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Verkehrsberuhigung in Barcelona: Nicht alle profitieren von den Superblocks

verkehrsberuhigung in barcelona: nicht alle profitieren von den superblocks

Autofreier Raum in der Stadt: In den Superblocks in Barcelona ist es tagsüber leiser geworden – aber jetzt leiden Anwohner nachts unter dem Lärm der Feiernden.

Der Name klingt nicht gerade nach Städtebau. Aber in Barcelona spricht man inzwischen vom Avocado-Index, um zu beschreiben, wie sich gefragte Viertel verändern. Traditionelle Bars, in denen die Einheimischen zum Kaffee morgens schnell ein „Pan con Tomate“ essen, verschwinden. Sie machen Platz für neue Brunchlokale mit Avocado-Toast auf der Speisekarte. Diese Entwicklung lässt sich besonders in den „Superilles“ beobachten. In die üppig begrünten und verkehrsberuhigten Superblocks im Eixample-Viertel im Zentrum der katalanischen Hafenstadt pilgern Stadtplaner aus aller Welt. Barcelona ist zum großen Vorbild geworden. Frankfurt will gleich drei solche Blocks einrichten. Auch Stuttgart, Hannover und Berlin lassen sich inspirieren.

verkehrsberuhigung in barcelona: nicht alle profitieren von den superblocks

Verkehrsberuhigt im Quadrat: In Barcelona werden Stadtviertel umgestaltet und der Autoverkehr wird reduziert. Das trifft jedoch die Pendler und führt zu steigenden Immobilienpreisen.

Barcelona hat Erfahrung. Die beruhigten Stadtquartiere wachsen dort schon seit der Jahrtausendwende. Aber der urbanistische Exportschlager ist kein Allheilmittel. Wie sehr die „Superinseln“ in der Stadt umstritten sind, zeigte die Kommunalwahl im Mai 2023. Die linksalternative Bürgermeisterin Ada Colau hatte sie zum Paradeprojekt für ihre Wiederwahl gemacht. In einem Kraftakt ließ sie fast drei Kilometer der Consell-de-Cent-Straße bis zum Wahltag für 25 Millionen Euro umgestalten. Platanen und Akazien wurden gepflanzt, Fußgänger erhielten Vorrang. Colau, die mit der Ankündigung angetreten war, noch viele solche Stadtquartiere zu bauen, wurde jedoch nicht wiedergewählt.

verkehrsberuhigung in barcelona: nicht alle profitieren von den superblocks

Fahrradfahrer und Co.: Durch die Umwidmung der Straßen haben andere Verkehrsteilnehmer mehr Platz zur Verfügung.

Ihr sozialistischer Nachfolger Jaume Collboni trat auf die Bremse. Dazu trugen auch mehrere Prozesse bei, gegen die die Stadtverwaltung in Berufung gehen musste. Im September hatte ein Verwaltungsgericht wegen planungsrechtlicher Fehler angeordnet, die „grüne Achse“ an der gerade fertiggestellten Consell-de-Cent-Straße wieder den Autofahrern zurückzugeben. Der Einzelhandelsverband Barcelona Oberta war einer der Kläger. Geschäftsleute hatten der abgewählten Bürgermeisterin vorgeworfen, sie habe ihre Pläne durchgesetzt, ohne das Gespräch mit ihnen zu suchen.

Deutliche Verkehrsberuhigung hat ihren Preis

„Es gibt keinen Grund, irgendetwas am Consell de Cent abzubauen. Das Ur­teil bezieht sich auf einen angeblichen Fehler beim städtischen Planungsverfahren. Nicht einmal die Kläger fordern, das Projekt rückgängig zu machen“, sagt der Architekt Jaume Barnada, der im Büro der Chefarchitektin der Stadtverwaltung arbeitet.

