Enduro

Motorräder

Weniger für Wellness, mehr fürs Pferdestehlen

Die Technik mit Features wie dem Radarsystem nochmals spürbar aufgewertet, dazu auch an der Ergonomie für den Fahrer geschraubt: Die KTM 1290 Super Adventure S hat sich von der mächtigen Großenduro zur allgemeintauglichen Reiseenduro mit viel Schmackes gemausert.

Weniger für Wellness, mehr fürs Pferdestehlen

In der Alpenrepublik verfolgen sie ein bestimmtes Ziel, selbst wenn sie das nicht direkt zugeben würden: der allmächtigen GS von BMW endlich mal zu zeigen, wo wirklich der Hammer im Großenduro-Sektor hängt. Ein schwieriges, aber kein unmögliches Unterfangen. Schon in MOTORRAD 11/2017 drückte sich die KTM punktemäßig an einer R 1200 GS im Vergleichstest vorbei, in MOTORRAD 9/2019 gelang ihr das gegen eine 1250er-GS erneut. Trotzdem blieb die GS der Platzhirsch. Bei den Verkaufszahlen führt eh kein Weg an ihr vorbei. Ein Zustand, den KTM so nicht hinnehmen will, weshalb die 1290 Super Adventure S für 2021 mächtig aufgewertet wurde. Schlägt damit nun ihre Stunde? Der Top-Test liefert dazu erste Antworten.

Ein Highlight der neuen KTM 1290 Super Adventure S ist ihr Radarsystem von Bosch. Sensoren an der Front und im Heck überwachen den Verkehr. Beim Fahren mit Tempomat passt die KTM dank dieses Systems den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug immer automatisch an, wobei die Distanz selbst in fünf Stufen feinjustiert werden kann. In der Praxis sieht das so aus: Den Tempomaten auf der Bahn auf 130 km/h eingestellt, und schon hat die rechte Hand fast nichts mehr zu tun. Verzögert das Fahrzeug vor einem, nimmt die KTM automatisch Speed raus. Erst schließen sich die Drosselklappen, dann greift zusätzlich die Bremse ein – begleitet von Warnhinweisen im Cockpit, die vom Fahrer zusätzliche Bremsunterstützung einfordern. Läuft der Verkehr wieder schneller, legt auch die KTM von selbst wieder an Geschwindigkeit zu – bis zum vorab über den Tempomaten eingestellten Tempo. Gerade auf der Bahn bei langen Etappen bringt dieses System ein Plus an Sicherheit und gestaltet Kolonnenfahren erträglicher.

Beim nicht reglementierten Schnellfahren profitiert der KTM-Pilot auch vom neuen, um 55 Millimeter verstellbaren Windschild. In der untersten Stufe liegt die Windabrisskante bei normal großen Piloten zwar noch genau auf Helmhöhe, komplett per gut zugänglichem Handrad hochgedreht, sichert der Windschutz aber selbst Riesen zugfreies Kilometerfressen.

In 9,6 Sekunden auf 200 km/h

Genug Druck im Kessel hat die KTM dafür allemal. Aus exakt 1.301 Kubik presst der 75-Grad-Zweizylinder 160 PS. Und die marschieren bei Bedarf richtig voran, wie auch die Fahrleistungswerte untermauern. Diese fallen sogar etwas besser als beim Vorgängermodell aus, was aber weniger an der ­Potenz des V2 liegt als vielmehr am neuen Tank­layout der 1290er. Wie schon bei den 790er- und 890er-Adventure-Modellen werden die 23 Liter Sprit, die bei 5,4 Litern Landstraßenverbrauch eine Reichweite von 426 Kilometern möglich machen, nicht mehr über, sondern zu großen Teilen neben dem Motor gebunkert. Das senkt den Schwerpunkt der KTM ab, wodurch gleichzeitig ihre Wheelie-Neigung beim Sprint aus dem Stand abnimmt. So meistert sie den Spurt bis 100 km/h mit 3,3 Sekunden zwei Zehntel schneller als das Vorgängermodell. Mit 9,6 Sekunden bis Tempo 200 rennt sie bis zu diesem Wert sogar drei Zehntel zügiger als zuvor.

