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BYD Seal U: Was kann das elektrische Familien-SUV aus China?

BYD verliert keine Zeit. Mit dem Seal U bringen die Chinesen nun schon ihr sechstes Modell auf den deutschen Markt. Das Elektro-SUV schafft bis zu 500 Kilometer Reichweite und wendet sich vor allem an Familien. Kann das klappen?

byd seal u: was kann das elektrische familien-suv aus china?

Kein China-Barock: Der BYD Seal U ist ein schick und schnörkellos gezeichnetes Mittelklasse-SUV. Hersteller

Vor noch gar nicht langer Zeit ist BYD nur Eingeweihten ein Begriff gewesen. 2011 hatte Mercedes zusammen mit den Chinesen das Joint Venture Denza gegründet, und obwohl beide Parteien mit jeweils 50 Prozent gleichwertige Anteilseigner waren, wurde BYD aus der herablassenden Perspektive manch westlichen Betrachters als der entwicklungsbedürftige Juniorpartner wahrgenommen.

An Tesla und VW vorbeigezogen

Mit dem Hochmut ist es inzwischen vorbei. Seit vergangenem Jahr gilt das Unternehmen aus Shenzhen als der größten Elektroauto-Hersteller der Welt, noch vor Tesla. Und im April 2023 ist BYD als neuer Marktführer in China an Volkswagen vorbeigezogen. Spätestens da hatte man es auch in die deutschen “Tagesthemen” und andere Medien geschafft.

Doch damit nicht genug. Inzwischen läuft bei BYD das Projekt Europa. Halbe Sachen machen die Chinesen dabei nicht. Das Deutschland-Portfolio umfasst schon fünf Elektromodelle, angefangen beim kompakten Dolphin über den Crossover Atto 3 und die Limousine Seal (unseren ersten Test lesen Sie hier) bis hin zu den feinen Topmodellen Han und Tang (ja, die heißen wirklich so).

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Das ging schnell. Und jetzt wird aus dem Quintett ein Sextett. Im Frühjahr fährt der Seal U vor, der zum wichtigsten Modell im Portfolio werden könnte. Der 4,79 Meter Neue tritt im populären und volumenstarken Segment der mittelgroßen Elektro-SUVs an, dort also, wo sich namhafte Konkurrenten wie Tesla Model Y, VW ID.4 oder Skoda Enyaq tummeln. Für das schnörkellos-schicke Design zeichnet Wolfgang Egger verantwortlich, der eine Vergangenheit bei Audi, Alfa Romeo und Lamborghini hat. Und das “U” im Namen des Stromers steht für “Utility”, zu deutsch “Nutzen”, entsprechend hat BYD als Zielgruppe Familien ausgemacht, die es auch auf der elektrischen Langstrecke gemütlich und geräumig haben wollen.

Viel Ausstattung, fairer Preis

Die Preise lassen durchaus aufhorchen. Zwei Modellvarianten stehen zur Wahl, beide leisten 160 kW/218 PS. Der Einsteiger Seal U Comfort kostet 41.990 Euro, bis Ende März lassen sich noch 3000 Euro Wechselprämie abziehen. Als Gegenwert gibt es eine 71,8-kWh-Batterie für 420 Kilometer WLTP-Reichweite und jede Menge Ausstattung, unter anderem gehören Wärmepumpe, Navi-Infotainment und Panoramaglasdach dazu, außerdem vegan kunstlederbezogene Sitze, die sich elektrisch verstellen, beheizen und belüfteten lassen, hinzu kommen eine 360-Grad-Kamera sowie ein praktisch komplettes Arsenal an Assistenzsystemen.

Für das Topmodell Design stellt BYD 3000 Euro mehr in Rechnung, 44.990 Euro also, und spendiert dafür die größere 87-kWh-Batterie für bis zu 500 Kilometer Reichweite, ein Head-up-Display, gleich zwei induktive Ladeschalen fürs Smartphone sowie ein aufwendiges Infinity-Soundsystem mit bis zu zehn Lautsprechern.

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Verpackt sind all diese Beigaben in ein Fahrzeug, das alles andere als Ramschware ist. Beim Euro-NCAP-Crashtest hat der Seal U die Fünf-Sterne-Topwertung erzielt, die Verarbeitungsqualität erweist sich als sauber, die Atmosphäre als fein und edel, mit großflächigem Ambientelicht, wertig unterschäumtem Kunststoff und schönen Details wie dem kristallinen Fahrstufen-Wählhebel. Hingucker im wahrsten Sinne des Wortes ist der ausstattungsabhängig 12,8 oder 15,6 Zoll große Bildschirm, der sich elektrisch von der Horizontalen in die Vertikale drehen lässt.