Ein Selbstversuch hilft zu verstehen, weshalb eigentlich niemand mehr in die Autozeit zurückwill. Es genügt, aus einer großen Avenue, durch die sich weiter der Verkehr wälzt, auf die Consell-de-Cent-Straße abzubiegen: Auf einmal geht der Atem ruhiger, der Puls wird langsamer. Man fühlt sich wie auf einer grünen Insel mitten in einer Großstadt. Statt Parkplätzen warten dort Bänke, Picknicktische und Spielplätze; Cafés laden unter den Bäumen zum Verweilen ein. Die Menschen flanieren entspannt, Kinder spielen. Nur ab und zu rollt ein Lieferwagen im Schritttempo auf der einzigen Fahrspur.

Noch vor einem Jahr hatten in dem mit 36.000 Menschen pro Quadratkilometer dicht besiedelten Stadtteil die Autos zweispurig Vorfahrt. Jeden Tag brausten mehr als 350.000 Fahrzeuge durch den mehr als hundert Jahre alten mondänen Eixample-Bezirk. Jetzt dürfen nur noch Anwohner und Lieferanten jeweils in eine Richtung fahren. An 21 Kreuzungen entstanden grüne Plätze und bisher vier „grüne Achsen“. Ursprünglich sollten es 21 werden, mit einer Gesamtlänge von 33 Kilometern.

Doch die Ruhe hat ihren Preis – für Autofahrer, Mieter und Wohnungskäufer: Wer in dem Viertel wohnt, kann nicht mehr vor der Haustür parken. In fünf bis zehn Minuten Entfernung stünden jedoch ausreichend private oder öffentliche Parkhäuser zur Verfügung, sagt der Architekt Barnada. In Spanien wurden in den Großstädten in der Vergangenheit mehr solche Parkanlagen gebaut als in Deutschland. Klagen kommen aber von den Bewohnern des Großraums von Barcelona, in dem mehr als 3,3 Millionen Menschen leben (in der Stadt selbst sind es gut 1,6 Millionen), die mit dem Auto ins Eixample-Viertel fahren.

Starker Anstieg der Attraktivität, aber auch von Mieten

Laut einer Studie des spanischen Automobilklubs RACC aus dem vergangenen Jahr kommen rund 80 Prozent der Autofahrer von außerhalb, um zu arbeiten, einzukaufen, Geschäftstermine wahrzunehmen oder auszugehen. 70 Prozent gaben an, dass der öffentliche Nahverkehr für sie keine überzeugende Alternative sei: Die Verbindungen seien schlecht und die Preise zu hoch. Aber bei einem besseren Angebot wären die meisten bereit um­zusteigen.

In Katalonien sind besonders die Regionalbahnen („Rodalies“) unzuverlässig, veraltet und überlastet. Zu den Einheimischen kommen für den öffentlichen Nahverkehr noch die Touristen. Fast 26 Millionen waren es 2023. Aber Autofahrer sind in der Innenstadt längst eine Minderheit. Sie machen am gesamten Verkehrsaufkommen nur noch 17 Prozent aus. Ein Drittel nutzt Busse und Bahnen, die Hälfte geht zu Fuß.

Für die meisten ist die Attraktivität der grünen Zonen gewachsen. „Das hat verheerende Auswirkungen auf den Immobilienmarkt, die die Gen­trifizierung drastisch beschleunigen werden“, warnt die in Barcelona erscheinende Tageszeitung „La Vanguardia“ und bezieht sich auf eine Studie der Immobilienberatungsgesellschaft CBRE. Nicht nur die alten Bars, sondern auch immer mehr der bisherigen Bewohner können sich die umgestalteten Viertel nicht mehr leisten und ziehen weg. Straßen wie Consell de Cent sind nur noch für neue Mieter mit hohem Einkommen bezahlbar, die oft nur kurze Zeit dort wohnen.

Laut CBRE verdoppelten sich dort in nur 18 Monaten die Mieten (Stand Mitte 2023). Die durchschnittliche Monatsmiete übersteigt demnach 3000 Euro. Gleichzeitig habe sich die Zahl der Mietverträge verdreifacht, die über weniger als ein Jahr liefen. Andere Makler berichten, dass unter den neuen Mietern fast die Hälfte Ausländer seien. Aus den Zahlen des Immobilienportals Idealista geht hervor, dass die Mieten an der Consell-de-Cent-Straße praktisch doppelt so hoch sind wie zum Beispiel in der nah gelegenen València-Straße.

