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Mercedes eActros 600: Mit 40 Tonnen elektrisch unterwegs

mercedes eactros 600: mit 40 tonnen elektrisch unterwegs

Soll 2025 auf den Markt kommen: Rein elektrischer Mercedes eActros 600 · © Daimler Truck AG/Dirk Weyhenmeyer

Elektroautos gibt es inzwischen viele, rein elektrisch angetriebene Lkw sind dagegen noch selten. Dabei hat die Elektromobilität bei schweren Lastwagen Vorteile. Mit dem eActros 600 will Mercedes Brummi-Fahrern die Reichweitenangst nehmen. Testfahrt.

  • Insgesamt 621 kWh Akkukapazität

  • Schnellladen mit Megawatt-Charger

  • Rund 500 Kilometer Reichweite

Drei große Schritte und man sitzt in der Kabine. Kurz die Sitzpneumatik aktivieren und der Fahrer thront hoch oben über dem Verkehr. Alles wie gewohnt bei einem Lkw wie dem Mercedes-Benz Actros. Anschnallen und den Motor starten. Doch statt des üblichen Dieselbrummens hört man: fast nichts. Denn statt Diesel “tankt” dieser 40-Tonner Strom. Nur das Zischen der Kühlmittelumwälzpumpen durchdringt die Stille im Stand.

Größtmögliche Akkus für die Langstrecke

mercedes eactros 600: mit 40 tonnen elektrisch unterwegs

Zukunft des Schwerlastverkehrs? Ladestandsanzeige im Führerhaus des eActros 600 · © Fabian Hoberg

Mit dem eActros 600 stellt Mercedes-Benz Trucks einen elektrischen Lastwagen vor, der 2025 in Serie gehen soll. Rund 30 Modelle fahren schon im Versuchsbetrieb und bei einigen ausgewählten Kunden. Mit dem Baumuster 983 stellt Mercedes klar, dass es sich im Vergleich zum “normalen” Actros (Baumuster 963) um ein neues Fahrzeug handelt. Lediglich die aerodynamisch optimierte Kabine, wählbar in drei Varianten, erinnert an die Modelle mit Verbrenner. Darunter entwickelten die Ingenieure in den vergangenen Jahren alles neu. Wie die drei Akku-Packs. Die größten am Markt verfügbaren Lithium-Eisen-Phosphat-Akkus kommen ohne Kobalt aus und sitzen zwischen dem stabilen Leiterrahmen. Allerdings sind sie schwer, sehr schwer. Jeder wiegt 1500 Kilogramm und speichert 207 kWh, insgesamt 621 kWh. Im Fahrbetrieb stehen 95 Prozent zur Verfügung, rund 600 kWh.

Die Zellchemie erlaubt mehr nutzbare Kapazität und soll haltbarer als bei Lithium-Ionen-Akkus sein, die eher in Pkw verbaut werden. Aus gutem Grund: Während ein gewöhnlicher Pkw selten für eine Haltbarkeit von mehr als 300.000 Kilometer ausgelegt ist, fahren schwere Lastwagen wie der Actros locker über 1,5 Millionen Kilometer und deutlich länger als zehn Jahre. Arbeitstiere, die immer und lange funktionieren müssen.

Mit sanftem Antippen des Fahrpedals rollt der Truck los, ganz ohne zu schnaufen. Zwei E-Maschinen mit 800 Volt Spannung, einer Dauerleistung von 400 kW/544 PS und einer Spitzenleistung von 600 kW/816 PS im hinteren Teil des Leiterrahmens sorgen für Vortrieb, ein vierstufiges Getriebe wählt den optimalen und effizientesten Gang. Das Ölmodul der elektrischen Hinterachse heizt auf Wunsch die Kabine, eine Wärmepumpe ist daher nicht nötig. Die Fahrerkabine nickt beim Gangwechsel kurz ein. Die ersten Kilometer fühlen sich ein wenig unheimlich an, weil das Brummen und die Vibrationen des Dieselmotors fehlen.

