- Der Einstieg in die Elektromobilität ist nicht trivial
- Normrunde: Tolle Fahreigenschaften
- Sprichwörtliche Volvo-Qualität
- Rundumsicht
- Assistenzsysteme
- Immer noch suboptimal: das Infotainment-System
- Apropos Google
- Anzeigen und wichtige Einstellungen finden
- Laden und Leiden
- Reichweiten bei Langstrecke
- Ladeklappe, warum links?
- Gesamtverbrauch
Wenn man einen neuen Stromer an einem Tag oder Nachmittag vom Hersteller präsentiert bekommt, wird alles rund um das Fahrzeug recht komprimiert „erfahren“ und ein tieferes Eindringen in die Problematik ist naturgemäß schlecht möglich. Da kann man sich bei den Wertungen schon mal vertun.
Volvo stellte uns den XC40 Recharge für 14 Tage zur Verfügung und wir setzten den Wagen so ein, wie es ein Einsteiger in die Elektromobilität machen würde. Unser „Einsteiger“ hätte vermutlich keine Möglichkeit in der Garage mit Wallbox zu laden, weil die entweder noch nicht installiert ist, oder größere Veränderungen an der Stromzufuhr nach sich ziehen würde. Oder es geht schlicht nicht, weil man in einem Mehrfamilienhaus wohnt. Man müsste anfänglich also extern laden.
Die nachfolgenden Zeilen enthalten viele Dinge und auch Widrigkeiten, die nicht unbedingt mit dem Volvo per se zu tun haben, sondern so auch auf andere Elektrofahrzeuge zutreffen.
Der Einstieg in die Elektromobilität ist nicht trivial
Freilich ist der XC40 kaum ein Einsteigerfahrzeug für die Elektromobilität. Mit über 70.000 Euro Anschaffungspreis inklusive Optionen ist der schon der Luxusklasse zuzuordnen. Zudem ist der eSUV so groß, dass er eigentlich für den Stadtverkehr weitgehend ungeeignet und eher für die Langstrecke gedacht ist. Zwar kaschiert das Design die Größe sehr gut, der XC40 ist trotzdem ein stattliches Auto.
In unserem Bericht vom Februar können Sie übrigens die üblichen technischen Spezifikationen nachlesen, die sich nicht geändert haben.
Normrunde: Tolle Fahreigenschaften
Auf unserer Normrunde konnten wir einen echten Vergleich zu anderen von uns getesteten Elektrofahrzeugen ziehen. Der XC40 teilt sich die Elektroplattform mit dem Polestar 2, das gilt auch für den Allrad-Antrieb. Mit 408 System-PS hat der Wagen kaum Probleme mit den rund 2,2 Tonnen Gewicht. Was aber leider nicht zur Sparsamkeit beiträgt. Trotzdem beträgt das Fahrzeug Benzinäquivalent laut EV-Database nur 2,5 Liter. Das zeigt einmal mehr, wie effizient Elektroautos tatsächlich sind.
Unsere Normrunde absolvierte der eSUV mit einem Durchschnittsverbrauch von 20,2 kWh auf 100 Kilometer, damit befindet er sich fast auf Augenhöhe mit dem Polestar 2, der mit 19,3 kWh letztes Jahr ein bißchen weniger verbrauchte. Aber der P2 ist auch etwas windschlüpfriger. Die Außentemperatur betrug 20°C, die Klimaanlage war auf 20°C eingestellt, die Durchschnittsgeschwindigkeit lag bei 63 km/h.
Sprichwörtliche Volvo-Qualität
Der XC40 ist ein sehr gut verarbeiteter Wagen, der die sprichwörtliche Volvo-Qualität sichtbar werden lässt. Das Interieur ist typisch nordisch aufgeräumt und kommt Menschen entgegen, die klare Linien bevorzugen. Gut, für den Preis darf man auch hochwertige Materialien erwarten. Die beheizbaren Vordersitze sind bequem, mit gutem Seitenhalt und optional elektrisch einstellbar. Die drahtlose, optionale Ladeeinrichtung für Smartphones ist in der Mittelkonsole lokalisiert. Die würde man in dieser Fahrzeugklasse eigentlich in der Serie erwarten. Die Bluetooth-Einbindung funktionierte ohne Probleme.
Die initialen Anzeigen des Armaturenbretts und des relativ kleinen Touchscreens in der Mittelkonsole sind ausreichend und geben erst mal keine Rätsel auf.
