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BYD, Polestar, Nio und Co.: Überfluten chinesische Hersteller Europa mit billigen Elektroautos?

byd, polestar, nio und co.: überfluten chinesische hersteller europa mit billigen elektroautos?

Eine Autoarmee in Reih und Glied am Hafen von Shenzhen: Mit eigenen Frachtschiffen wie der «Explorer NO. 1» bringt ;BYD seine E-Autos nach Europa. Die Ziele waren bisher Vlissingen (NL) und Bremerhaven (D). Wang Feng / Imago

Diese symbolträchtigen Szenen wollten sich einige Journalisten nicht entgehen lassen: Am 26. Februar erreichte das gigantische weisse Frachtschiff «Explorer NO. 1» am Ende seiner Jungfernfahrt von China nach Europa schliesslich Bremerhaven – kurze Zeit später rollten Tausende Elektroautos der Marke BYD von Bord. Der chinesische Konzern hat vor kurzem Tesla als grössten Elektroautohersteller der Welt abgelöst. Der erste eigene Autofrachter kann über 5000 Fahrzeuge transportieren, sieben weitere Transportschiffe sind im Bau.

Die Botschaft der Bilder ist offensichtlich: BYD und andere chinesische Konzerne beginnen damit, Europa mit billigen E-Autos zu beliefern. Müssen sich die europäischen Hersteller fürchten, während sich Kunden über neue Produkte und steigende Konkurrenz freuen können?

Bei E-Autos gilt China als der globale Leitmarkt

China ist im vergangenen Jahrzehnt zur Autoweltmacht geworden, nicht zuletzt durch den Wandel zur Elektromobilität. Das Reich der Mitte war im Jahr 2023 mit rund 26 Millionen Personenwagen und 4 Millionen Nutzfahrzeugen der mit Abstand grösste globale Automobilproduzent und löste zudem jüngst Japan als grössten Autoexporteur ab. Bei der Elektromobilität gilt China inzwischen als der globale Leitmarkt.

Im Reich der Mitte werden angeblich inzwischen doppelt so viele Autos gebaut, wie man im Inland verkaufen kann. Dadurch droht nicht nur in China selbst, sondern auch in Europa eine Rabattschlacht. In Brüssel warnte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen deshalb vor kurzem vor einer Flut von günstigen und subventionierten Elektroautos «Made in China». Zum Schutz heimischer Hersteller vor der Konkurrenz wird längst auch über höhere Zölle diskutiert.

Für chinesische Hersteller ist der Gang nach Europa, der Heimat von Volkswagen, Renault, Fiat und vielen anderen, nicht nur eine Ansage an die etablierte Konkurrenz aus der alten Autowelt, sondern auch der nächste logische Schritt. Im Visier haben sie vor allem den Massenmarkt mit den Segmenten der Unter- und Mittelklasse. Doch auch die Oberklasse, bisher primär eine Domäne der deutschen Premium-Anbieter, ist alles andere als sicher vor den neuen Wettbewerbern.

Die Chinesen waren im Zeitalter der Verbrennungsmotoren lange nicht konkurrenzfähig und haben sich deshalb auf die Elektromobilität konzentriert – mit Erfolg. Beim E-Auto profitieren sie derzeit von Wettbewerbsvorteilen. Dazu gehören die Grösse des chinesischen Marktes, der durch Skaleneffekte entsprechende Kostenvorteile bringt, sowie die Verfügbarkeit von wichtigen Komponenten, etwa Rohstoffen, Batterien und Halbleitern. Inzwischen soll es bei einigen Anbietern schon Überlegungen zu Werken in Europa geben.

Damit sich das lohnt, müssen jedoch die Verkaufszahlen steigen. Bis jetzt spiegelt sich der laufende Markteintritt nämlich noch nicht allzu stark beim Absatz. Die rund 30 verfügbaren chinesischen Marken sind in Europa (EU plus Efta-Staaten und Vereinigtes Königreich) laut dem Marktbeobachter Jato im vergangenen Jahr auf rund 320 000 Neuzulassungen gekommen. Das entspricht zwar einem Plus von knapp 80 Prozent gegenüber dem Vorjahr, doch der Marktanteil war mit 2,6 Prozent noch überschaubar. Der amerikanische Elektroautopionier Tesla kam allein auf 2,8 Prozent und rangierte damit auf Platz 16 der europäischen Verkaufsrangliste der verschiedenen Hersteller.

