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Kolumne zum Hyundai-Einstieg: Zeit für die ganz unbequeme Frage

Liebe Freunde der Langstrecke,

das Goldene Zeitalter ist längst Realität, wir stehen nun am Übergang zum Platin-Zeitalter. Wir sind Zeugen des größten Herstellerbooms, den der Motorsport je erlebt hat. Wer hätte gedacht, dass wir keine fünf Jahre nach der Magerkost mit nur fünf Hypercars in Le Mans 2022 künftig eine zweistellige Anzahl von Herstellern in der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) bewundern können?

Leider bringt der Boom nun ein Luxusproblem mit sich. Natürlich ist es immer schön, ein Luxusproblem zu haben, aber es ist dennoch ein Problem. Denn die Hypercar-Klasse ist zu erfolgreich geworden.

Für 2025 scheint die Rechnung noch aufzugehen, wenn 22 Hypercars und die bestehenden 18 LMGT3 untergebracht werden wollen. Allerdings müsste sich das Auswahlkomitee zwischen Vanwall und Isotta Fraschini entscheiden – wobei die Chancen für Colin Kolles besser stehen dürften, denn immerhin ist bei Vanwall garantiert, dass sie bei jedem Rennen in der Startaufstellung stehen.

Doch darüber hinaus wird es schwierig, denn das Interesse an der WEC ist so groß, dass der Platz nicht ausreicht. Die Kapazität des Feldes wird 2025 auf 40 Fahrzeuge erhöht, aber das reicht schon für den Hyundai/Genesis-Einstieg nicht mehr aus.

Einen Teil dieses Eis hat sich die WEC selbst eingebrockt, indem sie die Hersteller verpflichtet hat, bei allen Rennen 2025 mindestens zwei Autos an den Start zu bringen. Das hat das Luxusproblem verschärft.

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Zu Gruppe-C-Zeiten gab es keine GT-Fahrzeuge in der Sportwagen-Weltmeisterschaft

Foto: Motorsport Images

Zahltag: Aktuell sind 18 Hypercars in der WEC eingeschrieben. Hinzu kommen für 2025: zwei Aston Martin, ein zweiter Cadillac und ein zweiter Lamborghini. Ein privater Porsche wird wegfallen, weil Jota Cadillac-Werksteam wird, aber Proton auf zwei Autos aufstocken will.

Unklar ist auch, wie es mit Robert Kubica weitergeht. Der Pole deutete Ende Juli an, dass sein Verbleib im dritten Ferrari nicht in Stein gemeißelt sei. Ob der Sieg in Austin daran etwas ändert, bleibt abzuwarten. Ferrari will aber auch unabhängig davon bei drei Autos bleiben.

Mittelfristig bis zu 30 Hypercars möglich

Nimmt man Isotta Fraschinis Beteuerungen, in die WEC zurückkehren zu wollen, ernst und rechnet den dritten Ferrari ein, könnten theoretisch schon 2025 25 Hypercars in der WEC starten. 2026 kommt dann noch Hyundai mit zwei Autos hinzu.

Zudem werden die meisten Hypercars 2026 bereits mindestens drei Jahre alt sein, was den Einsatz von Kundenautos seitens der Hersteller realistischer erscheinen lässt, die sich nicht klar gegen Kundenautos positioniert haben. Und schließlich besteht immer noch die vage Möglichkeit, dass der Acura ARX-06 in die WEC kommt.

Und umgekehrt? Derzeit stehen die Zeichen nirgendwo auf Ausstieg. Lediglich Peugeot hat einmal angedeutet, dass sich die Investition langsam rechtfertigen müsse. Dank Balance of Performance könnte ein aus Performancegründen ausstiegswilliger Hersteller aber recht schnell besänftigt werden. Und bis zur Maximaleinstufung (707 PS, 1.030 Kilogramm) ist beim 9X8 noch reichlich Luft nach oben.

Unterm Strich bleibt also die Aussicht, dass mittelfristig bis zu 30 Hypercars in der WEC an den Start gehen könnten. In Le Mans sogar noch mehr. Was soll nun geschehen?

Es gibt zwei Möglichkeiten: Hypercar-Hersteller ablehnen und damit den Boom künstlich abwürgen. Denn es ist klar: Sobald auch nur ein Hersteller abgelehnt wird, wird keiner mehr ein Hypercar auf die Räder stellen wollen, wenn er nicht einmal sicher sein kann, ob er mit seinem Auto akzeptiert wird. Das gilt vor allem für kleinere Hersteller.

Und dann gäbe es die andere Möglichkeit: bei der kleineren Klasse sparen. Womit wir bei der Frage wären, die sich niemand zu stellen traut: Braucht die WEC wirklich noch eine GT-Klasse? Wäre nicht Hypercar mit ein paar LMP2 die bessere Lösung?