Flotter voran dank neuem Tank – allerdings nicht ganz so bequem. Zwar hat KTM die Sitzposition auf der scheinbar riesigen Super Adventure S durch einen näher an den Fahrer gerückten Lenker sowie ­eine leicht reduzierte Höhe der in zwei Positionen einstellbaren Sitzbank entschärft, die neue Tankform will aber nicht so recht zum Knie passen. Egal, ob 175-cm-Normalo oder Zwei-Meter-Riese – die Tankflanken ohne die sonst üblichen Einkerbungen fallen breit aus, drücken die Knie auseinander. Dafür taugt die angepasste Sitzhöhe (855–875 mm, zuvor 860–875 mm) trotz der nur geringen Reduzierung jetzt auch für kürzere Zeitgenossen deutlich besser. Zudem fällt die Sitzposition im Vergleich zum Vorgängermodell kompakter aus. Der Fahrer hockt eher im als auf dem Motorrad.

Auf Änderungen am Motor muss sich der KTM-Treiber dagegen nicht einlassen. Klar, der aktuelle V2 erfüllt die Euro-5-Norm, wiegt 1,6 Kilogramm weniger und pustet seine Abgase nun ohne Vorschalldämpfer durch einen neuen Endtopf nach draußen, sein Charakter ist aber gleich geblieben. Dieser Motor will drehen, sprinten, seine 108er-Kolben jenseits von 4000/min mit Schmackes durch seine 71 Millimeter Hub jagen. Untenrum, besonders in den Gängen fünf und sechs, gibt er sich weiterhin unwirsch. Unter 2500 Umdrehungen braucht es immer einen gefühlvollen Dreher am Gasgriff, damit sich das Peitschen der Kette einigermaßen im Zaum halten lässt. Ist das trostlose Tiefdrehzahl-Tal der KTM aber erst einmal passiert, legt der Motor Schippe um Schippe an Power nach. Erst wenn gemessene 158 PS bei 9200/min anliegen, findet der Elan ein Ende. Diese Urgewalt an Vortrieb kostet man gerne aus, vor allem, weil sie sich gut abrufen lässt. Zwar reagiert der V2 in den Fahrmodi mit offener Leistung (Street, Sport, leistungsreduziert: Offroad und Rain) einen Hauch zu ruppig aufs Öffnen der beiden 52er-Drosselklappen, aber dieser Schub, dieser unbedingte Wille, mit Vehemenz nach vorne zu stürmen, das macht an. Vor allem, weil die KTM mit 247 Kilogramm vollgetankt für ein Bike dieser Größe vergleichsweise leicht ausfällt.

Neue Super Adventure handlicher und stabiler

Wer die zweite Drehzahlhälfte als seine vorrangige Spielwiese auswählt, muss allerdings ordentliche Vibrationen in Kauf nehmen. Der KTM-Zweier ist ein Raubein, ein gutmütiges zwar, aber der Motor kündet jenseits von 5.000/min deutlich davon, wie viel Leben in ihm steckt. Ist der Motor sich in seiner Grundabstimmung treu geblieben, hat KTM beim Fahrwerk gleich an mehreren Schrauben gedreht, um die neue Super Adventure handlicher und stabiler abzustimmen. Um 15 Millimeter wanderte der Lenkkopf näher ans Motorrad, um den gleichen Wert wuchs die Schwinge. Alle Fahrwerksänderungen zusammen ergeben einen Radstand von 1.557 Millimetern (minus drei Millimeter), einen Lenkkopfwinkel von 65,3 Grad (1,3 Grad steiler als zuvor) sowie einen Nachlauf von 109 Millimetern (minus elf Millimeter). Richtig handlich fetzt die KTM trotz dieser Updates aber nicht ums Eck, was ein Stück weit der Erstbereifung zuzuschreiben ist. Die kommt von Mitas und hört auf den Namen Terra Force-R “Adv” – zuvor war der Scorpion Trail II von Pirelli in Sonderspezifikation “K” montiert. Zwar fegt die KTM mit dem Mitas bei Bedarf richtig schräg ums Eck, verlangt dafür aber deutliche Lenkbefehle, während die Gerade-auslaufstabilität der Pneus top ausfällt.