In Deutschland, dem grössten europäischen Automarkt, war der Reifenabdruck der Chinesen noch schmaler. Sie verkauften laut dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) knapp 38 000 Fahrzeuge. Das entsprach einem Marktanteil von 1,3 Prozent. Dabei kam allein die Marke MG Roewe mit gut 21 000 abgesetzten Fahrzeugen auf einen Anteil von 0,7 Prozent. Danach folgten Polestar, Great Wall Motor und BYD. Die bestehenden Verkaufstrends sind im ersten Quartal dieses Jahres unverändert. Der Marktanteil der Chinesen schrumpfte sogar auf 0,9 Prozent, was wohl auch an der rückläufigen Verkaufsdynamik bei den E-Autos generell lag.

Die Absatzzahlen der Hersteller aus dem Reich der Mitte sind insofern besonders interessant, als sich jene Marken am besten verkaufen, die für die Kunden nicht sofort als chinesisch zu erkennen sind, nämlich MG Roewe und Polestar. Bei MG handelt es sich um eine britische Kultmarke des vergangenen Jahrhunderts, die ihren späteren Niedergang nicht überlebte. Heutzutage steckt unter der Karosserie chinesische Technologie, denn die Marke gehört zur Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC), einem der grössten chinesischen Autokonzerne, zu dem die Marke Roewe gehört. In Deutschland verkaufte MG Roewe 2023 mehr Fahrzeuge als asiatische Importmarken wie Honda und Mitsubishi.

Ähnliches gilt für Polestar, eine noch sehr junge Marke, hinter der die schwedische Volvo Car steht, die wiederum zum chinesischen Autokonzern Geely gehört. Für Kunden klingt der Name jedoch eher westlich, weshalb viele wohl keine chinesische Technik unter der Motorhaube vermuten. Mit rund 6300 Einheiten verkaufte Polestar vergangenes Jahr immerhin mehr Autos in Deutschland als Alfa Romeo, Subaru, Lexus und Jaguar.

Die Absatzzahlen der «New Kids on the Block» aus China sind zwar noch gering, doch der Markteintritt ist auch noch in einem frühen Stadium. Immer mehr potenzielle Kunden erwärmen sich inzwischen für den Kauf eines chinesischen Autos. Laut einer Umfrage der Managementberatung Horvath-Partners konnten sich im Herbst in Europa fast 40 Prozent der Befragten den Kauf einer chinesischen Marke vorstellen, das war ein Plus von gut zehn Prozentpunkten gegenüber einer Umfrage im Frühjahr. In Deutschland sank hingegen die Kaufbereitschaft von 35 auf 27 Prozent. Die Gründe sind laut Horvath die «öffentliche Diskussion über Strom- und Ladekosten» von Elektroautos sowie «politische Aspekte».

Matchentscheidend für den Erfolg in Europa dürften vor allem die Qualität und die Sicherheit der neuen Modelle sein, denn diese lassen sich nur bedingt durch sehr günstige Preise kompensieren. Doch während Produkte von chinesischen Herstellern vor wenigen Jahren von der europäisch-amerikanischen Konkurrenz noch belächelt wurden, sprechen diese heute voller Hochachtung und Respekt über die neuen Wettbewerber. Etliche Beobachter sehen die Chinesen gegenwärtig bei der Elektromobilität mindestens auf Augenhöhe und beim Infotainment der Fahrzeuge sogar deutlich im Vorteil.

BYD, Nio und Polestar setzen auf zentrale Schauräume

Wichtig für die europäische Marktdurchdringung wird nun auch der flächendeckende Aufbau von Marke und Vertrauen, Händler- und Vertriebsnetz sowie Werkstattdienstleistungen sein. Oft agieren die neuen Anbieter mit kleinen, aber sehr zentralen Schauräumen in den Grossstädten. So sind in Frankfurt beispielsweise Nio und Polestar mit kleinen, aber publikumswirksamen Ausstellungsflächen in der Innenstadt zwischen Hauptwache und Eschenheimer Tor vertreten, und BYD ist ganz in der Nähe von Opernplatz und Fressgass domiziliert. Sie orientieren sich damit an Tesla. Der Konzern von Elon Musk agiert ebenfalls oft mit zentralen Schauräumen, wogegen zugehörige Werkstätten aufgrund der tieferen Mieten am Rand der Städte liegen.

