STO, Sterrato, Spyder und Tecnica: Wir machen uns mit den vier heute noch erhältlichen Derivaten des auslaufenden Lamborghini Huracán auf den Weg durch Italien. Arrivederci, V10!
Zu aller Anfang steht der V10. Jener mittlerweile sagenumwobene 5,2-Liter, der bereits in den letzten Lebensjahren des Gallardo zum Einsatz kam. Vor knapp zehn Jahren ging er mit 610 PS an den Start. Bis heute hat sich daran nicht wirklich viel geändert. Zwar gab es nach einigen Jahren ein kleines Upgrade auf 640 PS, doch die Grundcharakteristik blieb über die Jahre identisch: ein emotionales Sahnetriebwerk mit wunderbar linearer Leistungsentfaltung, wie es eben nur ein Sauger kann.Denn Turbopunches von unten heraus sind zwar etwas Feines, doch diese fühlen sich irgendwie immer an, als würde ihnen oben heraus die Luft ausgehen. Der Sauger dagegen entwickelt mit steigenden Drehzahlen immer mehr Kraft, was im direkten Verhältnis zu den sich ebenfalls erhöhenden Fahrwiderständen steht. Der Sauger bricht also im Fahrer-Popometer nicht ein, sondern verlangt nach immer mehr. Dieses Gefühl von “Er will gedreht werden” kommt genau daher.
Bild: Kevin Brych / AUTO BILDDas müssen wir uns auf dieser Tour immer wieder ins Gedächtnis rufen, schließlich soll der Nachfolger noch in diesem Jahr einen aufgeladenen Achtzylinder mit Hybridunterstützung bekommen. Puristen werden sich trotzdem die Hände vor das Gesicht schlagen, aber dem Großteil der Kundschaft, der eher auf die Außenwirkung als auf die inneren Werte aus ist, dürfte es egal sein.
Die Maximalleistung liegt bei 8000 Umdrehungen an
Bild: Kevin Brych / AUTO BILDDoch nach ein paar Kilometern nervt uns das monotone Gezuckel. Gut, dass uns das Navi eine kurvige Alternativroute vorschlägt, auf der wir zum einen die Grenze der Emilia-Romagna in die Toskana überfahren und darüber hinaus von herrlichen Alleenstraßen, gesäumt von den hier so typischen Zypressen, empfangen werden. Ich glaube zumindest, es sind Zypressen – was die Flora angeht, bin ich schon froh, einen Baum von einer Blume unterscheiden zu können …Trotz unseres szenischen Umwegs und einiger Fotostopps kommen wir nicht als Letzte am Treffpunkt an. Die beiden französischen Youtuber mit ihrem STO sind noch etwas nach uns am Ziel. Und genau dieses Geschoss übernehmen wir nun. Während der offroadige Sterrato mit seinen Stollenreifen und martialischen Anbauteilen die letzte der Sonderversionen ist, hatte der STO 2021 zuerst das Vergnügen. Er war das ultimative Tracktool der Huracán-Baureihe. Innen leer geräumt, alles voller Kohlefaser, eine eigene aktive Aerodynamik – so überzeugte er uns schon im Supertest.In ihm geht es zunächst auf eine kleine Fotorunde mit allen vier Modellen, dann wieder auf die Autobahn. Vorher entdecken wir jedoch noch einen bekannten Ortsnamen: Sant'Agata – allerdings nicht Bolognese, sondern Sant'Agata Mugello. Aber in Italien sind ja so einige Kirchen der heiligen Agatha gewidmet – und damit oft auch die Orte selbst.Vorbei an Florenz geht es südwestlich über verschlungene Landstraßen nach Volterra. Auf einem Bergrücken inmitten einer zerfurchten Hügellandschaft gelegen, gilt sie als eine der schönsten Städte in der Toskana. Allein die Anfahrt ist ein Schauspiel, besonders bei derartigem Traumwetter und mit einem 640 PS starken und rein hinterradgetriebenen Untersatz. Doch auch die historische Altstadt und die allgegenwärtige Alabaster-Handwerkskunst sind äußerst sehenswert.
Zum Glück bröckelte bei den Gasstößen nicht der Putz vom historischen Gemäuer
Und gerade diese Altstadt haben wir nun mit unseren vier Huracán ganz für uns. Während die Kollegen essen gehen, toben wir uns mit Fotograf Kevin eine Stunde lang aus, positionieren die insgesamt 2530 PS zu ein paar überragenden Gruppenbildern und unterhalten nebenbei Jung und Alt. Denn zur Mittagszeit fährt alle zehn Minuten ein kleiner Schulbus auf die Piazza, und auch die städtischen Mitarbeiter aus dem Rathaus und der anliegenden Polizeistation haben gerade Mittagspause.Das lässt sich natürlich keiner entgehen – sie schlendern mehr oder weniger auffällig um die Autos herum, fast alle machen Fotos, einige tuscheln, manche stellen interessierte Fragen. Was kostet der? Wie schnell fährt der? Kann man mal den Motor sehen? Die Antworten: mindestens 229.709 Euro (Tecnica); zwischen 260 (Sterrato) und 325 km/h (Evo Spyder) und: Ja, klar, ihr dürft den Zehnzylinder sogar hören. Zum Glück bröckelte bei den Gasstößen nicht der Putz vom historischen Gemäuer.Nach der Stärkung geht es weiter im Evo Spyder. Dem einzigen noch übrig gebliebenen “normalen” Huracán, denn das Coupé wurde Mitte letzten Jahres eingestellt. Auch der Spyder leistet mittlerweile 640 PS, kommt stets allradgetrieben zum Kunden und liegt soundtechnisch ganz vorn. Auch mit geschlossenem Stoffmützchen, denn in der Zwischenzeit hat es angefangen zu nieseln. Dabei kommt ein weiterer Nachteil des Spyder zum Vorschein: die Kopffreiheit. Klappt das im Coupé noch sehr manierlich, kann ich hier mit meinen 1,96 Metern nicht mehr aufrecht sitzen.Nun muss es aber ein bisschen schneller vorangehen, denn wir haben schon gewaltig Verzug. An einer Raststation wechseln wir in den Tecnica – unser letztes Derivat für diese Reise und irgendwie mein persönlicher Favorit in der Huracán-Palette. Nicht nur, weil er der günstigste ist, sondern auch weil sie mit ihm die Baureihe optisch am gelungensten überarbeitet haben und er am meisten Fahrspaß bringt.