Drei Fahrmodi und Rekuperation satt

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Gewichtsnachteil: Der eActros wiegt 3,5 bis 4 Tonnen mehr als der identische Verbrenner-Lkw · © Daimler Truck AG

Dafür reagiert der Lkw sanfter aufs Gaspedal und zieht bei Bedarf dennoch mächtig los. Mühelos erreicht der eActros 80 und 85 km/h und der Truck könnte sogar noch schneller fahren, wenn es nicht verboten wäre. Über den gesamten Drehzahlbereich liegt das volle Drehmoment an, Schalt- oder Zugkraftunterbrechungen spürt man am Steuer kaum. Der eActros verfügt über drei Fahrmodi: Range mit 70 Prozent Motorleistung und hoher Reichweite, Economy mit 85 Prozent und Power mit 100 Prozent Motorleistung und 90 km/h Höchstgeschwindigkeit. Mit dem mittleren Modus Economy zieht der eActros an steilen Steigungen entspannt seine Ladung hinter sich her, ohne dass bei hohen Drehzahlen Vibrationen und Lärm stören. Selbst eine Anfahrtssteigung von 18 Prozent macht dem 40-Tonner nichts aus. Kurz hinter dem Gipfel bleibt es spannend. Dort, wo sonst die Bremsenergie in Wärme oder in der Retarder genannten Motorbremse verpufft, rekuperieren die E-Maschinen und speisen Energie wieder in die Akkus zurück. Bei so viel Masse liegt der Einspeiseeffekt deutlich höher als bei einem Pkw.

Die E-Maschinen rekuperieren dann mit 400 kW im Dauerbetrieb und 600 kW in der Spitze. Nach der Fahrt über den Drackensteiner Hang auf der A8 Richtung Stuttgart füllt sich der Akku wieder um zehn Prozent. Wäre der Akku noch voll, würde ein Zusatzverbraucher die Energie in Wärme umwandeln – ein schwäbischer Ingenieurstrick.

One-Pedal-Drive auch beim Lkw

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Langlebig: Schwere Lkw legen in einem Lebenszyklus 1,5 Mio. Kilometer und mehr zurück · © Daimler Truck AG/Dirk Weyhenmeyer

Intelligente Routenplanung hilft zudem beim Energiesparen, ebenso wie das Profi-Profil. Dort regelt die Elektronik die Rekuperation automatisch, und der Fahrer kann auf unnötiges Bremsen und Beschleunigen verzichten. Manuell lassen sich fünf Rekuperationsstufen wählen, dazu gibt es One-Pedal-Drive. Mit etwas Übung steuert der Testpilot den Truck bald nur noch übers Fahrpedal und kann auf die Bremse verzichten. Das funktioniert fast so einfach wie im Pkw. Nach vier ein Viertel Stunden Fahrt sind 300 Kilometer zurückgelegt, dann kommt der erste Stau. Der Akku hat noch eine Kapazität von 53 Prozent. Bei einer Pause von 45 Minuten ließe sich der Akku an einer 400-kW-Ladesäule fast wieder komplett füllen. Die limitierende Größe bei der Reichweite sind daher nicht die Akkus, sondern der Fahrer oder die Fahrerin. Die müssen innerhalb der EU spätestens nach 4,5 Stunden eine 45-minütige Pause einlegen – und können bei passendem Stellplatz mit Ladesäule gleich ihren Truck laden. Eigentlich ideal.

Um Strom zu “tanken”, hat der eActros vier Anschlüsse, zwei auf jeder Seite. Zum bekannten CCS2-Stecker für DC mit bis zu 400 kW kommt ein Mega-Watt-Anschluss MCS hinzu – bei Serienfahrzeugen lässt sich dafür bisher allerdings nur eine Vorrüstung bestellen. Damit würden rund 30 Minuten genügen, um die großen Akkus des eActros auf bis zu 80 Prozent aufzuladen. Aber auch mit 400 kW an einer DC-Ladestation reicht die Energie für die nächsten vier Stunden Fahrt – bis Profi-Pilotinnen und -Piloten erneut Pause machen müssen.

