Alfa Romeo

Alfa Romeo Giulia

Test Alfa Romeo Giulia 2.0 Q4 Competizione - Alfachronismus

Alfas Giulia wurde geliftet, aber nur Scheinwerfer und Infotainment angerührt. Glücksfall für Autofans oder verpasste Chance? Test des Vierzylinder-Benziners

test alfa romeo giulia 2.0 q4 competizione - alfachronismus

Alfa Romeo hat die Giulia überarbeitet. Mit einem neuen Infotainment und LED-Matrix-Scheinwerfern versucht Alfa zwei offenkundige Schwächen zu bearbeiten. Ansonsten hat Alfa nur radikal die Varianten zusammengestrichen. Es gibt fortan neben der Über-Giulia Quadrifoglio nur noch die beiden stärksten Vierzylinder – Diesel und Benziner – in der Allradversion. Der Test soll zeigen, ob die überarbeitete Giulia ein unvernünftiger Anachronismus oder eine Empfehlung für Liebhaber des gepflegten Autofahrens ist. Oder ist sie am Ende beides?

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Virtuelle Jaeger-Uhren

Chromatierte Nadeln laufen auf runden Skalen und zeigen Geschwindigkeit und Drehzahl so sinnlich und stilvoll an wie Jaeger-Uhren. Man sieht gerne hin, muss aber nicht lange hinsehen, um die wichtige Information zu erhalten. Wie ein mechanisches Stellwerk klappen die Ziffern des Kilometerzählers um. Dabei sieht man nur auf einen Bildschirm. Auch die Giulia von Alfa Romeo hat mit dem jüngsten Facelift einen Bildschirm statt eines Kombiinstruments mit physischen Anzeigen erhalten. Doch das Anzeigedesign “Heritage”, eines von drei wählbaren Alternativen im Kombiinstrument, imitiert sie fast schöner als sie in Echt waren. Optisch zitiert dieses Kombiinstrument die beiden Runduhren des Alfa Romeo 1750 GT Veloce, der 1968 präsentiert wurde. Es handelt sich also nicht nur um einen Anachronismus, sondern auch um einen Alfachronismus.

Analoger Flair, enttäuschendes Infotainment

Diese mit viel Liebe auf einen Flatscreen bezauberten scheinbar analogen Instrumente stehen für die Alfa Romeo Giulia – nach wie vor und gerade nach ihrer jüngsten Modellpflege. Es geht ihr darum, möglichst viel analogen Flair des Autofahrens wie früher in ein modernes Fahrzeug mit den Annehmlichkeiten von heute zu packen. Das alles gewürzt mit Qualitäten, die insbesondere die deutschen Automobilhersteller offenbar verloren haben: Liebe zum Detail und Stil. Worauf Alfa nach wie vor keinen Wert legt, ist ein Infotainment, das in Funktionsvielfalt und Bedienfreundlichkeit, die Möglichkeiten von heute gekonnt umsetzt. Das Wichtigste ist da und lässt sich mit etwas Übung auch irgendwie bedienen. Wer mehr will, muss BMW oder Mercedes kaufen. Im Vergleich zu diesen wirkt das Alfa-System mindestens zehn Jahre alt.

Alfa Romeo Giulia 2.0 Competizione innen (5 Bilder)

test alfa romeo giulia 2.0 q4 competizione - alfachronismus

Für Ergonomie gab es lange Zeit scheinbar kein italienisches Wort. Die Giulia versteht es aber eine ansprechende Verarbeitungs- und Materialqualität in eine Form zu gießen, in der man sich nicht nur zurecht findet, sondern die auch Stil versprüht. Im Bild die mit Leder bezogene Instrumententafel, die im Paket mit einem Harman/Kardon-Soundsystem für 1750 Euro Aufpreis kommt. (Bild: alle Florian Pillau)

Stil vergangener Epochen

Der Alfa wendet sich an Feingeister, die ein bis ins Detail liebevolles und stimmiges Design zu schätzen wissen. Die Giulia ist von außen nach innen und von innen nach außen rund. Alles wirkt sorgsam aufeinander abgestimmt, jeder Schalter passt zum anderen und nichts wirkt billig oder übertrieben. Besonders die, leider so nicht mehr bestellbare, Competizione-Version in Vulkanschwarz metallic, unterstreicht mit ganz wenigen, ganz gekonnt gesetzten roten Akzenten außen wie innen, die Zärtlichkeit der Designer. Da rote Bremssättel, hier eine rote Naht, bloss nicht zu viel. Als hinreissendes Detail führt man den schwarz lackierten seitlichen Competizione-Schriftzug mit einem kleinen roten Strich unter dem C als Sinnbild des gesamten Autos aus. All das ist gepaart mit der Ergonomie früherer Tage. Fensterheber, Spiegelverstellung, Tempomatbedienung, Radiobedienung, Klimatisierung – alles ist da, wo man es sucht. Bis auf den Start-Stopp-Knopf vielleicht, der markentypisch im Lenkrad untergebracht ist, was Alfa-Novizen anfänglich irritiert.