Von der profitiert die KTM besonders bei flotten Trips mit zwei Personen – hinten befindet sich ein feines Plätzchen mit ideal platzierten Haltegriffen – sowie beim Ankern am Limit. Den neuesten Jahrgang der 1290 Super Adventure S stattet KTM mit einem Bosch 10.3ME Combined-ABS (inkl. Kurven-ABS und Offroad-Modus) aus, verbaut zudem eine neue 6-Achsen-Sensorbox. Die Kombination aus stabilem Mitas, ABS, feiner Regelkontrolle sowie einer Brembo-Radialpumpe und Brembo-Vierkolben-Radialzangen an der Front bringt die KTM sicher und eher als zuvor zum Stehen. Nach 41,1 Metern hält die KTM bei einer Vollbremsung aus Tempo 100. Zuvor waren es 2,7 Meter mehr.

Semiaktives Fahrwerk serienmäßig

Per Tech-Pack für 1.170 Euro als Extra zum Grundpreis von 18.495 Euro, das unter anderem neben einem toll funktionierenden Schaltautomaten samt Blipper auch das Fahrwerks-Extra “Suspension Pro” enthält, lässt sich zudem ein “Anti-­Dive-Mode” für die Gabel zuschalten. Der verhärtet die 48er-WP-Forke aber dermaßen, dass das Feedback des Vorderreifens spürbar nachlässt. Neben diesen optionalen Features gehören serienmäßig zur Super Adventure S ein semiaktives Fahrwerk, eine verstellbare TC, ein Tablet-großes TFT-Display und überarbeitete Schalter für eine bessere Bedienbarkeit. In der Basis stehen drei Fahrwerk-Dämpfungs-Setups zur Wahl: Comfort, Street und Sport. Mit dem Tech-Pack kommen noch die Modi Offroad, Auto und Advanced hinzu. Zudem hat der Fahrer dann die Möglichkeit, die sonst in Zehn-Prozent-Schritten selbst festzulegende Vorspannung automatisch in den Stufen Low, Standard und High anpassen zu lassen. Zusätzlich bietet der Advanced Mode die Möglichkeit, die Dämpfung individuell in acht Stufen zu regulieren. Auf eher drittklassigen Landstraßen empfiehlt sich dabei die Abstimmung Comfort. Dann bügeln die Federelemente mit jeweils 200 Millimetern Arbeitsweg Unebenheiten ziemlich gut aus. In Sachen Ansprechverhalten dürfte aber vor allem die Gabel gerne noch weiter zulegen.

Tatort Autobahn, Verbrauchsfahrt mit 130 km/h. Unzählbare Brücken und Dehnungsfugen zieren die Teststrecke. Sobald der vordere 19-Zöller eine davon touchiert, sackt die Gabel kurz ab, nur um dann – oft begleitet durch ein metallisches “Klack” aus ihrem Innern – wieder in die Ausgangslage zurückzukehren. Trotz Dämpfungs-Vorauswahl Comfort bügelt die Gabel genau diese Stellen nie perfekt aus. Somit bleibt sich die KTM auch beim Fahrwerk treu: Geht’s flott über kurvige Pisten, liegt das Fahrwerk gut und satt auf der Straße. Nur konstant und kommod, das mag es nicht.

Genau wie der Terminator ist der Enduronator von der harten Sorte, weniger Reise- als vielmehr treibende Großenduro. Aber hey, der Terminator hat die Welt auch nicht mit Wattebäuschen gerettet. Vielleicht braucht’s genau diese etwas rauen KTM-Tugenden, um kräftig am GS-Thron zu rütteln. Das klärt in Kürze der Vergleich: Der Enduronator “will be back”!

Fazit

Die Technik mit Features wie dem Radarsystem nochmals spürbar aufgewertet, dazu auch an der Ergonomie für den Fahrer geschraubt: Die KTM 1290 Super Adventure S wird immer besser, hat sich unter diesen Aspekten von der mächtigen Großenduro zur allgemeintauglichen Reiseenduro mit viel Schmackes gemausert. Ein paar Abstriche muss der KTM-Treiber aber weiter hinnehmen. So bleibt der Motor trotz Euro-5-Abstimmung und zarten Änderungen ein eher rauer Geselle, der Spurten mag und Gleiten nicht ganz so lässig erträgt. Auch das semiaktive WP-Fahrwerk ist noch nicht ganz der Weisheit letzter Schluss. Gesegnet mit vielen Reserven auch für den Soziusbetrieb bleibt das Ansprechverhalten eher unsensibel. Die Super Adventure S: ein Freund fürs Pferdestehlen, weniger für den Wellnessurlaub.

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