Verschlungene Pfade durchs Infotainment

Es erfordert etwas Zeit, bis die Wege durchs Infotainment verinnerlicht sind, der Lernprozess muss aber sein, denn vieles versteckt sich in Untermenüs, die Stummschaltung der mitunter nervigen Piep-Show diverser Fahrassistenten etwa. Und manche der holprig übersetzten Begrifflichkeiten lassen zunächst rätseln. Mit “Intensität der Energierückmeldung” beispielsweise ist die Rekuperationsstärke gemeint (nur zweistufig, kein One-Pedal-Driving) und mit “Modus der Bereichsanzeige” die Reichweiteninfo, die man von “Standard” auf “Dynamisch” umstellen sollte, sonst leitet sich die verbleibende Kilometerzahl nicht von der persönlichen Fahrweise ab, sondern vom allzu optimistischen WLTP-Prüfstandswert.

Aufgefallen ist uns auch, dass auf dem Fahrerdisplay hinterm Lenkrad mitunter ein anderes Tempolimit angezeigt wird als auf dem Zentralbildschirm, das irritiert. Und das Naviziel muss bei jedem Fahrzeugstart neu eingegeben werden. Immerhin funktioniert die Sprachsteuerung gut, und BYD hat darauf verzichtet, ihr – wie andere chinesische Hersteller – eine infantile Avatar-Gestalt zu geben.

Anders als die Limousine Seal ist der Seal U nicht auf einer dezidierten Elektro-Plattform aufgesetzt, sondern auf einer, die auch konventionelle Antriebe trägt. Dennoch kann sich die Raumausnutzung sehen lassen. Auf keinem der fünf Sitzplätze mangelt es an Kopf- und an Beinfreiheit, die Rückenlehnen des im Verhältnis 60:40 geteilten Fond-Sofas sind neigungsverstellbar, das Gepäck reist in einem 552 bis 1440 Liter großen Kofferraum. Den von vielen Elektromobilisten geschätzten “Frunk” unter der Fronthaube hat der Seal U nicht zu bieten, dafür ist er aber zugfähig, die Anhängelast beträgt 750 (ungebremst) beziehungsweise 1300 Kilogramm.

Keine PS-Orgie

Beim Fahrverhalten unterstreicht das Elektro-SUV seine Bestimmung als Familienfreund. Das einmotorige Frontantriebskonzept mit seinen 218 PS schließt sich den PS-Orgien anderer E-Autos nicht an, reicht aber völlig aus, um den Zweitonner in Schwung zu versetzen und zu halten. In 9,3 Sekunden (Design 9,6 Sekunden) geht es von 0 auf 100 km/h, die Höchstgeschwindigkeit von 175 km/h wird der Elektromobilist – Stichwort Reichweitenschwund – ohnedies eher ungern und wenn ja, dann nur kurzfristig ausreizen.

Komfort als Stärke

Ein auf dem Asphalt festgekleisterter Kurvenkünstler ist der Seal U nicht, bei Mama und Papa dürfte er kaum einen fahrerischen Ehrgeiz auslösen, der die Kids auf der Rückbank an den Rand des Brechreizes bringt. Besser so, denn wichtiger ist Kompetenz in Sachen Komfort, und da lässt sich das China-SUV mit seinem eher feinen Naturell nichts nachsagen. Störstellen im Asphalt werden nur dezent spürbar weitergereicht, dank der gelungenen Geräuschdämmung bleibt es im Innenraum schön leise.

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Als Durchschnittsverbrauch gibt BYD 19,9 (Comfort) beziehungsweise 20,5 kWh/100 km an. Auf ersten Testfahrten hat uns der Bordcomputer Werte von knapp 18 kWh angezeigt, angesichts milder Außentemperaturen und verhaltener Fahrweise wären wir aber misstrauisch, ob das auch in einem fordernderen Alltag belastbar ist.

