Auto

Freitag Special: Über Reichweitenangst und Aufladegeschwindigkeit – brauchen Stromerskeptiker einfach nur eine andere Sicht auf die Dinge?

Schwedisch-amerikanische Studie: Wie Elektromobilisten der Reichweitenangst entfliehen können

Reichweitenangst. Das ist eines der bekanntesten Buzzwords im Zusammenhang mit der Elektromobilität. Jeder, der das erste Mal mit einem Stromer unterwegs ist, blickt wie gebannt auf die Batterieanzeige – vor allem, wenn der Stromer nur eine geringe Batteriekapazität hat. Und dann ist das noch die Schnelligkeit bzw. die Langsamkeit des Aufladens, was den Ottonormalfahrer interessiert. Von Early Elektro-Adoptern wird dieses Verhalten gerne als Blödsinn abgetan. Aber die Problematik ist doch komplexer.

freitag special: über reichweitenangst und aufladegeschwindigkeit – brauchen stromerskeptiker einfach nur eine andere sicht auf die dinge?

Eine schwedisch-amerikanische Studie will festgestellt haben, dass Reichweitenangst schlicht von der falschen Erwartungshaltung und Einstellung der Verbraucher kommt. Ein anderes „Mindset“ soll Abhilfe schaffen … (Bild: istock/Composing)

Tatsächlich sind das zwei der größten Herausforderungen, mit denen neue und potenzielle Fahrer von Elektrofahrzeugen konfrontiert werden. Allerdings muss das nicht sein. Dies geht aus einer Studie der Chalmers University of Technology, Schweden, und der University of Delaware, USA, hervor. Die Forscher, Prof. Dr. Frances Sprei und Prof. Dr. Willett Kempton fanden unter anderem durch zahlreiche Interviews heraus, dass die Antwort auf diese Bedenken nicht in der Verbesserung der Größe oder der Leistung der Batterie, sondern in einer veränderten Denkweise beim Tanken liegen könnte.

„Psychoanalyse“ statt Technologie?

Der Übergang vom Tanken an einer Tankstelle zum Aufladen eines Elektrofahrzeugs an einem für den Benutzer günstigen Ort erfordert eine völlig neue Denkweise beim Verbraucher. Neue Elektroautofahrer verharren jedoch oft in ihrer alten Denkweise und bleiben dabei hängen, ständig die Tankanzeige zu überprüfen und die nächste Ladestation zu suchen. Das kann dazu führen, dass sich die Fahrer ängstlich oder unter Druck gesetzt fühlen. Aber was ist, wenn sie dabei ganz falsch denken?

freitag special: über reichweitenangst und aufladegeschwindigkeit – brauchen stromerskeptiker einfach nur eine andere sicht auf die dinge?

Die drei identifizierten Verhaltensweisen/Modelle der Studie. (Fotograf/Illustration: Chalmers University of Technology | Willett Kempton)

3 verschiedene Verhaltensweisen

Die Forscher haben nun drei verschiedene Verhaltensweisen rund um das Tanken eines Autos identifiziert, die in dem kürzlich veröffentlichten Papier „Mental models guide electric vehicle charging“ beschrieben werden. Diese sind:

  1. Das Modell der Überwachung der Tankanzeige – der Fahrer tankt, wenn der Kraftstoff zur Neige geht
  2. Das Modell der Reiseplanung – der Fahrer plant, wann und wo er sein Fahrzeug auf der Reise zum Tanken anhält
  3. Das ereignisgesteuerte Modell – z.B. der Fahrer tankt automatisch, sobald er zu Hause oder am Arbeitsplatz ankommt

Das erste Modell entspricht der Art und Weise, wie die meisten Menschen ein Benzin- oder Dieselfahrzeug auftanken, und das dritte Modell ist das beste für die optimale Nutzung eines Elektrofahrzeugs.

freitag special: über reichweitenangst und aufladegeschwindigkeit – brauchen stromerskeptiker einfach nur eine andere sicht auf die dinge?

Prof. Dr. Frances Sprei: „Damit die Menschen E-Fahrzeuge optimal nutzen können, muss die Politik dafür sorgen, dass sie möglichst in der Nähe ihrer Wohnung oder ihres Arbeitsplatzes Zugang zu Ladeinfrastruktur haben“ (Fotograf: Chalmers University of Technology | Johan Bodell)

„Erfahrene Nutzer von Elektrofahrzeugen haben ein Ereignis oder einen Ort gewählt, an dem sie ihr Fahrzeug aufladen; sie schließen es zum Beispiel automatisch an, wenn sie nach Hause kommen oder zur Arbeit gehen, so dass es Teil ihrer morgendlichen oder abendlichen Routine wird und sie weniger an das Aufladen denken müssen. Es wird viel Wert darauf gelegt, wie lange es dauert, ein Elektroauto aufzuladen, aber wenn man es über Nacht auflädt, ist es nur die Zeit, die man braucht, um es anzuschließen. Es sind also wirklich nur die langen Fahrten, die man einplanen muss“, sagt Professor Frances Sprei von der Chalmers University of Technology, die die Studie zusammen mit Willett Kempton von der University of Delaware leitete.

