- Ein Zwinkern zur Begrüßung
- Lidar-Technik mit Weitblick
- Minimalismus im Innenraum
- Viel Platz für Passagiere und Gepäck
- Guter Verbrauchswert
- Schnellladen bis 250 kW
- Schnappatmung beim Preis?
Volvo hat ein neues Elektro-Flaggschiff. Der EX90 bietet bis zu sieben Sitzplätze, ein hohes Maß an Sicherheit und stattliche Reichweiten. Das soll vor allem Familien überzeugen. An Geld sollte es ihnen allerdings nicht fehlen.
Volvo EX90: Schwedisch-schnörkellos eingekleidet. Hersteller
Man hat lange warten müssen auf ihn: Erstmals vorgestellt wurde der EX90 schon Ende 2022. Doch wer damals Appetit auf das neue Volvo-Flaggschiff bekam, musste diesen bis jetzt zügeln. Schuld am verschobenen Marktstart trug, wie so oft und nicht nur bei Volvo, die vertrackte Software, die erst auf vernünftig funktionierende Linie gebracht werden musste.
Ein Zwinkern zur Begrüßung
Jetzt aber ist er da, der vollelektrische große Wagen, und schindet schon beim Augenkontakt mächtig Eindruck, was durchaus wörtlich zu nehmen ist. Doch obwohl der EX90 in der Länge 5,04 Meter und in der Breite – die Außenspiegel eingerechnet – 2,11 Meter Straße beansprucht, wirkt er keineswegs erschütternd kolossal. Protziges ist Volvo ebenso zuwider wie Bling Bling, und so haben die Designer für jene nordische Klarheit gesorgt, die fast genauso auch den kleineren EX30 – unseren Test lesen Sie hier – auszeichnet. Der geschlossene Kühlergrill mit den automatischen Luftklappen, die glatten Oberflächen, die geraden Linien und wohlgestalteten Proportionen strahlen in Kombination eine ebenso ruhige wie selbstbewusste Eleganz aus, wer Understatement mag, wird den EX90 lieben und sich womöglich sogar gegengeliebt fühlen, denn das große Elektro-SUV begrüßt seinen Fahrer respektive seine Fahrerin mit einer freundlichen “Zwinkerfunktion” – die Tagfahrlichtmodule fahren kurz nach oben und legen kurz die die weiteren Scheinwerfer frei, bevor sie sich wieder schließen.
Lidar-Technik mit Weitblick
Argwöhnisch mag der Purist hingegen die kleine Hutze über der Windschutzscheibe betrachten. Muss die sein? Ja: Denn sie besitzt eine wichtige Funktion, beherbergt sie doch die Lidar-Technik, die laut Volvo “der Eckpfeiler auf dem Weg zum autonomen Fahren” ist, schon jetzt entwickelt sie einen Weitblick von bis zu 250 Metern und erkennt so frühzeitig Personen, Tiere und Objekte, bei Tag ebenso wie bei Dunkelheit.
Einen klassischen Fahrzeugschlüssel liefert Volvo nicht mit. Stattdessen entriegelt sich der EX90 mithilfe eines sogenannten “Digital Key”, der sich in einer Smartphone-App oder einem kleinen Kärtchen verbirgt. Bitte einsteigen also: Auch der Innenraum erweist sich als schnickschnackfreie Zone, schon schön, wie es Volvo gelingt, moderne Reduziertheit und skandinavisch-wohnliches Ambiente miteinander in luxuriösen Einklang zu bringen. Die ergonomisch tadellosen Sitze sind mit dem hochwertigen Lederersatz Nordico bezogen, einem Recyclingmaterial, alternativ gibt es ein feines Stöffchen namens Tailored Wool, das aus Wolle und Polyester besteht. Serienmäßig erhellt ein großflächiges Panoramadach den Lebensraum der Passagiere.