Knackpunkt: Lade-Infrastruktur für E-Lkw

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Frage der Kapazität: Noch gibt es zu wenige Schnellladesäulen für schwere Lkw · © Daimler Truck AG

Nur, dafür müssen ausreichend Ladesäulen vorhanden sein – der bisherige Knackpunkt bei elektrischen Lastkraftwagen. Es gibt einfach zu wenige, und die Megawatt-Ladesäulen sind bislang nur Versuchsprojekte. Die meisten Schnelllader an Autobahnen sind für Pkw reserviert – Lkw können dort nicht parken. Doch die Bundesregierung plant mindestens 350 Standorte in Deutschland, mit 4200 MCS und CCS-Ladepunkten. Ein nötiger Schritt, denn die EU hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2040 die Emissionen von schweren Lastwagen um 90 Prozent zu senken. EON und MAN bauen derzeit das öffentliche Ladenetz für Elektro-Lkw aus. Bis Ende 2025 sollen rund 80 Standorte in Europa entstehen, geplant sind 400 Ladepunkte an rund 170 Standorten. In Deutschland sind 125 Standorte geplant. Daher rentiert sich der eActros in nächster Zeit eher für Fuhrunternehmen, die eine lokale Power-Ladesäule auf ihrem Betriebshof betreiben – am besten an eine eigene PV-Anlage angeschlossen. Mercedes schätzt, dass etwa 60 Prozent der Langstreckenfahrten in Europa kürzer als 500 Kilometer sind. Mit einer passenden Ladeinfrastruktur auf dem Betriebshof sowie an den Be- und Entladestellen wären damit die elektrischen Lastwagen ausreichend versorgt.

Verbrauch: Rund 88 kWh auf 100 Kilometer

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Langstrecken-Test: Zwei Mercedes eActros 600 auf dem Weg zum Nordkap · © Daimler Truck AG

Bei der rund 350 Kilometer langen Testfahrt von München nach Wörth verbrauchte der vollgeladene 40-Tonnen-Truck rund 88 kWh auf 100 Kilometer. Wenn 10 kWh einem Energie- und Heizwert von einem Liter Diesel entsprechen, würde der eActros nur rund 9 Liter auf 100 Kilometer verbrauchen. Der vergleichbare Diesel-Actros genehmigt sich auf einer Strecke mit ähnlicher Topografie zwischen 27 und 28 Liter Kraftstoff auf 100 Kilometer. Der E-Lkw hat allerdings zwei Nachteile. Der leere eActros bringt zwischen 3,5 bis 4 Tonnen mehr auf die Waage als ein Verbrenner. Doch der Gesetzgeber erlaubt statt einem zulässigen Gesamtgewicht von 40 Tonnen 42 Tonnen. Damit liegt die Payload-Differenz bei rund 1,5 Tonnen. Zudem bleibt das elektrische Vergnügen ein teures. Die elektrische Variante des Actros kostet bei Mercedes rund 2,5-mal mehr als die Version mit Dieselmotor. Die Preise für den Verbrenner-Actros beginnen je nach Ausstattung und Verhandlungsgeschick bei rund 100.000 Euro. Den Preis für den elektrischen eActros 600 hat Mercedes-Benz Trucks noch nicht genannt, er dürfte aber bei mindestens 250.000 Euro liegen.

Brennstoffzellen-Lkw als Alternative?

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Genug Power: Mit Steigungen hat der elektrische 40-Tonner kein Problem · © Daimler Truck AG/Dirk Weyhenmeyer

Allerdings kann sich je nach Aufladung und Strompreis der elektrische Lkw nach rund 600.000 Kilometern amortisieren. Dazu sind E-Lkw von der Lkw-Maut befreit. Mehrere Hersteller glauben daher an die Antriebsart. Neben Mercedes-Benz Trucks entwickeln auch MAN, Renault, DAF, Volvo und Scania elektrische Lastwagen, zum Teil mit einer ähnlich großen Reichweite. Parallel experimentieren Hersteller wie Mercedes-Benz, MAN, Hyundai, Volvo, Scania und Iveco mit Brennstoffzellen-Antrieben für Lkw. Dabei wird der Strom für den E-Antrieb aus Wasserstoff erzeugt, der in dicken Tanks mitgeführt wird. Lokal fahren auch diese Lastwagen emissionsfrei. Doch muss derzeit für die Produktion von Wasserstoff noch viel Energie verwendet werden – in der Gesamtbilanz fahren daher rein elektrisch angetriebene Lastwagen besser.

Mercedes eActros 600: Technische Daten

Text: Fabian Hoberg

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