Die Neuauflage des französischen Klassikers hat es in sich. Vor allem das Topmodell, die Alpine A110 R, ist auf der Rennstrecke zu Hause.
- Französin auf dem Sachsenring
- Diät für die Alpine
- Technische Finessen
- Ab auf die Strecke
- Performance am Sachsenring
Wo fange ich an, wo höre ich auf? Kennen Sie das? Wenn Ihr Kopf so voller Superlative und Eindrücke ist, dass Sie nicht wissen, was Sie zuerst sagen, in diesem Fall schreiben sollen. So war das vor genau einem Jahr. Nach den ganzen Coronaquerelen hatten es die Franzosen endlich geschafft, eine Handvoll Journalisten für eine Probefahrt mit der A110 R auf die Rennstrecke Jarama nördlich von Madrid zu schicken. Endlich? Ja, eigentlich war das Auto schon für Mitte 2022 angekündigt, man empfing uns in Tokio, um es dort anzutesten, das lief aber komplett schief. Na ja, jetzt aber: Jarama. Das Auto: der Hammer. Die Strecke: der Französin wie auf den Leib geschneidert. Alle wichtigen Ingenieure dabei, fast jedes Bauteil als Exponat ausgestellt, jeder Entwickler und Testfahrer mit Dauergrinsen. Klar, sie durften der Welt endlich ihr Werk zeigen und vorführen.Werk ist beinahe untertrieben. Kunstwerk trifft es besser. Denn nichts anderes ist das, wenn man etwa ganz frech zu einem Unternehmen wie Duqueine geht, das normalerweise für den Airbus A350 den Kohlefaserrumpf baut, und sich von denen Carbonfelgen entwickeln und fertigen lässt. Sie merken schon, das Alpine-Team hatte bei der A110 R beinahe freie Hand, alle Register gezogen, Geld spielte anscheinend keine Rolle. Womit wir wieder bei den Superlativen sind. Und wie gesagt: Damals war ich so richtig geflasht von der Technik und vom Fahren. Wie das Ding um die Ecken biegt, wie leichtfüßig alles ist, herrlich. Und ich weiß, wie extrem und gut so ein Porsche 718 Cayman GT4 RS ist und performt. Geflasht war ich aber auch vom Preis, mindestens 109 950 Euro teuer ist eine R. Aua, zumal so einer wie der 718 Cayman GTS 4.0 rund 19.000 Euro günstiger ist. Aber auch 400 Kilogramm schwerer. Heftig, wenn man diese Zahlen sieht, stimmt’s?
Bild: Ronald Sassen / AUTO BILD
Französin auf dem Sachsenring
Diät für die Alpine
Stellen wir das Mädchen erst mal auf die Waage. Wie viel leichter ist es wirklich? Die Werksangabe besagt 34 Kilogramm gegenüber der Basisversion. Was zeigt unsere Radlastwaage an? 1066 Kilogramm! Also exakt 62 Kilogramm weniger im Vergleich zur zuletzt gemessenen A110 S (2022) und 34 Kilogramm gegenüber der Basis-A110 (2018), wie versprochen. 62 Kilogramm klingen in Anbetracht der Menge an unschwer erkennbarem Carbon nicht nach großer Diät. Doch im Bereich von 1,1 Tonnen ist das eine Welt, die man auch später beim Fahren spüren wird. Und damit meine ich nicht nur unsere Popometer, das würden auch Sie sicher merken. Wie kommt es zum doch immensen Gewichtsverlust?
Bild: Ronald Sassen / AUTO BILD Die meisten Pfunde spart man sich durch die zweiteiligen Carbonfelgen von Airbus-Zulieferer Duqueine. Das Rad in 7,5 x 18 vorn wiegt 6,6 Kilogramm, die 8,5-Zoll-Felge hinten 6,9 Kilogramm. Eine Ersparnis von 12,5 Kilogramm (pro Radsatz) gegenüber Alu – und zwar dort, wo es am schönsten ist: bei den ungefederten Massen. Aus Carbon sind auch Haube (–2,6 kg), Dach, Seitenschweller, größerer Heckdiffusor, schwanengehalster Heckflügel und Motorabdeckung (–4 kg). Dass man jetzt nicht mehr nach hinten rausschauen kann, war wahrscheinlich auch im Diätplan enthalten: Man braucht keinen Innenspiegel und keine hinteren Seitenscheiben. Weitere Schwergewichte bei der Kilovernichtung sind die Carbon-Schalensitze von Sabelt (–5 kg) sowie das Entfernen nicht zwingend notwendiger Teile (–8,9 kg). Dazu zählt unter anderem Dämmmaterial zwischen Motor und Kabine, mehr Sound inklusive.Genau wie der lautere Auspuff, dessen Klappe man eliminiert hat. Spart 700 Gramm. Zu der Tröte noch zwei Sätze: Der Doppelauspuff wurde mit einer 3D-gedruckten Doppelwand versehen, um die Abgase zu isolieren und andere Teile in der Nähe zu schützen. Die Funktionsweise ist einfach: Die Außenwand bleibt kälter als die Gase, die durch den zentralen Auspuff strömen, und schafft so ein Gleichgewicht zwischen innen und außen.