Minimalismus im Innenraum
Wie schon das Exterieur erinnert auch die Bedienwelt an den EX30, ist aber nicht so radikal entschlackt, wir haben dankbar aufgeatmet. Denn anders als der kleine Bruder hat der EX90 ein Fahrer- sowie ein Head-up-Display, und die Lautstärke des Audiosystems lässt sich über einen runden Drehregler auf der Mittelkonsole einstellen. Dennoch muss immer noch für sehr viele Bedienfunktionen der große Zentralbildschirm konsultiert werden, für die Justierung von Lenkrad und Außenspiegeln gilt das ebenso wie fürs Feintuning der Klimaanlage, die Rekuperation und sogar das Öffnen des Handschuhfachs, etwas viel Touch für unseren Geschmack, zumal sich noch etliches weitere in den Untiefen der Menüstruktur verbirgt, es würde uns nicht wundern, wenn der eine oder andere EX90-Halter niemals alle Funktionen seines Fahrzeugs kennenlernt.
Das reaktionsschnelle Infotainment arbeitet auf Android-Automotive-Basis, stellt also Features wie Google Maps zum Navigieren oder Google Assistant als hellhörige Sprachsteuerung bereit, das App-Sortiment lässt sich aus dem Play Store bestücken. Apple CarPlay funktioniert noch nicht, wird aber via Over-the-Air-Update spätestens 2025 aktiviert, auf diese Weise sollen übrigens auch das Lidar-System, der Querverkehrswarner oder die Fähigkeit zum bidirektionalen Laden perfektioniert werden.
Viel Platz für Passagiere und Gepäck
In Deutschland wird der Volvo EX90 als Fünf-, Sechs- oder Siebensitzer angeboten, dann mit dritter Sitzreihe, die unter den üblichen, ungraziösen Verwindungen des Körpers erklommen wird, zumindest Kindern aber einen ganz anständigen Sitzkomfort bietet. Im Falle des Sechs- und des Siebensitzers lassen sich die Sitze der zweiten Reihe längs verschieben. Und noch ein praktisches Detail gibt es: Aus dem Mittelsitz kann eine integrierte Sitzerhöhung für Kinder ausgeklappt werden.
Selbst bei voller Bestuhlung bringt der Kofferraum noch 324 Liter unter, wird die dritte Sitzreihe umgeklappt, tun sich 669 Liter und eine ebene Ladefläche auf, legt man auch die Sitze der zweiten Reihe flach – was ebenfalls per Knopfdruck vom Kofferraum aus machbar ist – ergeben sich bis zu 1955 Liter. Unter der Fronthaube nimmt ein 49-Liter-Frunk beispielsweise die Ladekabel entgegen.
·    Basismodell ist der EX90 Single Motor mit Hinterradantrieb sowie einer Elektromaschine, die 205 kW/270 PS leistet und 490 Newtonmeter Drehmoment produziert. Als Energiespeicher dient eine Lithium-Ionen-Batterie mit 101 kWh Nettokapazität, die gemäß WLTP 580 Kilometer Reichweite ermöglicht.
·    Der allradgetriebene EX90 Twin Motor AWD arbeitet mit zwei E-Motoren. Der vordere erbringt 173 kW kW/235 PS und 420 Newtonmeter Drehmoment, der hintere 127 kW/173 PS sowie 350 Newtonmeter Drehmoment. Die nutzbare Kapazität der Batterie beträgt 107 kWh, die Reichweite wird mit 614 Kilometern angegeben.
·    Ganz oben in der Hierarchie agiert der ebenfalls allradgetriebene EX90 Twin Motor Performance AWD. Hier stellt der vordere Elektromotor 180 kW/245 PS und 420 Newtonmeter Drehmoment bereit, beim hinteren sind es 200 kW/272 PS und 490 Newtonmeter, insgesamt ergeben sich also 380 kW/517 PS sowie mächtige 910 Newtonmeter. Akkukapazität und Reichweite entsprechen dem “einfachen” Twin Motor AWD.
Zu einer ersten Testfahrt konnten wir das Performance-Topmodell ausführen. Ja, die Leistungsabgabe ist beeindruckend, die beiden E-Motoren können den knapp 2,8 Tonnen Schweden in 4,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h treiben, abgeregelt wird – wie bei Volvo üblich – bei 180 km/h. Die schaukelfrei agile Manier, in der das XL-SUV über kurviges Geläuf sportelt, bereitet Spaß, und obwohl er sich keine Hinterachslenkung leistet, schlängelt sich der EX90 recht behände durch den Stadtverkehr. Das wahre und im Alltag viel wichtigere Freudepotenzial liegt aber woanders: In der großen Ruhe, die im Innenraum herrscht, und im erfolgreichen Bestreben des tiefenentspannten, allerdings aufpreispflichtigen Zweikammer-Luftfahrwerks, die Passagiere möglichst wenig mit Asphaltflicken und ähnlichem Ungemach zu behelligen.
