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Krise bei Volkswagen: Ein hochpolitischer Sanierungsfall

krise bei volkswagen: ein hochpolitischer sanierungsfall

Die Lage ist ernst: Im Juli wird das VW-Logo am „Telemoritz“ in Hannover demontiert.

Erst vor wenigen Wochen rückte mitten in Hannover ein riesiger Kran an. Das Ungetüm streckte seinen gelben Arm mehr als 100 Meter zum Fernsehturm hinauf und holte die großen Volkswagen-Logos herab. Die Leuchtreklame auf dem sogenannten Telemoritz war über Jahre für viele Reisende, die am Hauptbahnhof Hannover aus- oder umstiegen, das Erste, was sie von der Stadt sahen. Und sie waren wohl auch eine kleine Machtdemonstration des Konzerns in der Landeshauptstadt: Volkswagen ist nicht nur Wolfsburg. Volkswagen ist Niedersachsen.

Anfang des Jahres reichte VW jedoch ei­ne Abrissanzeige für den „Telemoritz“ ein. Die Nachricht traf die Stadt ins Mark. Eine Initiative bildete sich, der Oberbürgermeister schaltete sich ein, und der Turm wurde eilig unter Denkmalschutz gestellt. Warnzeichen hatte es allerdings schon zuvor gegeben: Vor vier Jahren löste sich in siebzig Meter Höhe ein backsteingroßer Betonbrocken aus dem 1958 errichteten, technologisch längst überflüssig gewordenen Funkturm und verfehlte zwei Fußgänger nur knapp. Die architektonische Ikone der Stadt war zum Sanierungsfall geworden. Und VW als Eigentümer ist nicht mehr gewillt, ihn zu erhalten.

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Noch mit VW-Logo: Der „Telemoritz“ im Februar

In seinen fetten Jahren hätte der Konzern vermutlich gesagt: Hey, kein Pro­blem, wir übernehmen das, die 60.000 Euro für Pumpe und Heizung in Martin Winterkorns Dienstvilla hatten wir damals schließlich auch bezahlt, damit die Koi-Karpfen im Teich nicht frieren. Doch diese Zeiten sind vorbei. Seit das VW-Management am Montag angekündigte, Entlassungen und die Schließung ganzer Werke zu erwägen, weiß jeder in Niedersachsen, wie ernst die Lage im Konzern ist. Denn Werksschließungen hat es bei VW in Deutschland noch nie gegeben.

Mancherorts geht schon die Angst um

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Kämpferisch: Betriebsratschefin Daniela Cavallo

Doch ähnlich wie beim „Telemoritz“ mehrten sich schon seit einiger Zeit die Warnzeichen. Im Juni teilte der Konzern mit, dass die VW-Manager keinen Porsche mehr als Dienstwagen bestellen dürfen (außer natürlich, sie gehören dem Konzernvorstand an). Und ein Kommunalpolitiker aus dem weiteren Einzugsbereich von Wolfsburg berichtete vor knapp einem Jahr, dass in manchen Ortschaften schon die Angst umgehe.

Arbeiter, die bei VW am Band stehen, hätten sich in diesen Ortschaften großzügige Einfamilienhäuser mit Carport, Solarpaneelen und Trampolin im Garten hingestellt. Solche Häuser kosten auch in dieser relativ dünn besiedelten Landschaft mehr als eine halbe Million Euro. Mit der Finanzierung ha­be es dennoch geklappt, weil die Zinsen niedrig lagen, man dank des groß­zügigen VW-Haustarifvertrags selbst am Band ordentlich verdient und die Bank auch die üppigen Schichtzuschläge mitberücksichtigte. Dann jedoch stiegen nicht nur die Zinsen. Der Konzern begann auch, teure Nachtschichten zu streichen, denn die Auslastung deutscher Werke ist teils lächerlich gering.