Der städtische Architekt Jaume Barnada verfolgt diese Entwicklung mit Sorge. Nach seinen Worten halten sich zumindest die Erhöhungen der laufenden Verträge in Grenzen. Laut dem Register der katalanischen Regionalregierung lagen sie bei rund drei Prozent. „Barcelona war schon immer eine teure Stadt, während die meisten Einwohner rund ein Drittel weniger verdienten als in vergleichbaren europäischen Städten”, klagt Barnada.

Klimakrise setzt städtische Gesellschaft unter Druck

Auch die neue Stadtregierung unter dem Sozialisten Collboni sieht zu mehr Grün und weniger Fahrzeugen auf den Straßen keine Alternative – aber mit etwas anderen Schwerpunkten. Dazu trägt die Klimakrise bei. Anfang des Jahres rief Katalonien den Wassernotstand aus. Bäume und Grünanlagen dürfen nicht mehr gegossen werden, höchstens in Ausnahmefällen mit Brauchwasser, was jedoch nicht ausreicht. Der Ciutadella-Park erinnert schon fast an eine Wüste. Wenn es nicht noch heftig regnet, müssen Tankschiffe im Sommer Trinkwasser liefern.

Aber die Stadt braucht den Schatten und den Luftfilter ihrer Bäume immer dringender. Die Sommer werden immer länger und heißer, während die Luftqualität in Barcelona (und Madrid) zu den schlechtesten in ganz Europa gehört. Die EU verwarnt Spanien deshalb schon seit Jahren. Barcelona ist die einzige spanische Stadt, die derzeit den Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Stickstoffdioxid nicht einhält. Doch von 2030 an wird der EU-Grenzwert bei 20 Mikrogramm liegen.

Für Mark Nieuwenhuijsen vom „ISGlobal“-Institut in Barcelona ist klar, was zu tun ist: „Wir brauchen dringend mehr Superblocks wie den Consell de Cent“, fordert der Forscher. Nach Berechnungen seines Instituts kommt es in der Stadt jedes Jahr zu 3000 vorzeitigen Todesfällen und etwa 5000 Erkrankungen, die sich durch besseren Städtebau vermeiden ließen, weil sie auf Luftverschmutzung, hohe Temperaturen und Lärm zurückzuführen seien.

Mehr Ruhe am Tag, mehr Lärm in der Nacht

„Die Stadt und ihre Straßen sind sehr unterschiedlich. Wir müssen alle Viertel erreichen und werden uns nicht nur auf das zentrale Eixample-Viertel konzentrieren“, sagt der Architekt Jaume Barnada. Im Zentrum bepflanzt die Stadtverwaltung zum Beispiel verstärkt die großen Innenhöfe. Das geschieht auch entlang des Rambla-Boulevards, auf dem der Verkehr noch weiter reduziert wird – wie auf den großen Avenidas wie der Diagonal. Mit dem neuen Glòries-Park entsteht mitten in der Stadt zudem eine neue grüne Lunge. Ein Verkehrsknoten verschwand dafür schon unter der Erde – die Verkehrsdichte in Barcelona ist viermal so hoch wie in London. „Das wird die nächste große Superinsel“, meint Jaume Barnada.

Die Veränderungen finden Anklang, auch wenn nicht alle zu 100 Prozent zufrieden sind. In manchen Superblocks genießen die Einwohner tagsüber die Ruhe in den Straßen, klagen aber dafür, dass es dort abends und nachts lebendiger und lauter geworden ist, wenn junge Leute kommen, um draußen zu feiern. Im Eixample-Viertel halten laut einer Umfrage der Autonomen Universität Barcelona 66 Prozent der Befragten die „Superilles“ für gut. Selbst in den Nachbarstraßen, in die der Verkehr auswich, ist eine Mehrheit der Einwohner dafür.

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