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Peking Auto Show: „China lässt Mercedes oder BMW nicht mehr bestimmen“

Mehr als zehn Jahre lang war Sam Guo einer der Mächtigen bei Mercedes in China. Bei einem Spaziergang über die Peking Auto Show sorgt er sich: Ist eine elektrische G-Klasse wirklich die Antwort auf Chinas immer größeres Selbstbewusstsein?

peking auto show: „china lässt mercedes oder bmw nicht mehr bestimmen“

Peking Auto Show: „China lässt Mercedes oder BMW nicht mehr bestimmen“

Nachricht von „UncleSam“ bei WeChat: „Ich bin am VW-Stand. Vor dem Touareg.“ Vorn auf dem riesigen Messestand hat Volkswagen seine Verbrenner wie eben den Touareg geparkt, die Modelle müssen schließlich die nächsten Jahre noch Geld liefern. Die Elektrohoffnungen stehen erst weiter hinten.

Als Europäer hat man bei der Autoshow in Peking einen Vorteil: Man wird erkannt, auch wenn an diesem ersten Messetag gar nicht so wenige da sind. „Hey Christoph“, tönt es aus der Menge vor dem Touareg. Sam Guo (40), der sich im chinesischen Kurznachrichtendienst “Uncle Sam” nennt, ruft lächelnd: „Willkommen in Peking. Willst Du einen Kaffee?“

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An diesem Donnerstagmorgen hat die Auto China 2024, die inzwischen größte Automesse der Welt, ihre Tore geöffnet. In acht Hallen tummeln sich hier unzählige einheimische Angreifer, weit weniger internationale Hersteller versuchen dagegenzuhalten. Weit über 100 Weltpremieren soll es in diesem Jahr geben. Während die großen Messen in Europa und den USA aus der Mode gekommen sind, drehen die Veranstalter in China jetzt so richtig auf.

Wer sich mit Sam Guo durch die knallvollen Hallen und Gänge des Pekinger Messegeländes schiebt, muss sich auf Unterbrechungen einstellen. Guo ist hier bestens vernetzt. Er ist in Peking geboren und aufgewachsen. Und er hat in der Autoindustrie eine steile Karriere hingelegt. Mehr als zehn Jahre lang zählte er zu den Mächtigen bei Mercedes in China, war einer der Chefs von Car2go und leitete später die Innovationseinheit des Autobauers. Im Sommer 2020 ging er. Heute ist Guo Investor, setzt beispielsweise auf Nutzfahrzeuge und ist immer noch Teil der heimischen Szene. Und er macht sich Sorgen um seinen ehemaligen Arbeitgeber.

Der Mercedes-Chefentwickler wartet auf den Joghurt

Am Starbucks-Stand herrscht am Morgen heilloses Chaos. Digitale und mündliche Bestellungen gleichzeitig, das kann selbst die ultraschnellen Chinesinnen und Chinesen hinter der Theke überfordern. Guo trifft in der Warteschlange einen Mercedes-Mitarbeiter. Sie tauschen sich aus über einen gemeinsamen Kollegen von früher, der sei jetzt bei Mercedes in China auf Level 3 aufgestiegen, erzählt der Mann. Dann muss er weiter, Entwicklungschef Markus Schäfer (58) warte drüben auf frischen Kaffee und Joghurt. „Mercedes in a nutshell“, stöhnt Guo. Die Deutschen würden immer noch in ihrem alten Habitus verharren: viel Politik, Titel über Transformation.

Am Mercedes-Stand thront über allem eine elektrische G-Klasse. Bullig, fast wie ein Panzer, dominiert sie die Halle E4. Im wahrsten Sinne des Wortes: Die Schwaben haben ihren Elektrogeländewagen auf ein Podest gestellt, das ein riesiges „G“ ziert. Auch CEO Ola Källenius (54) ist gekommen und für einen Plausch mit VDA-Präsidentin Hildegard Müller (54) hochgeklettert. Das Auto ist Mercedes’ Versuch einer Antwort auf die Herausforderungen in China.

Entwicklungschef Schäfer verspricht dieser Tage in Peking wie andere Topmanager deutscher Autobauer mehr „China-Speed“. Den Applaus, auf den er während seiner Pressekonferenz am Donnerstagmorgen in kurzen Sprechpausen zu hoffen scheint, bekommt er aber nicht.