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Symbol der Wirtschaftswunderjahre: der Golf

Schlusslicht ist Osnabrück, wo die Auslastung zuletzt nur auf 18 Prozent beziffert wurde. Das Werk mit seinen 2500 Beschäftigten verfügt über kein ei­genes Modell, es gilt als „Überlaufstandort“. Die Fabrik steht auch für die enge Verflechtung des Wolfsburger Konzerns mit der Landespolitik. Der Standort gehört nämlich erst seit einigen Jahren zu VW. Zuvor produzierte dort der Hersteller Karmann für verschiedene Großkunden aus der Industrie als Auftragsfertiger. 2009 musste der Cabriohersteller jedoch Insolvenz anmelden, und VW wurde genötigt, das Werk zu übernehmen. „Das war 100 Prozent Christian Wulff“, erinnert sich einer, der damals dabei war. Der damalige Ministerpräsident stammt aus Osnabrück. Wulff sprach beim Konzernpatriarchen Ferdinand Piëch vor und regelte die Angelegenheit.

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Auslastung bei 18 Prozent: das VW-Werk in Osnabrück

Der große Einfluss des niedersäch­sischen Ministerpräsidenten beruht auf dem mit speziellen Rechten versehenen Aktienpaket des Landes. Die britischen Besatzer hatten die Anteile an VW auf den Bund und das Land übertragen. Als der Konzern 1960 zur Aktiengesellschaft wurde, behielten beide Aktienpakete, und ihr Einfluss wurde per Gesetz abge­sichert. Anders als der Bund, der seine Anteile 1988 verkaufte, hält das Land bis heute an seinem Einfluss fest. Niedersachsen besitzt 20 Prozent der stimm­berechtigten Stammaktien des Konzerns. Das Land kann damit laut VW-Gesetz weitreichende Entscheidungen auf der Hauptversammlung verhindern und zusammen mit den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat Standortbeschlüsse blockieren.

Die Landesregierung entsendet zwei Vertreter in den Aufsichtsrat. Das sind traditionell der Ministerpräsident und ein weiteres Kabinettsmitglied, meistens der Wirtschaftsminister. Der Regierungschef gehört auch dem eigentlichen Machtzen­trum des Konzerns an, dem Aufsichtsratspräsidium. Der Minister dagegen sei als einfaches Mitglied des Aufsichtsrats vom Informationsfluss häufiger abgeschnitten und habe wenig zu melden, heißt es. Trotzdem wird um die Besetzung großes Aufheben gemacht. Nach der vergangenen Landtagswahl fiel das zuvor CDU-geführte Wirtschaftsministerium zurück an die SPD, die Grünen als neuer Koalitionspartner wollten jedoch in Person der neuen Kultusministerin Julia Willie Hamburg unbedingt in den Aufsichtsrat. Man wolle dort E-Autos und nachhaltige Mobilität vorantreiben, hieß es damals. Kritiker hielten es für sachfremd, die Automobilexpertise aus dem Wirtschaftsministerium herauszulösen, wo man auch die Perspektive der Zulieferer kennt.

Aktuelle Krise schlimmer als Dieselskandal 2015

Entscheidend ist die Beziehung zu den Arbeitnehmervertretern. Schon die Regel zu den Standortentscheidungen im VW-Gesetz deutet an, dass es im Aufsichtsrat eine Interessenskoalition aus Politik und Gewerkschaft gibt. Anders als den Eigentümerfamilien Porsche und Piëch und dem Großaktionär Qatar geht es dem Land nicht nur um Gewinn und Dividende, sondern vor allem auch um Standorte und gut bezahlte Arbeitsplätze. Besonders ausgeprägt sind die Gemeinsamkeiten, wenn in Hannover die SPD am Ruder ist, weil der Arm der IG Metall bis tief in die Partei reicht.

In der aktuellen Krise zeichnen sich aber auch feine Interessenunterschiede ab: Während der Betriebsrat in das Horn der standortübergreifenden Solidarität stößt, stellt die Staatskanzlei klar, dass sie „in besonderem Maße die Perspektiven der niedersächsischen Standorte“ berücksichtigen wird. Sollte es hart auf hart kommen, würde man also eher den Daumen über einen der ostdeutschen Standorte senken. Bemerkenswert ist auch die wiederkehrende Formulierung, dass man „ergebnisorientierte Verhandlungen“ von „al­len Beteiligten gleichermaßen“ er­warte. Heißt übersetzt: Das Land stellt der Vorsitzenden des Konzernbetriebsrats, Daniela Cavallo, keinen Blankoscheck in ihrem Kampf um gute Löhne und sichere Jobs aus, sondern priorisiert die Über­lebensfähigkeit des Konzerns. Standortschließungen sollen zwar vermieden werden, seitens des Landes werden sie aber nicht sofort vom Tisch genommen.