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Die Hypercar-Klasse allein bietet derzeit so viel Action, dass die LMGT3 häufig durch den Rost fällt

Im Englischen heißt es so schön “Elephant in the room” – ein offensichtliches Problem, das aber niemand anzusprechen wagt. Doch mit jedem neuen Hypercar-Interessenten wird das Problem größer.

Ja, die Frage ist unbequem. Sie zwickt, irgendwie gehörten doch die GT-Fahrzeuge seit 2012 immer dazu, das Management des Verkehrs durch die Prototypen ist Teil des Spektakels und in der Vergangenheit retteten sie nicht selten ein bei den Prototypen langweiliges Rennen.

Doch mittlerweile füllt die Hypercar-Klasse allein die Schlagzeilen im Rennen, sie produziert einen Blockbuster nach dem anderen, wie man es von einer BoP-Klasse erwarten kann. Für die LMGT3 bleibt da kaum noch Raum, sowohl in der TV-Übertragung als auch in den klassischen Medien.

Der LMGT3 fehlt das Alleinstellungsmerkmal

Die LMGT3-Kategorie besteht derzeit aus normalen GT3-Fahrzeugen, die mit einem Drehmomentsensor ausgerüstet sind. Dieser ist das einzige Unterscheidungsmerkmal zu anderen GT3-Serien. Zu wenig, um für den normalen Fan einen signifikanten Unterschied zu machen. Ursprünglich hatte der ACO Pläne für Langheck-Versionen der Fahrzeuge, bis die Hersteller den Franzosen über solche Pläne den Vogel zeigten.

Im Gegensatz zur GTE-Kategorie, die wirklich einen Unterschied gemacht hat (und selbst dieser war für den Gelegenheitszuschauer schwer zu verstehen, da sie sich optisch und performancetechnisch von den GT3 kaum unterschieden), haben wir hier einfach eine weitere GT3-Meisterschaft, von denen es schon so viele gibt.

Und in der GT3-Welt bildet die SRO-Landschaft alles mehr als ausreichend ab. Wer unbedingt GT3 fahren möchte, findet im Universum von Stephane Ratel mehr als genug Möglichkeiten – von der nationalen Meisterschaft bis hin zur IGTC, der die LMGT3 derzeit durchaus potentielle Kunden abwirbt. Die LMGT3-Teams könnten in der IGTC eine riesige Show liefern.

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Der GT-Sport ist das Steckenpferd der SRO

Foto: SRO

Es geht in der LMGT3 nicht einmal um einen offiziellen FIA-Weltmeistertitel (der einen echten Unterschied zu Ratels Serien hätte machen können), sondern nur um eine “Endurance Trophy”. Es ist eher eine “Ich will auch”-Klasse des ACO. Doch es ist Zeit, sich einzugestehen, dass dem ACO bei Prototypen niemand etwas vormacht, er die GT-Welt aber vielleicht der SRO überlassen sollte.

Die GT-Klasse abzuschaffen, so wurde mir bisher berichtet, war beim ACO tatsächlich nie ein Thema. An ihr festzuhalten, war letztlich eine Bequemlichkeitsentscheidung, um immer einen Garanten für volle Felder zu haben. Auch der ACO hatte nicht mit einem solchen Ansturm auf die Hypercar-Klasse gerechnet.

Zudem wollte man langjährige Stammkunden wie Paul Dalla Lana, Mike Wainwright, Christian Ried oder Ben Keating nicht vergraulen. Doch diese gingen aus unterschiedlichen Gründen von selbst – mit Ausnahme des etwas unfreiwilligen Comebacks von Ried nach dem Ausstieg von Giorgio Roda.

Der letzte GT-Amateurpilot, der wirklich seit mehr als fünf Jahren dabei ist und noch nicht in der LMP2 gefahren ist, ist Thomas Flohr. Wobei sich angesichts seines Alters von 64 Jahren die Frage stellt, wie lange er noch auf diesem Niveau fahren möchte.

Warum LMP2 die bessere Lösung wäre

Unterm Strich spricht vieles dafür, dass sich der ACO wieder auf das konzentriert, was er ausgezeichnet kann: Prototypen. Warum? Eine ganz einfache Gegenfrage: Was springt uns zuerst in den Kopf, wenn wir an WEC oder Le Mans denken? GT-Fahrzeuge werden es bei den wenigsten sein.

Mit der LMP2 wäre die WEC viel flexibler, weil man nicht zwei Autos pro Team haben müsste. Die Nachfrage nach der Klasse und der WEC wäre da. Die Fahrer sprachen sogar überwiegend von einer “Schande”, als die Klasse Ende 2023 aus der WEC verschwand.