Technische Finessen
Bild: Ronald Sassen / AUTO BILD Bei all dem Gewichtsspar-Wahnsinn hätten es die Franzosen einfacher haben können. Mehr Leistung rein fertig. Das ist jedoch ein Ansatz, der den Herrschaften bei Alpine zutiefst zuwider ist. Und das schon seit eh und je. Es bleibt beim 1,8- Liter-Vierzylinder-Turbo aus der 110 S mit 300 PS und 340 Nm. Dass der Motor mehr verträgt, kann man anhand von Gerüchten über eine A110 RS erahnen. Man munkelt von weit über 350 PS. Eine Zeit von knapp sieben Minuten soll damit auf der Nordschleife möglich sein. Zumindest hat man das bei einem Prototyp mit Formel-1-Fahrer Esteban Ocon handgestoppt. Spannend, wir werden berichten.Zurück zur, Pardon, in die R. Über ein Strebenkreuz eines Überrollkäfigs muss man nicht steigen, der Rest ist aber Motorsport pur. Man gleitet schön in die Carbonschalen, schließt die Tür über etwas zu groß geratene Schlaufen, streift die Hosenträgergurte über, klickt alles zusammen, fertig. Die Sitzposition ist etwas tiefer als bisher. Die Polsterung ist nur partiell, erinnert ein wenig an den McLaren Senna, dennoch ist die Schale auch bei längerer Fahrt saubequem.
Ab auf die Strecke
Den großen roten Startknopf nicht mit einem Not-Aus im Rennwagen verwechseln, den Taster drücken, dann erwacht der Vierzylinder. Weiter vorn auf „D“ drücken und los. Durch die Stadt, es geht, es hoppelt, die Rundumsicht ist mit geschlossener Heckscheibe und fehlendem Innenspiegel gewöhnungsbedürftig. Beim Parken muss man die vordere Carbonlippe immer mit einplanen. Der Sound hält sich entspannt zurück.Auf offener Strecke tönt es mit zunehmender Drehzahl dann auch deutlich kerniger aus den neuen Rohren. Im kurvigen Geläuf spürt man die Diät. Die Vorderachse ist noch agiler, mehr unter Zug als alles, was wir von den Neuzeit- Alpine bisher gefahren sind. Der Hintern folgt ziemlich unbeeindruckt. Alles ist straffer, konzentrierter, souveräner, deutlich weniger Wank- und Rollneigung. Das Getriebe arbeitet im Normal-Mode immer noch etwas zu schläfrig, Sport und Track sind da deutlich angenehmer, ohne dabei laufend in den Begrenzer zu drehen. Vor allem über die stehenden Wippen handgeschaltet kommt richtig Freude auf.
Performance am Sachsenring
Kommen wir zur alles entscheidenden Prüfung, die harte Währung, das, was alle wissen wollen: die Rundenzeit am Sachsenring. Kleine Enttäuschung vorweg: Wir haben einen Beipackzettel vermisst, auf dem das Maximalgewicht des Fahrers steht. Ehrlich, das hätten wir den Franzosen bei all dem Leichtbau-Wahnsinn zugetraut.Spaß beiseite, was ging bisher mit den Alpine A110 hier auf der Strecke? Die 252 PS starke Basis-A110 glänzte mehr mit ihrem wilden Tanz statt mit brauchbaren Zeiten, mehr als eine mittlere 38er-Runde war nicht drin, die Konkurrenz klar schneller. Mit der stärkeren und optimierten A110 S war man schon deutlich mehr auf der Ideallinie unterwegs, einen Tick schneller als der 718 Cayman S, doch in Anbetracht von Gewicht und Leistung waren die 1:36,13 Minuten noch keine Jubelschreie wert.
Bild: Ronald Sassen / AUTO BILD Mit wem muss sich diese A110 R messen? Rein übers Leistungsgewicht von 3,5 Kilogramm pro PS reden wir von einem 718 Cayman GT4. Der fuhr hier 2022 mit Cup-2-Reifen 1:31,51 Minuten. Illusorisch für die Alpine? Abwarten! Betreuer Patrick Kirfel hatte den Sturz schon bei Testbeginn eingestellt, vorn 1,4, hinten zwei Grad. Auch die Klicks für Zug und Druck hatte er vorab nach den Vorgaben der Alpine-Entwickler justiert. Zum Eingewöhnen einen gebrauchten Satz Michelins, vier Runden später einen frischen Satz, durch die Sonne vorgewärmt. Luftdruck kalt 2,0 Bar rundum, Zieldruck 2,2.Um es auf den Punkt zu bringen: Die R ist nicht weniger ein mechanisches Gripmonster als der GT3 RS. Sie verschweißt sich genauso mehr oder weniger mit der Fahrbahn, ohne dabei das Wort Handling zu verlieren. Sie reagiert auf Lastwechsel, auf sanftes Nachlenken, lässt sich kurvenausgangs ein wenig triezen und dreht sich, wenn man sie auf der Bremse in Richtung Kurve zirkelt, der Fliehkraft ganz fein und präzise entgegen. Das schwächste Glied in dieser Dynamikkette ist der Motor. Glauben Sie es mir oder nicht, mit 360 bis 370 PS wäre die A110 R sehr dicht dran am Cayman GT4. So ist es “nur” eine Zeit von 1:33,18 Minuten, aber 5,3 Sekunden schneller als die A110. Wow, Chapeau!