Diese Linie wurde im Lauf der Woche auch weder von Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) noch von der stellvertretenden Ministerpräsidentin Hamburg infrage gestellt. Die Staatskanzlei räumte auch rasch das Missverständnis ab, dass Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) die von der IG Metall vorgeschlagene Viertagewoche wie in den Neunzigerjahren für eine geeignete Lösung halte. Die gegenwärtige Krise sei auch schlimmer als der Dieselskandal 2015. Denn Volkswagen steht gleich von drei Seiten unter Druck: Die Gewinne in China, mit denen die hohen Löhne in Deutschland jahrelang quersubventioniert wurden, sinken rapide. Und es gilt als völlig offen, wie es mit VW auf dem chinesischen Markt weitergeht, den der Konzern jahrelang beherrschte wie kein anderer Automobilhersteller. Das zweite Problem sind die hohen Personal- und Energiekosten in Deutschland. Sie belasten die Rendite, womit man gleich zum dritten Problem gelangt: VW benötigt viel Geld, um die Transformation zum autonomen und elektrischen Fahren zu bewältigen. Dafür reicht die Rendite jedoch nicht mehr.

Wer trägt die Verantwortung dafür? Der Betriebsrat, dem es nach Einschätzung ei­nes Kenners nur um „Mehr Lohn und noch mehr Lohn und noch weniger Arbeit“ ging? Das Management von Volkswagen, in dessen Preislisten weite Teile des Volkes inzwischen vergeblich nach erschwing­lichen Fahrzeugen blättern? Oder die Po­litik? Die Landespolitik hatte jahrelange keine Einwände geäußert gegen das Klumpenrisiko in China. Auch die Strategie des früheren Vorstandschefs Herbert Diess, jetzt ganz rasch Elektroautos mit eigenständig entwickelter Software zu bauen, fügte sich nahtlos in die politische Erzählung von SPD und Grünen in Hannover. In Niedersachsen deutet man aber auch zornig nach Berlin. In kaum einem Gespräch fällt nicht die Formulierung „Raus aus den Kartoffeln, rein in die Kartoffeln“ mit Blick auf die Kürzung der Prämien für Elektroautos durch Robert Habeck. Nun legt der Bundeswirtschaftsminister ei­ne Förderung für teure E-Dienstwagen auf, die wie maßgeschnitten für die deutschen Hersteller wirkt.

Verfechter einer rein batterieelektrischen Zukunft wie Habeck geraten allerdings zunehmend ins Hintertreffen. Immer lauter erschallt aus Industrie, FDP und Union der Ruf nach „Technologie­offenheit“, hinter der sich vor allem das Festhalten am Verbrennungsmotor verbirgt, der durch synthetische Kraftstoffe, E-Fuels, klimafreundlich werden könnten. Es ist ein Glaubenskrieg entlang der Zeitachse, in dem VW unter Diess allerdings eine gewisse Vorfestlegung getroffen hat: Anders als manche Konkurrenten baut der Konzern seine E-Autos nicht auf denselben Fertigungsstraßen wie die Verbrenner, sondern hat dafür eigene An­lagen eingerichtet. Zwickau und Emden wurden reine Elektrofabriken. Diese milliardenschweren Investitionen wurden noch vor wenigen Jahren als Garant für die Zukunft betrachtet. Weil sich die elek­trische ID-Reihe schlecht verkauft und die Fabriken nicht ausgelastet sind, wächst jedoch die Angst um die Standorte.

Betriebsratschefin Cavallo hat schon rote Linien gezogen und dem Management klargemacht, dass Werksschließungen, Massenentlassungen und Einschnitte in den Tarifverträgen mit ihr nicht zu machen sind. Vor Zehntausenden Beschäftigten bezeichnete sie den Sparkurs am vergangenen Mittwoch in Wolfsburg als „Armutszeugnis“ und „Bankrotterklärung“. Unterstützt wird sie von der Gewerkschaftszentrale der IG Metall in Frankfurt, wo VW wegen der großen Bedeutung für den Arbeitsmarkt in Deutschland stets Chefsache ist. Derzeit sitzt noch der langjährige Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, im VW-Aufsichtsrat. Seinen Posten an der Gewerkschaftsspitze hat er schon an Nachfolgerin Christiane Benner übergeben, die zum Jahreswechsel auch den Aufsichtsratssitz bei Volkswagen übernimmt.

