Ford

Ford Ranchero GT (1972), Chevy El Camino SS (1971): Test

Kann man die Coolness eines Muscle Cars mit dem Nutzen eines Pick-up-Trucks kombinieren? Natürlich! Chevy und Ford haben's drauf!

Erst die Arbeit und dann! Im Idealfall ist der Unter­schied zwischen Job und Ver­gnügen gering und der Über­gang fließend. So wie bei Martin Thies. Der Landwirt aus Hüttblek in Schleswig-Holstein hat in sei­nem elterlichen Betrieb irgend­wann Tiere gegen Autos getauscht. Unter dem Firmennamen “Crui­sing Cars” werden jetzt in seiner umgebauten Scheune ausgewählte US-Klassiker artgerecht gehalten.Ob Mopar Muscle Cars, Fullsize-Limousinen oder Pick-ups aus den 1950er- bis 1970er-Jahren, ankau­fen tut er nur, was ihm gefällt. Am liebsten unverbastelte Autos mit Erstlack. Gekümmert, geschraubt und restauriert wird selbst, so viel zur Philosophie auf dem Hof. Ak­tuell warten neben reinrassigen Pick-ups von Dodge und Ford auch zwei sogenannte Pkw-Pick-ups auf neue Wertschätzer.

Muscle Cars mit Pritsche

Um zu verstehen, wie diese sel­tene Fahrzeuggattung entstehen konnte, schalten wir kurz in den Rückwärtsgang, denn die Ge­schichte amerikanischer Siedler lässt sich ohne Planwagen, Prit­schenwagen und Pick-up-Trucks nicht erzählen. Robuste Arbeits­tiere mit kräftigen Achtzylindern hatten die Erschließung weiter Ländereien und das Bewirtschaf­ten riesiger Felder erst möglich ge­macht.ford ranchero gt (1972), chevy el camino ss (1971): test

Benzingespräche mit Besitzer und Cruising-Cars-Chef Martin Thies über wahre Größen amerikanischer Nutzfahrzeuge.

Bild: Roman Raetzke / AUTO BILDMobilität mit hohem Nutz­wert ist den Cowboys bis heute so wichtig, dass auch aktuell ein fetter Pick-up auf Platz eins der US-Zulassungsstatistik rangiert. Dass man Funktionalität aber auch mit elegantem Lifestyle verbinden kann, hatten die Hersteller schon in den 1950er-Jahren bewiesen, als sie angesagte Limousinen in Nutzfahrzeuge verwandelten.Den Anfang machte Ford mit einem eigenen “Ranch Wagon” auf Basis des Fullsize-Fahrgestells vom Ford Custom. 1957 war es so weit, der erste Ranchero wurde vorgestellt. Ein Limousinen-Pick-up, der von vorn wie der aktuelle Ford Fairlane aussah, von hinten allerdings wie ein aufgesägter Kombi mit offenem Laderaum.ford ranchero gt (1972), chevy el camino ss (1971): test

Schöner altern: Erstlack, unrestauriert. Dieser Ranchero könnte Geschichten erzählen.

Bild: Roman Raetzke / AUTO BILDDie neue Fahrzeuggattung der “car trucks” war so erfolgreich, dass Ford jedes Jahr ein neues Modell auf die Räder stellte, immer mit dem Frontdesign der entsprechen­den Pkw. Bei der zweiten Serie ent­schied man sich für den kleineren Ford Falcon als Basis, auch um sich von den großen Pick-ups der eigenen F-Serie abzugrenzen.1966 durfte der Ranchero wie­der wachsen und teilte sich die Schnauze erst mit dem neuen Fair­lane, dann mit dem Nachfolgemodell Torino. Dieser kam ab 1972 nicht mehr mit einer selbsttragen­den Karosserie, sondern mit einem separaten Chassis, fast in den Di­mensionen einer Fullsize-Limou­sine.Das markante Frontdesign wurde 2008 durch Clint Eastwood berühmt, der im Film “Gran Tori­no” als Antiheld Walt Kowalski mit seinem 1972er Gran Torino Sport alte amerikanische Ideale vertei­digen wollte. Wie wäre die Ge­schichte wohl verlaufen, hätte Walt statt Coupé auf Ranchero gesetzt?Je nachdem, ob Dragstrip oder Hausrenovierung Priorität hatte, konnten die Kunden damals nahe­zu jede Motorisierung für ihren Lifestyle-Laster wählen. Vom 4,1-Liter-Sechszylinder bis zum gigantischen 7,5-Liter-V8-Bigblock war alles drin. Dieser in Würde ge­alterte und unrestaurierte Ford aus Kalifornien erlebte mit dem klei­nen 4,9-Liter-Smallblock einen eher beschaulichen Alltag und wurde vor einigen Jahren nur zum Teil nachlackiert, um die echte Pa­tina des in Ginger Bronze ausge­lieferten Ranchero GT zu erhalten.ford ranchero gt (1972), chevy el camino ss (1971): test

Auf den schwarzen Kunstledersitzen hinterm originalen Dashboard würde sich auch Clint Eastwood alias Walt Kowalski wohlfühlen und sich in seiner Neighborhood Respekt verschaffen.