Das Projekt Iron Dames könnte sicherlich in der LMP2 weitergeführt werden, womit auch die fragwürdige Bronze-Klassifizierung von Sarah Bovy gelöst wäre, das einzige Fragezeichen bleibt in diesem Fall tatsächlich Valentino Rossi. Er allein würde für den ACO derzeit wohl den Verbleib der LMGT3 rechtfertigen. Andererseits haben wir Rossi auch schon vergangenes Jahr beim Rookie-Test in der LMP2 gesehen.

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Die LMP2-Boliden wurden in die vergleichsweise glanzlose ELMS verbannt

Foto: Marcel Wulf

Auch die darunter liegenden Meisterschaften würden entlastet werden. Die europäische Le-Mans-Serie (ELMS) stößt mittlerweile ebenfalls auf mehr Interesse als Startplätze vorhanden sind. Nach dem WEC-Aus sind für die ELMS 2024 22 LMP2-Boliden gemeldet, die Hälfte davon könnte vom fahrerischen Potenzial her locker in der WEC starten.

Zudem wurde jungen Talente, die für Hypercar-Cockpits in Frage kommen, der direkte Draht ins WEC-Fahrerlager abgewürgt. Sie müssen jetzt in der ELMS fahren, deren Strahlkraft begrenzt ist. Die LMGT3 ist kein direktes Ausbildungsbecken für Hypercar-Piloten, sondern eher ein Paralleluniversum. Die LMP2 wäre hingegen im selben Sonnensystem wie Hypercar anzusiedeln.

Das historische Argument? Sicher, die GT-Klassen waren seit 2012 immer Teil der WEC. Das lag aber vor allem daran, dass die Prototypen-Welt im Jahr 2012 bei weitem noch nicht so breit aufgestellt war wie heute. Blicken wir stattdessen auf die Zeit, mit der die Hypercar-Ära immer wieder gerne verglichen wird: Zu Gruppe-C-Zeiten gab es ebenfalls zwei Prototypen-Klassen ohne GT-Fahrzeuge.

Selbst der Worst Case wäre abgedeckt

Bleibt die Frage: Was, wenn das Hypercar-Haus irgendwann zusammenbricht, die Hersteller sich zurückziehen und die LMP2 plötzlich nicht mehr so attraktiv sein sollte wie bisher? Zunächst einmal sei angemerkt, dass wir hier über ein sehr unwahrscheinliches Szenario reden, den absoluten worst case.

Auch dafür gäbe es einen Notfallplan: Die LMP3-Kategorie ist mittlerweile so erfolgreich, dass sie ohne Probleme in die WEC geholt werden könnte. Schon 2025 debütiert eine neue Generation, die einfacher zu fahren sein sollte. Die aktuellen Voraussetzungen für die Fahrerpaarungen unterscheiden sich nicht von der LMGT3. Wie gesagt, bis es dazu kommt, müsste schon viel passieren.

Und die IMSA? Hier ist der Fall noch einfacher. In der – auch hier goldenen – Vergangenheit sind Prototypen und GT-Fahrzeuge nur in Daytona und Sebring zusammen gefahren. Ansonsten gab es getrennte Rennen, oft am selben Ort. Vor allem auf Stadtkursen könnten die Rennen bei einer Trennung deutlich harmonischer werden als sie es jetzt sind.

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Die IMSA muss bereits regelmäßig Nennungen ablehnen

2025 schiebt die IMSA abgelehnte GTD-Teams in ihre zweite Liga, die SportsCar Challenge, ab, wo sie eine neue Spitzenklasse neben LMP3-Fahrzeugen bilden. Diesen Teams könnte man bei einer Trennung der Rennen in Prototypen und GT wieder eine Heimat in der Hauptserie bieten. Daytona und Sebring wäre dann den besten Teams aller Klassen vorbehalten.

Dass die GT-Fahrzeuge in der IMSA bereits gute eigenständige Veranstaltungen abhalten können, haben sie bereits in Virginia und in der Vergangenheit Lime Rock bewiesen. Gerade mit der GTD Pro als Spitzenklasse sind die IMSA-GT-Klassen stark genug, sich selbst zu tragen.

Sicherlich müsste der Zeitplan an einigen Wochenenden geändert werden, wenn Prototypen und GT-Klassen getrennt fahren, aber das sollte machbare Detailarbeit sein. In der IMSA ist in der GTP-Klasse derzeit noch viel Luft nach oben, und auch hier stünden LMP3-Boliden wie in der Vergangenheit als Feldfüller für den Notfall bereit, sollte das Konstrukt ins Wanken geraten.

In Sachen GT ist die SRO das Maß der Dinge in Europa, in den USA sind die GT-Klassen mittlerweile standalone-fähig. Gewiss, über Le Mans müsste man reden, das ist ein anderes Thema. Doch für WEC und IMSA ist die Zeit reif, über diesen unbequemen, aber letztlich sicher lohnenswerten Schritt ernsthaft nachzudenken.

Euer

Heiko Stritzke

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