Ihren Machtanspruch leiten die Gewerkschafter auch aus der Historie ab. Das Volkswagenwerk in Wolfsburg hatte Hitler einst mit enteignetem Gewerkschaftsvermögen bauen lassen, um dort seinen „Kraft-durch-Freude-Wagen“ zu produzieren. In den Wirtschaftswunderjahren nach dem Krieg brachte dann der Käfer den Aufschwung, später der Bulli und dann Modelle wie der Golf. Sie wurden in die ganze Welt exportiert, und dafür wurden erst in Niedersachsen, später auch in Ostdeutschland zusätzliche Fabriken gebaut, wobei die Standortentscheidungen immer hochpolitisch waren.

Wie konkret ist die Gefahr von Werksschließungen?

Jetzt versuchen die Oberbürgermeister der VW-Standorte, ihre Reihen zu schließen und Druck auf Konzern und Politik auszuüben. Nach einem Treffen am Donnerstag veröffentlichte der niedersächsische Städtetag eine Resolution, die das Management, die Bundesregierung und die Landesregierung auffordert, Werksschließungen abzuwenden. Frank Klingebiel, der Oberbürgermeister von Salz­gitter, besuchte am Donnerstag auch die aufgeheizte Betriebsversammlung im dor­tigen VW-Werk. „So einen Frontal­angriff auf die Tarifpartnerschaft und so einen Kulturwandel im Konzern habe ich noch nie erlebt“, erzählt der CDU-Poli­tiker.

Klingebiel ist dennoch zuversichtlich, dass keine Standorte geschlossen werden. Sowohl die Oberbürgermeister als auch die Betriebsräte der Werke ließen sich nicht auseinanderdividieren. Wenn das Management sich einen Standort ausgucke, werde trotzdem an den anderen protestiert. „Mit dem VW-Gesetz werden keine Standorte geschlossen, definitiv nicht“, sagte Klingebiel.

Wie realistisch die Gefahr von Werksschließungen ist, wird ganz unterschiedlich beurteilt. Manche Gesprächspartner glauben weiterhin, dass das Management bloß eine Drohkulisse aufgebaut hat, um in den anstehenden Tarifverhandlungen die Lohnforderungen der IG Metall abzu­wehren. Andere ranghohe Quellen mahnen indes, das Management beim Wort zu nehmen: Es gehe nicht nur um Löhne, sondern auch in Niedersachsen um Zehntausende Arbeitsplätze und ganze Standorte.

In Salzgitter, wo Frank Klingebiel regiert, errichtet der Konzern ge­rade sein Leitwerk für die Batte­riezellproduktion. „Das sieht aus wie eine komplett neue Stadt“, schwärmt der Oberbürgermeister, „und mit dem geplanten zweiten Block kommt dasselbe noch mal dazu.“ Klingebiel weiß auch um die Gefahr, falls Volkswagen an der Transformation der Mobilität scheitert. „Wenn das Ding schiefgeht, dann gehen hier die Lichter aus.“

Auch für das Land wären die Aus­wirkungen enorm. Niedersachsen ist aufgrund seiner sonstigen Strukturschwäche abhängiger vom Automobilbau als Bayern oder Baden-Württemberg. Laut einer aktuellen Studie von Niedersachsenmetall hängen im Schnitt der westdeutschen Länder 14 Prozent aller Industriearbeitsplätze an der Branche. In Niedersachsen sind es 22 Prozent. Und in Regionen wie Emden, Wolfsburg oder Salzgitter sähe es ohne Automobilbau anders als im Stuttgarter oder Münchener Raum düster aus. Die Kommunen hängen am Tropf der Gewerbesteuern des Konzerns. Nach dem Dieselskandal wurde in Wolfsburg die Hundesteuer erhöht, in Braunschweig wurden die Kitas wieder kostenpflichtig, und in Emden wurden die Öffnungszeiten der Museen verkürzt. „Und eine Standortregion hat sogar die Rattenbekämpfung einstellen müssen“, rief Betriebsratschefin Cavallo am Mittwoch vor den Beschäftigten in Erinnerung.