Die richtige Infrastruktur an den richtigen Stellen

Dieses Umdenken erfordert die richtige Infrastruktur an den richtigen Orten. Die besten Orte, um über einen längeren Zeitraum zu laden, sind entweder zu Hause oder am Arbeitsplatz, da sich die Menschen dort bereits über einen längeren Zeitraum aufhalten. Im Gegensatz dazu konzentrieren sich viele europäische Städte derzeit auf das Laden am Straßenrand, was nicht zuletzt mit den Bedürfnissen anderer Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger und Radfahrer kollidieren könnte.

„Damit die Menschen E-Fahrzeuge optimal nutzen können, muss die Politik dafür sorgen, dass sie möglichst in der Nähe ihrer Wohnung oder ihres Arbeitsplatzes Zugang zu Ladeinfrastruktur haben“, sagt Professor Frances Sprei.

Erkenntnisse durch Interviews

Witzigerweise verstehen die meisten Menschen laut Studie weder die physikalischen Einheiten noch den Prozess der Aufladung – beim Verbrenner ist das natürlich ganz anders. Da ist es klar, dass der Tank mit flüssigem Kraftstoff gefüllt wird, und der nötig ist den Motor anzutreiben.

Demgegenüber bedeutet die Batterieanzeige für viele Stress. Zitat eines Probanden: „Solange es (die Batterieanzeige) grün ist und gut aussieht, ist man zufrieden. Dann braucht man nicht zu laden. Aber wenn sie anfängt zu ticken oder rot zu blinken …, dann weiß man, dass man dass man stoppen und aufladen muss.“ Das ist kein Wunder, denn wenn am Smartphone die Batterieanzeige auf „Rot“ wechselt, weiß man, dass man demnächst offline sein könnte. Ein Horror für den modernen Menschen.

Warum es nicht immer die größte Batterie sein muss

Für potenzielle E-Fahrer stellt sich auch die Frage nach der Größe der Batterie, um die Reichweitenangst zu verringern.

„Wir sehen einen Trend, dass man eine wirklich große Batterie brauche. Andere Untersuchungen zeigen jedoch, dass man im Allgemeinen mit einer etwas kleineren Batterie als der Reichweite eines Benzintanks auskommt, da man eine größere Reichweite nur für eine sechsstündige oder längere Fahrt benötigt, bei der der Fahrer unterwegs aufladen kann. Es wird zu viel Wert auf wirklich große Reichweiten gelegt, und das führt zu höheren Fahrzeugpreisen und einem höheren Ressourcenverbrauch der E-Fahrzeuge“, sagt Professor Sprei.

Zusammenfassend zeigt die neue Studie, dass man sich für den Alltag der meisten Menschen keine allzu großen Gedanken über das Aufladen machen muss. Was die Kosten angeht, so ist das langsame Aufladen über Nacht oder am Arbeitsplatz ohnehin viel billiger als das schnelle Aufladen unterwegs, und es ist besser für die Gesundheit der Batterie.

freitag special: über reichweitenangst und aufladegeschwindigkeit – brauchen stromerskeptiker einfach nur eine andere sicht auf die dinge?

Der „Horror“ beginnt für viele Neulinge, wenn die Batterieanzeige im Stromer auf Rot wechselt.

e-engine meint: Die Studie bevorzugt freilich wieder Situationen, die in der freien Wildbahn seltener vorkommen, als von einschlägigen Medien kolportiert und meistens nur für wohlhabende Verbraucher gelten. Die Wallbox zu Hause setzt ein solches Zuhause (sic!) voraus – also ein Einfamilien-, oder Zweifamilienhaus, bevorzugt mit PV-Anlage. Die Wallbox beim Arbeitgeber ist auch nicht unbedingt Standard – vor allem bei Klein- und mittleren Betrieben. Es sei denn, der Chef ist ein überzeugter Elektromobilist.

Und schließlich sollte man nicht vergessen, dass die Reichweitenangst direkt etwas mit der Schnelligkeit des Aufladens zu tun hat. Einen Tank kann man in minutenschnelle aufladen, bei einer Batterie dauert das in der Regel ab 25 Minuten. Und dabei sollte man eine Gleichstromladesäule mit hoher Ladeleistung finden und nicht etwa eine 22 kWh-Säule AC, die Stunden benötigt um ein leergefahrenes Elektrofahrzeug, das ohnehin nur 11 kW verträgt, wieder aufzuladen.

Es gibt hier noch viel zu tun. Es sind vor allem die Eventualitäten, die der Massenadoption der Elektromobilität hier im Wege stehen. Auch die großen Batterien haben durchaus ihren Sinn. Wer mal eben eine Tagestour unternehmen möchte, die mehr als 350 Kilometer beträgt, ist mit einem Stromer mit Minibatterie kaum zufrieden zu stellen – selbst wenn er die Möglichkeit hat, den zu Hause abends wieder an die Wallbox zu klemmen.

Und eine Batterie, die mehr als 400 km in allen Lebenslagen zulässt, ist schon mal relativ teuer. Beim Verbrenner einen größeren Tank einzubauen erfordert hingegen kaum finanziellen Aufwand. Es gibt noch viel zu tun.

TOP STORIES

Top List in the World