Der kleine Stromer von Volvo entwickelt sich zum Erfolgsmodell. Dabei weist er ein paar Schwächen auf, zeigt unser Alltagstest.
- So stark wie ein Ferrari Testarossa
- Mehr als 400 Kilometer Reichweite nur im Stadtverkehr
- Ein Touchscreen muss genügen
- Mit viel Liebe zum Detail
- Das Fazit: Allrad kann man sich sparen
Schweden sind wortkarg und trinken gerne einen über den Durst. Sie essen vorzugsweise hartes Knäckebrot und machen gerne lange Kaffeepausen, in denen sie vorzugsweise Zimtschnecken verspeisen. Hierarchien schätzen sie hingegen gar nicht – jeglicher Standesdünkel ist ihnen fremd. Sie leben in Holzhäusern, die sie bunt anmalen und schlicht einrichten. Und so weiter und so fort: Die Reihe der Klischees, die angeblich einen typischen Schweden auszeichnen, ließe sich noch locker fortsetzen.
Eines fehlt natürlich noch: Jeder Schwede hat mindestens einen Volvo in der Garage stehen. Tatsächlich ist Volvo immer noch die populärste Automarke in Schweden. Die Zeiten, in denen der Pkw-Hersteller Volvo in seinem Heimatland auf Marktanteile um die 40 Prozent kam, sind allerdings lange vorbei. Heute muss sich das Unternehmen, mit einem Anteil an den Neuwagenverkäufen um die 14 Prozent zufrieden sein.
Alles andere als ein Sportwagen Die Linienführung ist typisch Volvo: Die hohe Gürtellinie vermittelt Sicherheit, die Kastenform verspricht Praktikabilität.
So stark wie ein Ferrari Testarossa
Denn wirklich preisgünstig ist der Elektro-Crossover nicht. Unser hellblauer Testwagen, ein Volvo EX30 Twin Motor Performance in der Ausführung Ultra, hätte uns 56.090 Euro gekostet. Dabei war die Liste der aufpreispflichtigen Extras nicht einmal besonders lang: ein Winterpaket mit Sitz- und Lenkradheizung für 400 Euro und abgedunkelte Seiten- und Heckfenster zum gleichen Preis. Wärmepumpe, elektrische Heckklappe, Klimaautomatik und eine Heerschar von Assistenzsystemen – ohne die ein sicherheitsbewusster Schwede heute keinen Kilometer mehr zurücklegen mag – sind bereits serienmäßig an Bord.
Flotter Feger Gegen den Volvo EX30 haben die meisten Verbrenner im Sprint und auf der Landstraße keine Chance. Tempo 100 ist in 3,8 Sekunden erreicht. Und Tempo 180 km/h ist auf der Autobahn mehr als genug – mit Blick auf die Reichweite fast schon zu viel.
Auf den ersten Blick ist das für einen Viersitzer im Kompaktformat (von 4,23 Metern Länge und mit einem Radstand von 2,65 Metern) eine Menge Holz. Dafür gibt es allerdings eine Antriebsleistung, von den die Schweden selbst in den Hochzeiten von Volvo in den 1970er- und 1980er-Zeiten nur träumen konnten: Die beiden Elektromotoren an Vorder- und Hinterachse mobilisieren in Summe 315 kW oder 428 PS. Mit der gleichen Stärke ging 1992 ein Ferrari Testarossa an den Start. Und dessen Zwölfzylinder verfügte nur über ein maximales Drehmoment von 491 Newtonmeter – beim Volvo EX30 liegen bis zu 543 Newtonmeter an. An der Ampel würde der junge Schwede den alten Italiener also locker stehen lassen. Und den Sprint auch auf Tempo 100 in einer Sekunde schneller absolvieren.
Mehr als 400 Kilometer Reichweite nur im Stadtverkehr
Zumal der starke Antrieb mit einer Batterie kombiniert ist, die mit einer nutzbaren Speicherkapazität von 64 kWh nur Mittelmaß ist: Mehr als 448 Kilometer ohne Ladepause sind da allenfalls im Stadtverkehr drin. Und das auch nur bei sehr zurückhaltender Fahrweise. Wir kamen während des Tests nicht unter unter einen Durchschnittsverbrauch von 21 kWh/100 km – und mussten spätestens nach 300 Kilometer eine Ladestation aufsuchen. Strom soll dort immerhin mit 175 kW aufgenommen werden können. Im Test kamen wir jedoch über 153 kW nicht hinaus.
Kurze Stippvisite Mit bis zu 175 kW zieht der Volvo am Schnelllader den Gleichstrom. Der Ladeport hinten links ist hier allerdings nicht ideal.