Die neuen Wettbewerber arbeiten jedoch mit verschiedenen Vertriebskanälen. So nutzen beispielsweise Polestar und Great Wall Motor auch die grossen unabhängigen Autohaus-Gruppen, etwa Emil Frey Deutschland, um die Fahrzeuge an die Frau und den Mann zu bringen. An dieses sogenannte Car-Dealer-System sind die Kunden gewöhnt, denn es hat sich seit Jahrzehnten bewährt. Ob es auch das Vertriebsmodell der Zukunft bleibt, ist angesichts von Verkaufsplattformen im Internet mit individuellen Möglichkeiten zur Fahrzeugkonfiguration fraglich. Derzeit hilft es aber beim Markteintritt – und notfalls werden Modelle mit kräftigen Rabatten angepriesen, um die Kunden zu den neuen Marken zu locken.

Der Elektroautohersteller Xpeng aus Guangzhou mit deutscher Niederlassung in München setzt sogar nur auf den klassischen Vertrieb über das System der Vertragshändler. Die Expertise für den Verkauf liege im Handel, sagten Vertreter der Firma vor kurzem der «FAZ». Derzeit seien 12 Händler mit 24 Standorten unter Vertrag, bis 2026 sollen es 60 Händler mit 120 Standorten sein.

Interessant wird sein, wie stark chinesische Hersteller bei gewerblichen Kunden Anklang finden, die derzeit für rund 70 Prozent der Neuwagenzulassungen verantwortlich sind. Die Hälfte davon betrifft das klassische Flottengeschäft, der Rest verteilt sich auf den Handel, die Vermieter und die Hersteller selbst. Vor allem in Teilen des Flottengeschäfts spielen Image und Logo eine wichtige Rolle. Tesla hat es geschafft, eine beliebte und begehrte Marke aufzubauen. Das muss auch das Ziel der chinesischen Anbieter sein. Denn sollten sich ihre Logos im Vergleich mit jenen von Audi, BMW oder Mercedes zum Makel entwickeln, würde dies die Verkäufe in einem wichtigen Bereich des Marktes schmerzlich bremsen.

Die Experten des Kreditversicherers Allianz Trade rechnen durch den Markteintritt der chinesischen Hersteller zwar nicht mit einer neuen Konsolidierungswelle in Europa. Sie sehen aber drei andere mögliche Optionen für Effizienzgewinne. Das sei die Verdrängung kleinerer Anbieter aus dem europäischen Markt, die Entwicklung neuer horizontaler und vertikaler Industriepartnerschaften zur Bündelung von Ressourcen in kapitalintensiven Bereichen, vor allem bei der Herstellung von Batterien, sowie eine weitere Konsolidierung der Produktion auf eine geringere Anzahl von Plattformen und Fabriken für eine höhere Standardisierung.

Vorläufig gibt es aber noch etliche Vorbehalte gegen chinesische Marken. Dazu gehören Zweifel an der Qualität, das fehlende Prestige, ein zu geringes Werkstattnetz, Fragezeichen bei der Ersatzteilversorgung und schliesslich Datenschutzbedenken gegenüber chinesischen Unternehmen. Digital vernetzte Autos sind nämlich gewaltige Staubsauger von Nutzerdaten, die viele Kunden nicht in den falschen Händen wissen wollen.

Derzeit ist der Marktanteil chinesischer Marken in Europa noch gering. Doch er dürfte in den kommenden Jahren deutlich zulegen, wie einst beim Markteintritt von japanischen und koreanischen Herstellern. Dazu dürfte die Verbreitung von Elektroautos entscheidend beitragen. Allerdings bringen auch die etablierten europäischen Hersteller in den kommenden Jahren immer mehr Elektromodelle in die Schauräume. Dadurch steigt der Wettbewerb unter den Anbietern, und der Markt wird neu verteilt. Darauf können sich die Kunden freuen.

Sie können dem Frankfurter Wirtschaftskorrespondenten Michael Rasch auf den Plattformen X, Linkedin und Xing folgen.

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