Batterien wie ein Schwert

Wir blicken noch einmal auf die Batterie, denn die ist etwas Besonderes. BYD kommt ursprünglich aus dem Akkumulatorenbau, ist also Spezialist und setzt bei seinen Fahrzeugen auf die selbst entwickelten Blade-Batterien. Blade bedeutet “Schwert”, und wie lange, dünne Klingen sind die Zellen denn auch geformt. Das flache Akkupack erstreckt sich fast über die gesamte Fahrzeugbreite und dient auch als strukturelle Komponente. “Cell-to-Body” nennt sich das, die Technologie verbessert einerseits die Torsionssteifigkeit der Karosserie und andererseits die Raumausnutzung. Zudem verzichten die Blade-Batterien auf umstrittene Materialien wie Nickel, Mangan und Kobalt. Die verhältnismäßig preisgünstige Lithium-Eisenphosphat-Charakteristik (LFP) soll außerdem Vorteile in Sachen Langlebigkeit und Sicherheit (Stichwort Batteriebrand) bringen.

Ladeleistung: Nicht überragend

Von Vorteil gereicht dem Seal U auch, dass er eine Vehicle-to-Load-Funktion bietet (V2L), was bedeutet, dass er seinerseits externe Verbraucher wie Campinggrills oder E-Bikes laden kann. Ansonsten ist die Ladeleistung akzeptabel, aber keineswegs außergewöhnlich gut. An der Wallbox bedient sich der Chinese mit einem dreiphasigen 11-kW-Onboardlader; an der DC-Schnellladesäule erreicht das Comfort-Modell mit seinem kleinerem 71,8-kWh-Akku unter idealen Bedingungen 115 kW, beim “Design” mit der größeren 87-kWh-Batterie sind es 140 kW. In 28 beziehungsweise 28 Minuten soll der Akkufüllstand so von 30 auf 80 Prozent zu bringen sein.

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Bei der Suche nach einer Ladestation unterstützt das Navi, indem es nach verschiedenen Kriterien filterbare Stromtankstellen auflistet, eine wirkliche Laderoutenplanung mit empfohlenen Stopps und einberechneten Ladepausen wird aber nicht erstellt.

Als vertrauensbildende Maßnahme gibt BYD acht Jahre oder 200.000 Kilometer Garantie auf die Antriebsbatterie und sechs Jahre/150.000 Kilometer auf das Fahrzeug.

Seal U auch als Plug-in-Hybrid

Eine Karriere in den USA plant BYD für seine Elektro-Pkw übrigens nicht, die dortigen Einfuhrzölle für chinesische Autos würden die Stromer preislich unattraktiv machen. In Europa hat der Hersteller aber noch einiges vor. Die Modellpalette soll ausgeweitet werden, auch, was den Seal U betrifft, von dem man noch in diesem Jahr eine Plug-in-Hybrid-Variante mit Verbrennungsmotor nachschiebt. Und im ungarischen Szeged wird demnächst ein großes Werk entstehen.

Vom Joint-Venture mit Mercedes hat BYD übrigens schon im vorletzten Jahr 40 Prozent der Anteile zurückgekauft und seine Beteiligung somit von 50 auf 90 Prozent aufgestockt. Diese Entwicklung dürfte der Stuttgarter Dax-Konzern inzwischen womöglich bereuen, denn seither geht es mit Denza steil nach oben. Herablassung leistet sich in Zusammenhang mit BYD tatsächlich niemand mehr.

Ulla Ellmer

BYD Seal U in Kürze:

Charakteristik: Vollelektrisches Mittelklasse-SUV

Konkurrenten: Tesla Model Y, VW ID.4, Skoda Enyaq, Nissan Ariya etc.

Antrieb: Auf die Vorderachse, Elektromotor mit 160 kW/218 PS

Batteriekapazität: 71,8 kWh (Modellvariante Comfort), 87 kWh (Design)

WLTP-Reichweite: 420 beziehungsweise 500 Kilometer

Ladeleistung: AC 11 kW (AC), DC 115 beziehungsweise 140 kW

Ladezeit: 30 bis 80 Prozent: 27 beziehungsweise 28 Minuten

Verbrauch: 19,9 beziehungsweise 20,5 kWh/100 km

Höchstgeschwindigkeit: 175 km/h

Beschleunigung 0 – 100 km/h: 9,3 beziehungsweise 9,6 Seunden

Länge: 4,79 Meter

Breite: 1,89 Meter ohne, 2,09 Meter mit Außenspiegeln

Höhe: 1,67 Meter

Leergewicht: 2020 beziehungsweise 2147 Kilogramm

Zuladung: 410 Kilogramm

Anhängelast: 750 Kilogramm (gebremst), 1300 Kilogramm (ungebremst)

Gepäckraum: 552 – 1440 Liter

Bestellstart: Februar 2024

Noch geplant: Variante mit Plug-in-Hybridantrieb für 2024

Preis: Ab 41.990 Euro (Comfort) und 44.990 Euro (Design)

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