Optisch ist der EX30 ein Wolf im Schafsfell. Die sportlichen Fahrleistungen sieht man ihm nicht an. Trotz des kecken Heckspoilers und der (serienmäßigen) Zweifarb-Lackierung folgt er eher dem Volvo-typischen Kastendesign. Mit einer hohen Gürtellinie und einer kräftigen Hecksäule, hier leider auch einer recht hohen Ladekante. Das sieht durchaus sehr schick aus, mindert allerdings auch ein wenig den Nutzwert. Der Kofferraum fasst bei voller Bestuhlung lediglich 318 Liter – ein VW ID.3 etwa fasst 70 Liter mehr. Und bei umgelegter Rücksitzbank wird es nicht viel besser: 904 Liter sind dann maximal drin. 1267 Liter wären es in einem ID.3. Und der bietet auch den Fondpassagieren deutlich mehr Platz als im Volvo: Großgewachsene Erwachsene fühlen sich hier nur auf kurzen Strecken wohl.
Ein Touchscreen muss genügen
Schwedenstube Ausgesprochen minimalistisch eingerichtet ist das Frontabteil des kleinen Volvo. Gesteuert werden fast alle Funktionen über den senkrecht stehenden Touchscreen – sogar das Öffnen des zentral gelegenen Handschuhfachs darunter.
So ist der Fahrer unterwegs ständig gezwungen, zumindest ein Auge nach rechts auf das Zentraldisplay zu lenken, um die aktuell zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht zu überschreiten. Und er sollte gute Augen haben, denn die Tempoanzeige ist relativ klein gehalten. Und auf die Tempowarnungen des „intelligenten“ Geschwindigkeits-Assistenten ist kein Verlass: Gefühlt 60 Prozent der Hinweise auf ein Tempolimit waren falsch. Auf freier Strecke wurde auf der Autobahn plötzlich Tempo 40 angezeigt – wie gut, dass das Auto da nicht automatisch eine Vollbremsung einleitete.
Mit viel Liebe zum Detail
Aber wir wollen nicht zu viel meckern – der Volvo EX30 hat auch viele positive Eigenschaften, die den Alltag mit ihm angenehm wie leicht machen. Die Lenkung reagiert zackig auf die Handbewegungen des Fahrers, die Bremsen arbeiten wirkungsvoll – um mal mit ein paar wichtigen Dingen zu beginnen. Die Idee, das Handschuhfach in die Mitte des Armaturenträgers zu verlegen, ist pfiffig. Dass man zum Öffnen wiederum den Touchscreen bemühen muss, hingegen weniger. Die Möglichkeit, aus der Mittelkonsole eine kleine Schublade nach vorne herauszufahren, ist nicht originell, aber ebenso praktisch. Warum es aber – wie im VW ID.3 – dort nur zwei Taster für die Fensterheber gibt (um die hinteren zu aktivieren, muss zunächst ein Umschalter betätigt werden), muss uns bei Gelegenheit ein Volvo-Finanzer erklären.
Schubladen-Lösung Zwei Getränkehalter befinden sich in der Mittelkonsole. Sie werden bei Bedarf herausgefahren. Extra-Schalter für die hinteren Fensterheber sparten sich die Schweden dafür – soll Luft rein, muss zunächst ein Wahlhebel betätigt werden. Foto: Volvo
Dafür gibt es feine Bezugsstoffe, die selbstverständlich alle vegan sind und aus recycelten Altmaterialien bestehen – Umweltschutz hat in Schweden traditionell einen hohen Stellenwert. Und trotz der Produktion in China ist die Verarbeitung ohne Fehl und Tadel. Gefreut haben wir uns auch über die zahlreichen „Ostereier“ im Auto – versteckte Hinweise auf die schwedische Herkunft und die Möglichkeiten, den Kofferraum möglichst effektiv zu nutzen.
Das Fazit: Allrad kann man sich sparen
In Summe ist der Volvo EX30 aufgrund der geringen Außenmaße und auch eines relativ kleinen Wendekreises von elf Metern im Alltagsverkehr ein angenehmer Begleiter. Die Unzuverlässigkeit des Tempowarners bzw. der Verkehrszeichen-Erkennung wird hoffentlich bald durch ein Software-Update beseitigt. Um die Langstreckentauglichkeit zu verbessern, wäre eine neue Generation von Batteriezellen mit einer höheren Leistungsdichte wünschenswert – 500 Kilometer im Alltagsverkehr sollten dann drin sein. Wer schon jetzt in solche Regionen vorstoßen möchte, sollte auf den Allradantrieb verzichten und die Single Motor Extended Range-Version wählen. Immerhin 3100 Euro lassen sich so sparen. Für einen neuen Anstrich des Hauses oder eine Party mit jede Mengen Zimtschnecken.