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630 E-Kilometer mit 557 PS - Fisker Ocean

Erdacht in Kalifornien, entwickelt und gebaut in Österreich – wir dürfen exklusiv mit einem Prototyp des Fisker Ocean fahren.

630 e-kilometer mit 557 ps - fisker ocean

630 E-Kilometer mit 557 PS – Fisker Ocean

Ausgerechnet heute legt der warme Herbst eine Pause ein. Hätte so schön sein können. Einfach per Zentraltaste alle Scheiben (ja, alle – außer der Windschutzscheibe natürlich) des Fisker Ocean versenken, die Sonne liefert ein paar zusätzliche Kilometer Reichweite über das Solardach, und dann entspannt mit dem Elektro-SUV erst ein wenig durch Graz cruisen. Danach womöglich gen Süden der Mur entlang bis nach Slowenien. Oder gen Westen Richtung Burgenland, Stinatz, Sinabelkrichen, Fürstenfeld (Haben Sie jetzt einen Ohrwurm? Gern geschehen). Na, jedenfalls ist es kalt – und der Prototyp darf eh das Magan-Werksgelände nicht verlassen. Dort läuft der Ocean künftig vom Band, gemeinsam mit BMW Fünfer Limousine, Z4 und Toyota Supra.

Das ist mindestens so überraschend wie der Fisker selbst. Der stürmt ungeachtet seines auf 2,1 Tonnen geschätzten Leergewichts ansatzlos davon, denn dieses Exemplar treiben zwei E-Motoren an, die zusammen 410 kW Leistung generieren. “Der Ocean soll besonders, alltagstauglich und sportlich zugleich sein”, sagt Firmenchef Henrik Fisker über die wichtigsten Eigenschaften seines ersten Großserienfahrzeugs. Zugegeben, die Technik entwickelte das amerikanische Start-Up-Unternehmen in sehr enger Zusammenarbeit mit den Profis von Magna, die obendrein Entwicklungs- und Produktionskompetenz bereitstellen.

Hyper, hyper!

Jedenfalls überrascht der Ocean auf den ersten Metern vor allem mit einer engagiert auf Bodenunebenheiten ansprechenden Feder-Dämpfer-Kombination, was in Anbetracht der montierten 22-Zoll-Räder nicht zu erwarten war. Da die von Bridgestone entwickelten Reifen über eine vergleichsweise hohe 45er-Flanke verfügen, passt der erste Komforteindruck. Adaptive Dämpfer? Sind nicht vorgesehen. Von daher beeinflussen die unterschiedlichen Fahrmodi Earth, Fun und Hyper den Antrieb und die Lenkung. Doch was ist das? Beim erneuten Beschleunigen wirkt es beinahe so, als müsse sich der Ocean erst aus einem Turboloch hangeln, bevor er richtig loslegt. Das sei dem Prototypen-Status geschuldet, sagt Burkhard Huhnke, Chefentwickler bei Fisker, früher in VW-Diensten. Tatsächlich ist davon im Hyper-Modus nichts mehr zu spüren, der Ocean stemmt sich kräftig aus dem Block erreicht schnell das Ende der Geraden, will zusammengebremst werden.

Das Pedalgefühl der Bremse? Okay, nicht mehr, nicht weniger. Ein etwas zu langer Totweg im Pedal stört noch, der bei längst in Produktion befindlichen Modellen anderer Hersteller aber bedeutend dramatischer ausfällt (Grüße nach Sindelfingen). Man wolle hier noch mit dem Abstand zwischen Belag und Scheiben experimentieren, womöglich ist der noch etwas zu groß, schließlich sei minimale Reibung in allen Komponenten eines der wichtigsten Entwicklungsziele, erklärt Huhnke. Daher trennt eine Kupplung bei geringer Leistungsabfrage den vorderen Motor vom Antrieb, auch um maximale Reichweite zu erzielen. Welche Akkugröße dafür erforderlich ist? Dazu schweigt Fisker noch. Schätzungsweise benötigt das Basismodell einen rund 70 KWh großen Akku, die stärkeren Variante knapp über 100 kWh. Als Einstieg in die Baureihe dient der Sport mit 205 kW und einer Reichweite von 440 Kilometern (0-100 km/h in 7,4 s; alles Werksangaben). Dann folgt der Ultra mit 400 kW, der 610 km weit kommen soll und laut Fisker in 4,2 Sekunden von null auf 100 km/h beschleunigt. Darüber sortiert sich der 410 kW starke Ultra ein, dessen Reichweite laut Hersteller 630 km beträgt und der aus dem Stand in 3,9 Sekunden 100 km/h erreichen soll. Das Besondere: Der kleinere Akku des Basismodells nutzt Lithium-Eisen-Phosphat-Zellen, aus Kostengründen. Im Topmodell stecken NMC-Zellen. Aus der Ladeleistung wiederum macht Fisker noch ein Geheimnis.

