Stellantis-Chef Carlos Tavares
Stellantis, Europas zweitgrößter Volumenhersteller mit Marken wie Peugeot, Opel und Fiat, gilt als Gegenbeispiel zum trägen Tanker in Wolfsburg, dessen Stammmarke VW auch wegen des Einflusses von Politik und Betriebsrat mühsam auf den Wandel in der Autoindustrie reagiert.
Tavares hat Stellantis, wo er Herr über insgesamt 14 Automarken ist, darunter auch Jeep, Chrysler, Dodge und RAM aus Amerika, wie PSA eine Dauertransformation verordnet. Das zeigt sich bei Opel. Rund 15.000 Mitarbeiter waren am Stammsitz der deutschen Traditionsmarke in Rüsselsheim beschäftigt, als PSA sie vor sieben Jahren in schlechter Verfassung von General Motors übernahm. Peu à peu wurden es weniger. Inzwischen gibt es noch rund 8300 Mitarbeiter auf dem inzwischen überdimensionierten Werksgelände in Rüsselsheim – mehr als dreimal weniger als zu einstigen Hochzeiten.
Im Visier der Konzernleitung
Im April haben die Geschäftsführung und die IG Metall die bestehende Beschäftigungssicherung bis Mitte 2029 verlängert. Sie gilt auch für die beiden weiteren deutschen Produktionsstandorte Kaiserslautern und Eisenach, die jeweils noch etwas mehr als 1000 Mitarbeiter zählen. Doch sie alle stehen trotz verbesserter Wettbewerbsfähigkeit unter fortlaufender Beobachtung der Konzernleitung. Als die Zahlen in der Energiekrise nicht stimmten, reiste Tavares wiederholt nach Rüsselsheim und sprach Klartext. Am Ende wurde die Werksleitung ausgetauscht. Zuletzt stimmten die Zahlen.
Tavares hat sich bei der Standortwahl wiederholt gegen eine Einflussnahme aus der Politik gewehrt. Er entgegnete auf den Druck aus Paris öffentlich, dass man einen Kleinwagen wie den vollelektrischen Peugeot 208 in einem Hochlohnland wie Frankreich nicht rentabel bauen könne. In Rom wittert man dennoch einen latenten Einfluss von Frankreich auf Stellantis, zumal die staatliche Förderbank Bpifrance einen kleinen Kapitalanteil hält. Der Konzernsitz befindet sich zwar in Amsterdam, große Teile der Geschäftsführung sitzen aber nach wie vor in der alten PSA-Zentrale bei Paris.
Wie kein anderer Volumenhersteller
Über Tavares’ Elektrifizierungskurs ist man in Frankreich zumindest nicht unglücklich. Die Antriebswende wird dort auch als Chance gesehen, die Wettbewerbsposition gegenüber der jahrzehntelang dominierenden deutschen Konkurrenz zu verbessern, und der Stellantis-Chef prescht hier vor wie kein anderer Volumenhersteller.
Wie schnell sich der Wind dreht
Ein Konzernsprecher erklärte diese Woche, dass man an dem ambitionierten Ziel für 2030 weiter festhalte. Dabei sind Analysten und Investoren seit einigen Monaten zunehmend unruhig. War der Aktienkurs von Stellantis voriges Jahr mit einem Plus von knapp 60 Prozent noch der Hit an der Börse, hat er sich seit seinem Allzeithoch Ende März nahezu halbiert.
Der Börsenwert ist wieder unter den von Volkswagen gefallen, während Branchenprimus Toyota ohnehin in anderen Sphären unterwegs ist. Mit rund 52 Prozent rät in einer Umfrage des Finanzdiensts Bloomberg aktuell nur eine leichte Mehrheit der Analysten zum Kauf der Stellantis-Aktie. Bei Volkswagen sind es 62 Prozent, bei Toyota 70 Prozent.
Sorgen bereitet das Nordamerikageschäft, wo Jeep, Chrysler & Co. zuletzt Marktanteile verloren haben und die Wirtschaftlichkeit mehrerer Fabriken auf dem Prüfstand steht. Vor allem aber werden die Zweifel größer, ob sich der Konzern gerade mit seinem hohen Anteil an günstigen Kleinwagen in dem verschärften Wettbewerbsumfeld mit chinesischen Herstellern behaupten kann. In dieser Hinsicht eint Stellantis und Volkswagen also mehr, als sie trennt.
Die jüngsten Geschäftszahlen zeigen, wie schnell sich der Wind am Automarkt dreht. Erreichte Stellantis im ersten Halbjahr 2023 mit 14,4 Prozent eine Umsatzrendite wie sonst nur Premiumhersteller, fiel sie im ersten Halbjahr dieses Jahres auf 10 Prozent – die Unterkante dessen, was Tavares der Börse versprochen hat. Der Reingewinn sank um 48 Prozent auf knapp 5,6 Milliarden Euro. Der Stellantis-Chef wurde im August 66 Jahre alt und hat noch einen Vertrag bis Anfang 2026.