Fahrgeräusche sind nur beim Anfahren zu hören – da kommt kurzzeitig Straßenbahn-Feeling auf. Auf der Strecke hört man davon nichts. Die Platzverhältnisse im Innenraum sind angemessen, aber nicht üppig. Der „Kofferraum“ ist für das große Auto relativ klein, wenn auch ausreichend. Auch hier sind gute Ideen verbaut, wie beispielsweise der optionale faltbare Laderaumboden inklusive Gepäcknetz, um kleineres Gepäck besser zu fixieren. Das Öffnen der Heckklappe durch wedeln mit den Füßen unter dem Heck klappte gut aber selten auf’s erste Mal.
Rundumsicht
Obwohl man recht hoch sitzt, ist die Sicht nach hinten sehr eingeschränkt. Beim Einparken ist die 3D-Surround-Darstellung hilfreich, sie berechnet aus den zahlreichen Kameras eine Art Vogelperspektive. Eine normale Rückfahrkamera tut den Job aber eigentlich genau so gut.
Assistenzsysteme
Der Wagen hatte das 1.550 Euro teure IntelliSafe-Paket Pro, inklusive Totwinkelwarner und allerlei Warnfeatures. Bei Cross-Traffic wird sogar eine Vollbremsung eingeleitet, falls man die Warnsignale ignoriert.
Der Abstandstempomat mit Lanekeeping-Aid funktionert in der Regel gut, auf Landstraßen stellt man den am besten auf etwas über 100 km/h ein, dann muss man kaum nachregeln, das tut das System unter Beachtung der Abstände schön präzise selbst. Allerdings funktioniert Lanekeeping mit Lenkeingriff nur zwischen 59 und 135 Km/h. Darüber und darunter wir nicht automatisch mit der Lenkung korrigiert. Das ist etwas verwirrend und könnte Probleme verursachen.
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Sie fahren eine weitläufige Kurve mit 80 km/h, der Vordermann wird langsamer, die Geschwindigkeit sinkt unter 60 km/h und die automatische Lenkung wird deaktiviert … Das ist wenig durchdacht, zumal auch kein Warnton zu hören ist, wir haben es ausprobiert.
Immer noch suboptimal: das Infotainment-System
Im Februar hatten wir nicht genug Zeit uns mit dem Infotainment-System zu befassen. Zudem wurde uns gesagt, dass hier noch nachgeschärft werde. Da wir den Polestar 2 kannten, dessen Betriebssystem ebenfalls auf Google basiert, gaben wir dem System Vorschusslorbeeren. Das war leider etwas voreilig. Das Infotainmentsystem hat hohen Nachholbedarf, die Bedienung ist in unseren Augen für ein Fahrzeug dieser Klasse unangemessen kompliziert und verwirrend. An Google kann’s nicht liegen, denn die Kollegen von Polestar haben die Problematik weit besser gelöst.
iPhone-Benutzer sind ohnehin (noch) benachteiligt. Apple Carplay gibt’s nicht und beim Abspielen der Musik via Bluetooth werden auch keine Plattencover gezeigt. Das ist verschmerzbar, aber kaum Klassenstandard. Überhaupt ist die Anzeige in der „Musikabteilung“ mehr als rudimentär. Radiohören war in der ersten Woche sogar echt knifflig und buggy. Ein Anklicken eines Senders führte zu … Stille. Klickte man sich durch weitere Sender blieb das System ebenfalls still.
Bemühte man Googles Sprachassistenten funktionierte es plötzlich. „Hey Google, spiele Bayern 3“ war zielführend. Klickte man dann auf einen anderen Sender, war wieder Stille. Seltsamerweise änderte sich das die Woche drauf. Da reagierte das System wieder auf Toucheingaben. Übrigens an der selben Stelle. Am Empfang lag’s also nicht.
Apropos Google
Am Freitag und Samstag nach der Flutkatastrophe war die Google-Navigation lahmgelegt. Im Raum Köln gab es vermutlich Probleme mit der Dateninfrastruktur. Was aber nicht für die normale Google-Navigation im Smartphone galt. Die funktionierte ohne Probleme. Mit Apple CarPlay oder Google Auto hätte man dann auch eine funktionierende Navigation zur Verfügung gehabt. Am Sonntag ging’s dann wieder.
Anzeigen und wichtige Einstellungen finden
Wir suchten anfänglich den manuellen Tageskilometerzähler. Der ist beim Polestar ganz inutiv zu finden. Auch beim Volvo ist er durch einen Knopf am Lenkrad zu erreichen. Der erschließt sich allerdings nicht intuitiv.
