeitige Fertigungstechnik müsste lediglich modifiziert werden. Der Clou des Verfahrens von NorcSi ist die anschließende Blitzlampenausheilung. Bei dem nur Millisekunden-langen Flash Lamp Annealing (abgekürzt FLA) bewirkt die Kurzerhitzung, dass Dendriten aus der Kupferfolie ins Silizium wachsen. Sie bilden eine mechanisch stabilisierende Struktur, ähnlich wie Stahl in Beton. Zugleich ist die Leitfähigkeit metallähnlich. Eine obere Schutzschicht, die darüber hinaus aufgebracht wird, soll die Lithiumabscheidung minimieren.

Zyklenfestigkeit noch nicht ausreichend

Diese Anode dehnt sich beim ersten Laden aus; danach soll die Volumenveränderung vergleichsweise sehr gering sein. Der Materialstress ist beherrschbar. Die zyklische Dauerhaltbarkeit liegt im Labor bereits bei 300 bis 400 Zyklen; eine Steigerung auf die Großserienanforderung soll machbar sein. In einem relativ simplen und entsprechend kostengünstigen Produktionsprozess könnte also eine reine Siliziumanode hergestellt werden. Wegen der im Vergleich zu Grafit 90 Prozent geringeren Schichtdicke ist eine sehr gute elektrische und auch thermische Leitfähigkeit vorhanden. Nicht zu vergessen: Sowohl Kupfer als auch Silizium lassen sich gut recyclen.

elektroautos: welche chancen eine anode aus reinem silizium eröffnet Die Materialkosten einer Anode pro Kilowattstunde könnten um zwei Drittel sinken, sagt NorcSi. Sicher ist, dass erheblich weniger Material gebraucht wird, um ausreichend Lithium aufzunehmen und wieder abzugeben. Die Schichtdicke von Silizium ist viel geringer als bei Grafit, was vor allem die volumetrische Energiedichte steigert.

Wettbewerb der Verfahren

Prof. Dr. Markus Hölzle vom ZSW (Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung) in Baden-Württemberg ist Materialspezialist. Er leitet den Geschäftsbereich elektrochemische Energietechnologien am ZSW und ordnet das Verfahren von NorcSi ein: “Die Methode zur Strukturbildung, zur elektrischen Anbindung und zur Eindämmung der Lithiumabscheidung ist nachvollziehbar und glaubwürdig”, so Hölzle. Aber: “Silizium lässt sich nur schwer bändigen”, erklärt Professor Hölzle, die Dauerhaltbarkeit müsste erst noch bewiesen werden. Hier gibt es Zweifel. Trotzdem würden weltweit Firmen daran arbeiten. Nicht alle aber sind auf dem Stand wie NorcSi. So hat etwa das Unternehmen Graphenex Development Inc (GDI) einen Kredit in Höhe von 20 Millionen Euro von der Europäischen Investitionsbank (EIB) bekommen. Auch GDI will eine reine Siliziumanode herstellen.

Chance für europäische Wertschöpfung

Der Rohstoff Silizium könnte nicht nur die Ladeleistung erhöhen. Zehn Minuten für den Hub von zehn auf 80 Prozent sollen realistisch umsetzbar sein. Ein vermehrter Einsatz von Silizium würde auch die Abhängigkeit von China reduzieren. Beim Verfahren von NorcSi zum Beispiel ist low grade statt hochreinem Silizium ausreichend, was wiederum die Kosten reduziert und die Lieferketten unkompliziert macht. Der nächste Autohersteller nach Porsche und Audi (Taycan und e-tron GT), der eine Anode mit einer Siliziumbeimischung angekündigt hat, ist Mercedes: Der kommende CLA, der als Studie auf der IAA in München gezeigt wurde, wird diese Zellchemie ab 2025 verwenden. Im Zusammenspiel mit der 800-Volt-Plattform dürfen die Käufer sich also auf einen potenziell kurzen Ladestopp freuen.

Sollte sich eine Anode mit reinem Silizium für den Serieneinsatz optimieren lassen, wäre das ein erheblicher Fortschritt für die Traktionsbatterie im Elektroauto. Bei den Eigenschaften hat diese Zellchemie das Potenzial, nahe an die Werte von echten Festkörperbatterien mit metallischer Lithiumanode zu kommen, aber ohne die Schwierigkeiten bei deren Handhabung und Kosten. Einfachheit und Bezahlbarkeit sind längst wesentliche Faktoren für die Verbreitung einer Zellchemie. Dass nebenbei die strategische Abhängigkeit von China sinken würde und die Wertschöpfung in Europa stattfinden könnte, kommt dazu.

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(mfz)

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