Attraktiver Grundpreis

Stichwort Kosten: Ab 41.560 Euro geht’s los, für einen 4,77 Meter langen SUV, immerhin. Fisker betont gerne, dass das vorwiegend deshalb möglich ist, weil man auf ein eigenes Händlernetz verzichtet. “Ansonsten wäre das Auto sicher 10.000 oder gar 15.000 Euro teurer”, erklärt er. Der Vertrieb erfolgt online, Probefahrten können bei einem Auslieferungszentrum absolviert werden, von denen das erste in der Nähe von München entsteht. Mehr als 50 solcher Zentren soll es aber nicht geben – weltweit. Kleinere Service-Arbeiten will Fisker über rund 2.000 Bridgestone-Partnerbetriebe durchführen lassen, größere Reparaturen können in den Zentren erledigt werden. In jedem Fall sorgt der Hersteller für den Hin- und Rücktransport des Fahrzeugs.

Am Prototypen gäbe es viel zu tun für die Mechaniker, natürlich. Derzeit testet der Hersteller parallel in Graz, Papenburg, und Barcelona, mit der finalen Abstimmung der Regelsysteme beschäftigt sich unterdessen Bosch Engineering nahe Heilbronn. Die Stabilitätskontrolle dürfte dem Ocean tatsächlich noch etwas mehr Freiheiten zugestehen, arg früh wehrt sie sich gegen das Untersteuern. Andererseits ist das Tempo hoch, wie so oft bei einem Elektro-Wagen, registrierst du es hinterm Lenkrad nicht so wirklich, zumal der Ocean den Eindruck erweckt, mit reichlich Dämmung unterwegs zu sein. Unter anderem kommt im Vorderwagen ein Hilfsrahmen zum Einsatz, um Fahrwerksgeräusche möglichst zu eliminieren. Also das Tempo im Blick behalten, das sich gut über das Display hinter dem Lenkrad ablesen lässt. Hier bekommt der Fahrer Basis-Informationen serviert, alles andere findet sich im riesigen Zentralbildschirm.

Wichtig: Größer als Tesla

Der misst 17,1 Zoll in der Diagonale (Fisker: “Das Komma eins ist wichtig, damit wir Tesla überbieten”) und lässt sich per Tastendruck um 45 Grad ins Querformat drehen. Warum? Damit sich die Insassen während des Ladevorgangs die Zeit mit Filmen oder Spielen vertreiben kann. Lang soll das Laden aber nicht dauern, von fünf auf 80 Prozent in knapp 30 Minuten. Das ginge mittels 800 Volt-Technologie zwar schneller, doch das hätte wiederum höhere Kosten zufolge, argumentiert Fisker. Übrigens: Die Taste für den Bildschirm-Dreh ist eine echte und befindet sich zwischen anderen für die Klimabedienung. Ebenfalls echt, authentisch: Das Lenkgefühl, wenngleich nur im Earth-Modus. Sicher, ein bisschen mehr Rückmeldung täte gut, doch die Haltekräfte wirken angenehm balanciert, der Lenkwinkelaufbau erfolgt harmonisch, die Lenkbefehle setzt das Chassis ziemlich fix um.

Im Hyper-Modus wirkt die Lenkung dagegen übertrieben schwergängig. Unabhängig davon sitzt du angenehm positioniert, die Ergonomie stimmt, der Sitzkomfort ebenfalls, wenngleich es den Sitzen etwas an Oberschenkelauflage fehlt. Generell jedoch erweckt der Ocean den Eindruck, ein durchdachter SUV zu sein, eigenständig obendrein. Ja, wegen des Monitors und des California-Modus, auch wegen des Solardachs (das bis zu 3.200 km Reichweite im Jahr generieren soll, wohl aber nur in Fiskers Heimat Kalifornien). Und: Wegen des nachhaltigen Konzepts. Rund 75 Prozent aller Komponenten des Ocean kommen aus weniger als 1.000 Kilometer Entfernung zum Werk Graz, 94 Prozent aus Europa. Zudem stecken in jedem Exemplar etwa 50 Kilogramm wiederverwerteter Materialien, das sei der absolute Spitzenwert in der Branche – sagt der Hersteller. Na, bei all dieser Nachhaltigkeit, können wir ja noch eine weitere Runde auf dem Testgelände drehen, wenn auch mit weiterhin geschlossenen Scheiben.

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