Dieses Mal könnte es noch schlimmer kommen. Denn während die Dieselkrise in eine Zeit steigender Steuereinnahmen fiel, gehen die kommunalen Haushalte ge­genwärtig wegen der schwachen Konjunktur in die Knie. Wegen der vielen Au­tomobilzulieferer im Land würde ein Kahlschlag bei VW zudem nicht nur die Werksstandorte treffen, sondern ganze Re­gionen. Viele Lieferanten klagen schon seit Jahren über eine miserable Behandlung durch den Wolfsburger Konzern. Im Mittelstand wächst die Sorge vor einer Insolvenzwelle, aber auch große Zulieferer haben zu kämpfen. So hat der in Han­nover ansässige Traditionskonzern Con­tinental wegen der Umbrüche in der Branche kürzlich die Abspaltung der Automobiltechnik angekündigt. Sie soll künftig vom Rhein-Main-Gebiet aus geführt werden, während in Hannover die Sparte für Reifen und andere Gummiprodukte bleibt, der Ursprung des Unternehmens.

VW-Krise auch schlecht für die Unis

Eine Krise bei VW wirkt sich in Niedersachsen auch auf Felder aus, auf denen man dies nicht vermuten würde: Das Land hat seine Anteile an VW in der Hannoverschen Beteiligungsgesellschaft gebündelt, der HanBG, genauso wie seine Beteiligung am Stahlkonzern Salzgitter, der ebenfalls stark von der Automobilbranche abhängt. Aufgrund der Dividendenzahlungen beider Konzerne an die HanBG fallen in der Landeshauptstadt so zusätzliche Gewerbesteuern an. Im Jahr 2010 wurde das zum Politikum: Der damalige CDU-Finanzminister Hartmut Möllring verlegte den Sitz der „HanBG“ aus der langjährigen SPD-Hochburg Hannover ins emsländische Groß Berßen, wo der Hebesatz niedriger war und überdies traditionell die CDU regiert. Nach dem SPD-Wahlsieg von 2013 holte Ministerpräsident Weil die HanBG wieder in die Landeshauptstadt zurück, wo er zuvor Oberbürgermeister war.

Noch bedeutsamer als die Gewerbesteuern sind die zusätzlichen Mittel, die über die HanBG und die Volkswagen-Stiftung an die niedersächsischen Hoch­schulen fließen. Eine Krise bei VW in Wolfsburg würde die Forschungslandschaft empfindlich treffen.

Die sehr spezielle Konstellation zwischen VW, IG Metall und dem Land Niedersachsen habe schon viele Krisen erfolgreich überstanden, heißt es derzeit von manchen Beteiligten. Soll heißen: Auch die jetzigen Turbulenzen wird VW meistern, ohne dass an dem Kern des Wolfsburger Konsenses gerührt wird, wonach Beschäftigung und Wirtschaftlichkeit gleichrangige Ziele sind und Werksschließungen ein Tabu. Die Lage ist aber anders als noch vor einigen Jahren. Den Vorhersagen vieler Fachleute zufolge wird die Nachfrage nach Neuwagen in Europa nicht mehr so schnell an die Rekorde vor der Corona-Pandemie anknüpfen. Kunden finden Elektroautos derzeit noch nicht so attraktiv wie erhofft, und in Ungarn oder der Türkei bauen die Chinesen ganze Werke, um ihren Absatz in Eu­ropa trotz neuer Schutzzölle zu vergrößern.

Der Finanzvorstand des Konzerns, Arno Antlitz, hat es mit Blick auf die Wolfsburger Stamm­marke mit dem VW-Logo so ausgedrückt: „Wir geben in der Marke seit geraumer Zeit schon mehr aus, als wir einnehmen.“ An Einschnitten führe kein Weg mehr vorbei. Getrieben durch den Markt, so scheint es, wollen die Manager in Wolfsburg jetzt Kämpfe ausfechten, die über Jahre vermieden worden sind.

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