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Vorbild BMW: Misslungener Blinkerhebel

Was in diesem Bad der edlen Entspannung stört, sind allenfalls die Luftausströmer deren windige Haptik enttäuschend mit ihrer optischen Qualität kontrastiert. Das störte den Kollegen Martin allerdings mehr als mich. Mir dagegen stieß der Blinkerhebel wiederholt sauer auf, er rastet nicht ein, blinkt aber vor einem schwach definierten Druckpunkt dreimal. Das bringt einem nichts außer Ärger und generiert Fehlbedienungen, wo es wirklich keine braucht. Das “Vorbild” BMW hat sich von diesem Mist wieder verabschiedet, es wäre ein großer Pluspunkt gewesen, wenn Alfa diesen Blödsinn beim Facelift auch wieder rausgeschmissen hätte.

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Auch vier Zylinder können gut klingen

Gutturales Timbre des erwachenden Zweiliter-Vierzylinders bläst aufkommenden Ärger weg, wie die königliche Einzugsfanfare das vorwitzig-aufgeregte Zischeln der geladenen Gäste. Nur noch zwei Vierzylindermotoren, ein Diesel und ein Benziner, beide nur noch mit Allradantrieb und ZF-8-Gang-Automatik bietet Alfa an. Darüber thront oder droht nach wie vor die auf 520 PS erstarkte Top-Variante mit von Ferrari überarbeitetem Sechszylinder und ganz anderem Preisgefüge. Der Sound des Benziners mit vier Töpfen vertreibt gutgelaunt Träume vom Quadrifoglio oder einem BMW M340i. Man fühlt sich an die glorreichen Zeiten versetzt, als die Giulia-Doppelnocker die besten, sinnlichsten und wohlklingensten Vierzylinder überhaupt waren – wenn auch der Wohlklang der Originale hier nicht ganz zu erreichen war. Aber auch im Soundengineering versucht sich die Giulia im Alfachronismus. Allerdings klingt der Vierzylinder im BMW 330i auch lang nicht so unerfreulich, wie wenn er sich im 330e widerwillig zum Elektromotor zuschalten muss.

Alfa Romeo Giulia 2.0 Q4 Competizione – Interieurdetails (7 Bilder)

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Das Multifunktionslenkrad verzichtet auf ergonomische Blödheiten, wie sie bei deutschen selbsternannten Premiummarken mittlerweile um sich greifen und dankt das mit intuitiver Bedienbarkeit.

Schnell und komfortabel

Mit Hurtigkeit geht der 280 PS starke Alfa-Benziner zur Sache, nur ein kleines Zögern des Turboladers trennt ihn von der ansatzlosen Beschleunigung eines Elektromotors. Im Alfa spürt man die Beschleunigung mit allen Sinnen, sogar am Vibrieren der Sitzpolster unter den Oberschenkeln. Dafür muss die Giulia aber weder laut noch unkomfortabel werden. Es ist als wollte sie uns ihre eigene Freude am Fahren mitteilen. Noch mehr Freude hätte der langbeinige Martin nur empfunden, wenn die sonst gut gelungenen Sportsitze neben allem sonstigen Pipapo wie Memory, aufblasbaren Sitzwangen etc., etc. auch eine Flächenneigungsverstellung bieten würden. Sonst hat sie keiner von uns vermisst.

Ideale Gewichtsverteilung und Sahnefahrwerk

Es ist eine Freude, wie sich die italienische Sportlimousine in die Kurven schmeißen lässt. Der Antrieb ist mit Allrad mit Kohlefaserkardanwelle, Differenzialsperre und Torque-Vectoring, also mit grandioser Technik bestückt, von der man überhaupt nichts merkt. Der Alfa fühlt sich in jeder Situation an, wie ein perfekt ausbalancierter Hecktriebler (ideale Gewichtsverteilung 50:50) mit einem Sahnefahrwerk. Dabei filtert er die Straße nicht weg, sondern setzt sie in Szene. Im Alfa nimmt man mit Freude daran teil, wie Huckel und Kanten auf der Straße ohne eine adaptive Dämpferregelung verarbeitet werden. Ein BMW mit Sportfahrwerk ohne adaptive Dämpfung kommt mir vergleichsweise steifbeinig vor.

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