Tesla: Die Preiskorrektur, die die Branche erschüttern wird
„Der Markt“ funktioniert – wenn man ihn lässt. Hohe Nachfrage und knappes Gut führt zu hohen Preisen, sinkende Nachfrage und Überangebot zu sinkenden Preisen. Das ist eine Binse. „Der Markt“ funktioniert nur dann nicht, wenn man ihn zu verbiegen versucht – Subventionen und staatliche Eingriffe sind da in der Regel Gift. Es gibt aber Ausnahmen. Subventionen sind dann gerne gesehen, wenn man den Markt in eine bestimmte Richtung führen will. Die Elektromobilität passt da bestens ins Bild, denn der bisherige Höhenflug wäre ohne staatliche „Leitplanken“ kaum in Gang gekommen. Der Dezember 2022 markierte in fast allen Ländern Europas einen vorläufigen Höhepunkt.
Das neue Jahr wird schwieriger
Wer gezwungen ist an öffentlichen Ladesäulen zu „tanken“, der bezahlt für die kWh inzwischen überwiegend Preise um 50 ct. – was bedeutet, dass 100 Kilometer (bei einem angenommen Durchschnitts-Verbrauch von 20 kWh/100 km) 10 Euro kosten. „Diesel-Dieter“ hingegen freut sich derzeit über sinkende Preise an der Zapfsäule. 6,5 Liter (100 km) kosten zwar mit 12 Euro etwas mehr, aber das Tanken dauert gerade mal 5 Minuten. Beim AC-Lader in der nächsten Seitenstraße eher 5 Stunden. Wers schneller braucht, muss einen HPC aufsuchen, dann werden jedoch beim spontanen Laden Preise von bis zu 80 ct. aufgerufen und das „Volltanken“ dauert immer noch je nach Fahrzeug mindestens 40 Minuten.
Schlechtere Rahmenbedingungen
Wir berücksichtigen hier nicht die Eigenheimbesitzer und Early Adopter, die womöglich noch mit günstigem Solarstrom ihre Audis, Daimlers, Teslas und Porsches für gerade mal 4-5 Euro pro 100 km aufladen können. Wir reden von denjenigen, die zukünftig das Geschäft mit den Stromern treiben sollen. Den Ottonormaverbrauchern. Da sitzt das Geld natürlich weniger locker. 50.000 Euro und mehr für einen Stromer mit einer akzeptablen Reichweite? Schwierig. Und die günstigen Stromer sind eher für die Stadt gemacht. Dann sind da noch die horrenden Unterschiede zum schnöden Verbrenner. Ein junger gebrauchter Kleinwagen mit akzeptabler Reichweite ist schon für weniger als 15.000 Euro zu haben. Für 15.000 Euro gibts aber keinen Stromer, der komfortabel über 200 Kilometer am Stück kommt – schon gar nicht im Winter.
Auftritt Tesla
Während die europäischen und klassischen OEMs noch abwarten, hat die Musk-Company reagiert und die Preise, teilweise äußerst deftig, nach unten korrigiert. Vor allem die Einstiegsvarianten der Modelle 3 und Y, die aus China stammen, wurden zwischen 12 und fast 17% günstiger. Für 43.990 Euro bekommt man nun ein Model 3 mit LFP-Batterie. Zieht man noch die 4.500 Euro staatliche Subvention ab, kostet der Wagen sogar knapp unter 40.000 Euro. Ein echter Kampfpreis, denn der wiederaufgelegte VW e-UP!, im Vergleich dazu eine fahrende Hutschachtel, kostet derzeit 29.995 Euro vor Subventionen. Der kleinste ID.3 kostet (mit einer grottenschlechten Software und Gartenstuhlausstattung) genau so viel, wie das kleine Model 3, 43.995 Euro.
Tesla treibt den Markt vor sich her
Was bedeutet das für 2023?
Zunächst einmal werden viele ihre Bestellungen anderer Marken überdenken – oder gar stornieren. Das Preis-/Leistungsverhältnis beim Wettbewerb stimmt einfach nicht mehr. Selbst die „kleinsten“ Teslas warten mit Sicherheits-, Verbrauchs- und Leistungswerten auf, die der Wettbewerb für diese Preise derzeit schlicht nicht liefern kann. Ein VW ID.4 GTX beispielsweise beginnt bei 53.255 Euro, dafür gibts bereits ein voll ausgestattetes Model Y LR für nur knapp 1.500 Euro mehr.
No reason to have 3 @VW ID.4 reservations now that the market has shifted – cancelled all 3 pic.twitter.com/xdfO4n8Otx
— Branden Flasch (@brandenflasch) January 15, 2023
Die deutschen OEMs werden im Midpreis-Segment reagieren müssen – und das schnell. Das Oberklasse- und Luxussegment wird kaum von der neuen Preispolitik berührt werden. Mit Ausnahmen. BMWs i4 oder Mercedes-Benz EQA/EQB sind direkt betroffen, genauso wie der Smart #1 und andere. Die Stellantis-Stromer hingegen und auch die Koreaner dürften zunächst mit Preisnachlässen reagieren, und sich schließlich ebenfalls auf einem niedrigeren Niveau einpendeln. Die Produktmanager in den Firmenzentralen haben es also nicht gerade leicht in diesen ersten Wochen des neuen Jahres. Gerade mit einer konkurrenzfähigen Preisgestaltung werden sie sich äußerst hart tun.
Fazit
Eines ist aber sicher: Der Verkäufermarkt von 2022 hat sich schlagartig in einen Käufermarkt verändert. Die Preisgefüge sind durcheinander und Tesla wird die Marktpreise in den nächsten Monaten nachhaltig diktieren. Was uns zu der Frage bringt: Können die Amerikaner sich das leisten? Vermutlich ja. Denn die Rendite pro Elektro-Fahrzeug ist bei der Musk-Company schon länger weit besser als bei den klassischen Herstellern. Vor allem die hohe vertikale Integration der Amerikaner hilft hier. Da ist ein vorübergehender Verzicht zugunsten der Marktanteile verschmerzbar. Trotzdem droht Tesla (aber auch den klassischen OEMs) weiter eine noch größere Gefahr. Und die geht von China aus. Denn auch hier lassen die Gestehungskosten vehemente Preisreduktionen zu. Ob MG, NIO oder BYD. Sie alle werden ebenfalls – vermutlich schneller als die Europäer – auf den eingeläuteten Preiskampf reagieren.
Text: Bernd Maier-Leppla
Fotos: Tesla, Hyundai, Mercedes-Benz, BMW, VW