Das sicherheitstechnische Equipment fällt Volvo-typisch vorbildlich aus, mit Stolz verweist man vor allem auf das Lidar-System, das von zahlreichen Kameras, Radargeräten und Kameras unterstützt wird und so eine Art Schutzschirm um das Fahrzeug spannt und auch den Innenraum einschließt. Unterstützt von Algorithmen wacht das Monitoring-System über die Konzentration des Menschen hinterm Steuer und erkennt, ob dieser womöglich abgelenkt, müde oder krank ist beziehungsweise gar unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol steht, notfalls wird das Fahrzeug kontrolliert zum Stehen gebracht. Die Zahl der elektronischen Beifahrer ist hoch, erwähnen wollen wir den “Pilot Assist”, ein Adaptivtempomat mit Abstandsautomatik, der seine Arbeit sauber und verlässlich verrichtet.
Guter Verbrauchswert
Schnellladen bis 250 kW
Der EX90 ist mit einer 400-Volt-Architektur ausgestattet, die Ladeleistung hängt von der Batteriegröße ab: Die Single-Motor-Variante mit ihrem 101-kWh-Akku “tankt” an der DC-Schnellladestation mit bis zu 235 kW, die Twin-Motor-Ausführungen verarbeiten maximal 250 kW und gelangen im Idealfall binnen einer halben Stunde von 10 auf 80 Prozent Ladestand. AC-Laden an der Wallbox oder Standardladesäule geht dreiphasig und mit lediglich 11 kW vonstatten, die Komplettladung nimmt zehn Stunden in Anspruch. Einen 22-kW-Charger gibt es leider nicht einmal gegen Aufpreis. Das ist insofern betrüblich, als man es gerade an öffentlichen Ladepunkten gern schneller hätte, schon, um Blockiergebühren zu vermeiden. Hilfreich aber: Das Infotainment arbeitet für die Langstrecke eine kompetente Ladestrategie aus.
Gebaut wird der EX90 im US-Werk Ridgeville/South Carolina, und die USA will er auch als Hauptmarkt erobern. Während das XL-SUV im deutschen Straßenbild ob seines Formats auffallen dürfte, marginalisieren sich die Dimensionen inmitten der Pick-up-Trucks des amerikanischen Verkehrsgeschehens geradezu, anders als bei uns dürften jenseits des Atlantiks weder Größe noch Gewicht für besorgte Diskussionen sorgen.
Schnappatmung beim Preis?
Beim Blick in die Preisliste werden Familienväter und -mütter tief durchatmen müssen: Schon für den fünfsitzigen EX90 Single Motor in Basis-Ausstattung “Core” werden mindestens 83.700 Euro aufgerufen, im Falle des sechs- oder siebensitzigen Twin Motor AWD sind es 91.700 Euro, und das Topmodell Twin Motor Performance AWD in höchster Ausstattungsstufe Ultra kommt auf 107.400 Euro. Um sich das leisten zu können, sollte schon eine ganze Menge “Kies” auf dem Konto liegen.
Ulla Ellmer
Volvo EX90 in Kürze:
Wann er kommt: Ist bereits bestellbar, erste Auslieferungen sollen noch 2024 erfolgen
Wen er ins Visier nimmt: Mercedes EQS SUV, BMW iX, Kia EV9
Was ihn antreibt: Den EX90 Single Motor ein Elektromotor mit 205 kW279 PS, den Twin Motor AWD je ein Elektromotor vorn und hinten (Gesamtleistung 300 kW/408 PS), den Twin Motor Performance AWD ebenfalls je ein Elektromotor vorn und hinten (Gesamtleistung 380 kW/517 PS). Batteriekapazität 101 kWh netto (Single Motor) beziehungsweise 107 kWh.
Was er kostet: Ab 83.700 Euro