Der Regensensor war abgeschaltet, weil das Fahrzeug frisch aus der Waschanlage übergeben wurde. Ohne Bedienugsanleitung hätten wir die Aktivierung des Sensors übrigens nicht gefunden. Eine Petitesse, sicher, einmal nachgesehen, weiß man’s. Bei anderen Fahrzeugen ist die Aktivierung allerdings einfacher.
Laden und Leiden
Das Laden am Ionity-HPC ist für Anfänger ein Graus. Denn wer nicht weiß, dass man den Stecker mit viel Kraft so lange in die Dose pressen muss, bis sich Fahrzeug und Charger vernehmlich durch Klacken verstanden haben, der hat verloren. Ob’s am Ionity-Stecker oder an der Volvo Steckdose liegt ist dabei egal. Anfänger würden da verzweifeln, vor allem, wenn man auf der letzten 10% den einzigen HPC weit und breit ansteuert.
Überhaupt das Laden: zwar geht das am HPC bis 79% recht flott, dann aber quälend langsam. Die vollen 150 kW Ladeleistung gibt’s allerdings nur ganz am Anfang. Die 90% brauchen dann recht lange, Laden auf 100% will man sich unterwegs nicht antun – zumal das ohnehin nicht förderlich für die Batterielebensdauer ist. Die Einstellung des Ladelimits findet man unter dem Zahnrad-Symbol etwas versteckt.
Reichweiten bei Langstrecke
Ladeklappe, warum links?
Eines verstehen wir überhaupt nicht. Warum befindet sich die Ladeklappe hinten links, also auf der Fahrerseite? Ein Laden in der Stadt an der öffentlichen Station ist so nur möglich, wenn man das Fahrzeug gegen die Fahrrichtung parkt. Das könnte zu Irritiationen und einem Knöllchen von den deutschen Ordnungshütern führen.
Gesamtverbrauch
Wir waren in den 14 Tagen rund 600 Kilometer unterwegs. Der Durchschnittsverbrauch betrug 22,9 kWh (ohne Ladeverluste). Das ist für ein Auto dieser Klasse durchaus nicht schlecht, zumal der Autobahnanteil etwa 50% betrug. Da waren wir mit Geschwindigkeiten zwischen 130 und 150 unterwegs, wenn freie Fahrt war. Natürlich jubelten wir den Wagen auch mal auf die Top-Speed, die bei Anzeige 183 km/h abgeregelt ist.
Ein Beschleunigungstest zeigte, dass die Werksangabe von 4,9 Sekungen von 0 auf 100 km/h nicht übertrieben ist – wir brauchten genau 5 Sekunden bei zwei Durchgängen. Die Viertelmeile schaffte der eSUV sogar in 13 Sekunden. Das ist in der Tat ein guter Wert.
Ein Ärgernis ist die Anzeige der „Restreichweite“. Die gibt’s nicht. Warum auch immer. Der Google-Assistenz sollte die eigentlich ansagen können. Auf unsere Frage „Hey Google, wie ist die Restreichweite“ kam allerdings ein Hinweis auf Wikipedia …
Fazit: In unserer Februar-Wertung gaben wir dem Volvo XC40 Recharge 4 Sterne. Dabei bleibt’s, allerdings sind es nun eher 3,5 als 4,0 Sterne. Die Bugs des Infotainment-Systems führen zu Abwertung, die Menü- und Benutzerführung ist in unseren Augen sehr suboptimal. Als Reisewagen eignet sich der eSUV eher für die Mittelstrecke und weniger für die Langstrecke. Da durch OTA-Updates das Infotainment-System theoretisch verbessert werden könnte, bleiben wir hier nachsichtig.
Die Ladeprobleme und Reichweitenprobleme sind allerdings kein typisches Volvo-Problem, sie können bei allen Herstellern und Modellen vorkommen. Digitale Inkompatibilitäten sorgen schon gerne mal für Ladeverweigerung. Ohne private Wallbox, die mit 11 kW das Fahrzeug über Nacht wieder auf wenigstens 80 – 90% bringt, ist die Verwendung eines Stromers für den Ottonormalverbraucher kaum als angenehm zu bezeichnen. Deshalb führen die typischen Ladeprobleme hier nicht zur Abwertung.
Positiv überrascht waren wir vom Verbrauch. Wer nicht ständig „Vollgas“ fährt, der kommt mit 22-23 kWh pro 100 Kilometer aus. Das ist für ein Fahrzeug dieser Klasse ok.
Fotos: e-engine, Volvo, Jörn Müller-Neuhaus, Bernd Maier-Leppla
Volvo XC40 Recharge: Fahrerzentriert durch „weniger ist mehr“
Die e-engine Normrunde für die Landstraße