Morgens um kurz nach sieben Uhr auf einem kleinen Flugplatz nahe Salinas, 20 Minuten von Monterey entfernt. Gerade startet auf dem Flugplatz mit der offizielle IATA-Kennung SNS eine der zahlreichen hier beheimateten Privatmaschinen, am benachbarten Golfplatz wird an Loch sieben von den grauhaarigen Early Birds ins leichte Rough abgeschlagen und der hier stationierte Rettungshubschrauber lässt munter seinen Rotor warmlaufen. Es sieht nach einem ganz normalen Sommermorgen an der kalifornischen Pazifikküste aus. Doch auf der Nebenstartbahn ganz im Süden des Airfields sorgt ein orangefarbener Sportwagen aus den 1970er Jahren für deutlich mehr Interesse als jeder Steigflug. Die Golfspieler glotzen sich nach dem weißherbst-farbenen Flügeltürer die Augen aus, als sie mit ihren Golfcarts herüber zum nächsten Abschlag zuckeln und die Flughafenaufsicht hat das Pick-Up-Frühstück in Blickweite der Südpiste verlegt. Doch das Autodesign mit abgefahrenen Proportionen, aufgeschlagenen Klappscheinwerfern und selbst die weit aufgeschlagenen Flügeltüren sind nicht das wirklich spektakuläre an diesem Mercedes C 111.
Noch immer bejammern Stimmen aus Historie und Neuzeit, wieso Mercedes diesen Prototypen als Nachfahren des W198er nicht hat Realität werden lassen. Die verstaubten Geschichten von Blankoschecks bei Automessen und auf den Schreibtischen der Firmenchefs werden bierlaunig gerne erzählt; verschleiern jedoch den Kern der Geschichte, dass der Mercedes C 111 ab Ende der 1960ers genau das war, was er sein sollte: ein visionärer Prototyp, der in den 1970er testen sollte, was in Sachen Aerodynamik, Antrieb und Leichtbau möglich war. Seine Karosserie besteht aus glasfaserverstärktem Kunststoff, sie ist mit der stählernen Rahmenbodenanlage vernietet und verklebt – auch das zeigt den seinen Status als rollendes Versuchslabor. Von seiner Begehrlichkeit hat der Mercedes C 111 über die Jahrzehnte nicht einen Hauch verloren – im Gegenteil. Und in einem Land wie den USA, wo er deutlich unbekannter ist als in Deutschland, geht ohnehin an jeder Ampel der Daumen nach oben, wenn es auf öffentliche Straßen geht.
2,4 Liter Hubraum – 350 PS
Den C 111 gab es bereits ab 1969 im schwäbischen Testbetrieb mit einem Wankelmotor hinter der engen Fahrgastzelle, in die sich nicht allein groß gewachsene Piloten mühsam hereinpressen müssen, wenn sich die Tür wie ein Fallbeil hinter ihnen schließt. Ein Dreh am Zündschlüssel, erster Gang unten links und dann die ersten Meter mit der knochig arbeitenden Kupplung – nahezu alles ist anders in dem Zukunftsmodell der Vergangenheit. Zunächst ist zugegeben etwas mühsam und wenig beeindruckend, denn der Wankelmotor kann nicht aus jenen 363 Nm Drehmoment schöpfen, mit denen beispielsweise der Selbstzünder auf dem Hochgeschwindigkeitskurs von Nardo glänzte. Doch nach ein paar hundert Metern und mit höherer Drehzahl sieht das Fahrgefühl schon anders aus. Der Vierscheiben-Wankelmotor fährt sich beinahe wie frühes Turboaggregat. Unten herum geht nicht viel, doch wenn die Drehzahl kommt, geht es los – und wie. Leistete der 3,5 Liter große V8-Sauger – seinerzeit das Maß vieler Dinge im Motorenbau – stattliche 147 kW / 200 PS, so sind es bei einer Drehzahl von knapp über 4.600 Touren im Wankel-C111-II bereits locker 250 trampelnde Pferde. Wer den Kreiskolbenmotor zwischen 5.000 und 7.000 Touren jubeln lässt, verliert nicht allein bei dem betörenden Klang die Sinne, sondern kann bis zu 350 PS an die Hinterachse bringen – das bedeutet: 300 km/h. Wow – schlicht wow!
Der große Durst
Einen ersten C-111-Testlauf mit Wankeltechnik gab es bereits im Jahre 1969. Der Dreischeiben-Wankel mit dreimal 600 Kubikzentimeter Kammervolumen leistete stattliche 206 kW / 280 PS. Beim weiterentwickelten C 111-II, der im Frühjahr 1970 auf dem Genfer Automobilsalon seine Premiere feierte, ist in dem Mittelmotorsportler ein Vierscheiben-Motor mit viermal 600 Kubikzentimeter Kammervolumen und 257 kW / 350 PS verbaut. Die Startbahn in Salinas rauf und wieder herunter – das macht Laune. Die Bremse ist stramm, die Lenkung zäh – doch dieses Triebwerk: der pure Wahnsinn. Doch wieso schaffte es nicht nur kein C111-II in die Serie, sondern blieb auch die Wankeltechnik auf der Strecke?
So blieben nicht nur der Mercedes C 111, sondern auch der Wankelmotor Legende – zumindest mit Stern. Insbesondere Mazda gab der drehfreudigen Antriebstechnik nicht nur in Sportwagen wie Cosmo, RX-7 oder RX-8 jedoch immer wieder eine Chance – ohne großen Erfolg.
Mercedes C 111-II Wankel / Bild: Mercedes Mercedes C 111-II Wankel / Bild: Mercedes Mercedes C 111-II Wankel / Bild: Mercedes Mercedes C 111-II Wankel / Bild: Mercedes Mercedes C 111-II Wankel / Bild: Mercedes Mercedes C 111-II Wankel / Bild: Mercedes Mercedes C 111-II Wankel / Bild: Mercedes Mercedes C 111-II Wankel / Bild: Mercedes Mercedes C 111-II Wankel / Bild: Mercedes Mercedes C 111-II Wankel / Bild: Mercedes Mercedes C 111-II Wankel / Bild: Mercedes Mercedes C 111-II Wankel / Bild: Mercedes
Von Stefan Grundhoff
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