Bild: Roman Raetzke / AUTO BILDEtwas skeptisch drehe ich den Zündschlüssel nach rechts, denn ich muss jetzt mit einem viel zu schwachen Smallblock klarkom­men, der mit den 2,2 Tonnen wirk­lich Mühe hat. Dafür macht er richtig Krach. Das C4-Automatik­getriebe meldet durch einen sanf­ten Ruck Kraftschluss, da setzt sich die Fuhre in Bewegung.Im Crui­sing-Modus zwischen 60 und 80 km/h kommt der Ranchero in seine Komfortzone und gleitet über die Landstraße. Der Ford läuft sauber geradeaus, und solange ich den Blick nicht nach hinten richte, fühle ich mich wie im fancy Coupé von Clint Eastwood. Nur in scharfen Kurven untersteuert er wegen des geringen Gewichts auf der Hinter­achse. Wie viele Bierkisten müsste ich auf die Ladefläche wuchten, damit der Wagen ausgewogen auf der Straße liegt? Die Ladefläche ist immerhin satte zwei Meter lang und eineinhalb Meter breit.

Kultlaster von Chevrolet

Da kann ein Chevy El Camino nicht ganz mithalten. Die Länge von zwei Metern liefert er zwar auch, aber er ist zehn Zentimeter schmaler. Damit passen also we­niger Bierkisten auf die Pritsche. Das hat Bruce Willis allerdings nicht gestört, als er aus einem El Camino zwei durchgeknallte Comic-Typen im Camaro beschießt. Das legen­däre Musikvideo von den Gorillaz zum Song “Stylo” machte den Wa­gen 2010 zum heimlichen Helden.ford ranchero gt (1972), chevy el camino ss (1971): test

Ein Lastenesel mit Muscle-Car-Attitüde. Wer El Camino fährt, will nicht nur arbeiten.

Bild: Roman Raetzke / AUTO BILDÜbrigens brauchte General Mo­tors damals zwei Jahre, um dem Ranchero ein eigenes Modell ent­gegenzusetzen. Erst 1959 rollte der erste Pkw-Pick-up bei GM vom Band. Der neue El Camino bekam das Design des Impala, basierte aber auf dem Kombimodell Brook­wood. Weil der Ranchero aber mit der zweiten Serie geschrumpft wurde, reagierte Chevrolet auch mit der kleineren Limousine, der Chevelle. Vorerst nur mit den klei­neren Motoren erhältlich, wurde es mit der dritten Generation erst richtig interessant.Die Muscle Cars erlebten gerade ihre besten Baujahre, denn die großen drei aus Detroit hatten Intermediate Cou­pés im Programm, bei denen es nur um Leistung ging. Dodge befeuerte den Charger R/T mit einem 426-Hemi (7,0 Liter), Pontiac schickte den GTO mit 454 Cubic Inch (7,4 Liter) ins Rennen, Ford beschleu­nigte den Mustang mit einem 429er Cobra Jet, und bei Chevrolet konnte die leistungshungrige Ju­gend den LS6-V8 mit 7,5 Liter Hub­raum aus der Chevelle SS (Super Sport) für den El Camino bestellen.ford ranchero gt (1972), chevy el camino ss (1971): test

Mit After-Market-Holzlenkrad und nachgerüsteten Armaturen von Auto Meter wird der Arbeitsplatz zum Fitnessraum.

Bild: Roman Raetzke / AUTO BILDDiese zwei magischen Buchsta­ben trägt auch der 1972er El Ca­mino, bei dem Besitzer Martin ge­rade die Zylinder flutet. Ein Fake, wie sich herausstellt, die begehrten Buchstaben sind reine Angeberei. Der weiße Lifestyle-Laster muss sich mit dem bewährten 5,4-Liter-V8 (327 cui) aus dem Schwester­modell Corvette begnügen. Ob da was passiert?Ja, tatsächlich. Der Chevy geht erstaunlich schnell nach vorn. Bei 3800 Umdrehungen pro Minute mobilisiert der Smallblock 271 PS und würde eine Höchstgeschwin­digkeit von 160 km/h ermöglichen. Theoretisch! Fahrwerkstechnisch sollte man es bei den klassischen 55 Meilen nach amerikanischen Empfehlungen belassen, denn die unvorteilhafte Gewichtsverteilung ist auch beim El Camino das Pro­blem, wenn man mal ohne Ladung unterwegs ist.Trotzdem kann die Frage, ob solche Fahrzeuge Sinn ergeben, eindeutig mit Ja beantwortet wer­den. Auch wenn viele Autoherstel­ler Limousinen zu Lastwagen um­funktionierten: Chevy El Camino SS und Ford Ranchero GT sind für mich die Topmodelle einer fast aus­gestorbenen Gattung, die beides sein wollten und auch konnten: Pkw und Pick-up.

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