Eine elektrische G-Klasse als Antwort? „Ich liebe Mercedes“, sagt Sam Guo. Er leidet irgendwie mit seinem alten Arbeitgeber mit, auch wenn es ihn nicht dahin zurückzieht. „Manchmal muss man im Leben das, was man liebt, gehen lassen.“

Starkult um den Xiaomi-Boss

Gejubelt wird in Peking bei anderen. Bei Xiaomi zum Beispiel. Der Smartphonekonzern hat die Autowelt jüngst mit einer schicken E-Limousine für weniger als 30.000 Euro beeindruckt. Gründer Lei Jun (54) ist hier der Star. Geht er zwischen den Ständen umher, wird er direkt von einer riesigen Traube Fans umgeben. Jeder und jede will ein Selfie. Wer im Weg steht, wird überrollt. Lei Jun scheint es zu genießen – und präsentiert der Menge sein neues Elektromodell.

Ein Highlight der Autobranche sei die Messe, meint Georg Mrusek von der Beratung Horvath. „Der Stolz der Chinesen ist hier überall greifbar.“ Bis zu 500 Euro sollen begeisterte Car-Guys und Car-Girls bezahlt haben, um schon an diesem Pressetag – noch vor der offiziellen Eröffnung – bei der Autoshow dabei sein zu können.

Von Minicars über „den chinesischen Porsche“ bei der BYD-Tochter Yangwang bis hin zu einem Cybertruck-Imitat bei Dongfeng – Autofetischisten bekommen hier von Copycats über Prototypen für fliegende Autos bis hin zu wilden Studien so ziemlich alles zu sehen. Der neue Marktführer BYD ist unübersehbar vertreten. Und natürlich protzen auch die anderen chinesischen Elektrostars: Aion, Wuling, Changan, Geely, Nio, Neta oder XPeng. Sie dominieren schließlich auch die Verkaufscharts, wo unter den Top Ten nur Tesla und BMW noch als westliche Hersteller auftauchen.

Die Deutschen wirken im Vergleich dazu ziemlich gemäßigt. Auch bei Volkswagen, Mercedes oder BMW schauen viele Interessierte am Donnerstag vorbei, das ganz große Gewusel herrscht dort aber nicht. Am Porsche-Stand, wo ein fliederfarbener Macan und der neue Taycan präsentiert werden, haben sie einen weißen Drachen aufgebaut. Nett, aber nicht außergewöhnlich. Ein Schamane, der sich beim neuen Marktführer BYD herumtreibt, zieht deutlich mehr Blicke auf sich.

War es das? Jahrzehntelange Dominanz der Deutschen auf dem größten Automarkt der Welt in ein paar Jahren weggewischt?

Nicht so schnell, sagt Sam Guo. Ja, Chinas Autobauer seien agil. „Sie verbrennen aber auch in einem irren Tempo Geld. Das wird bei vielen nicht gutgehen.“ Zuletzt platzten die Träume von Marken wie „Weltmeister“ oder HiPhi. „Davon werden wir in nächster Zeit mehr sehen.“ Viele der Marken pushten zu extrem. Guo fehlt bei einigen der Newcomer die Bodenhaftung. „Fake it till you make it“ sei auch hier ein weitverbreitetes Phänomen. Selbst für Xiaomi würde er seine Hand nicht ins Feuer legen.

Die Überlebenschancen für Mercedes und Co. stünden deshalb gar nicht so schlecht, glaubt Guo. Marktanteile und Gewinne werden aber weiter sinken. „Eines sollten sie endlich verstehen: China lässt Mercedes oder BMW nicht mehr bestimmen. Die Kunden hier wollen selbst bestimmen.“ Wer nicht bereit sei, von den Menschen hier zu lernen, werde leiden. Eine elektrische G-Klasse als großer Fortschritt? Eher nicht.

Lob hat er ausgerechnet für Volkswagen, deren China-Chef Ralf Brandstätter (55) sich dieser Tage müht, die Neuausrichtung der Marke zu erklären und dessen Produktchef den Markt gerade als „Schlachtfeld“ bezeichnet hat. VW-Autos seien zwar nicht mehr cool, „die neue Strategie ist aber mutig“, lobt Guo, der ehemalige Mercedes-Mann. Die Kooperation mit XPeng könnte funktionieren – wenn VW wirklich bereit ist zu lernen, meint er. Umgekehrt profitiere natürlich auch XPeng. „Ein globaler Sugardaddy ist das beste Schutzschild im Abnutzungskampf.“

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