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Es heult und rumpelt von vorn bis hinten, der Wind pfeift uns um die Ohren, und die Landschaft rast immer schneller an uns vorbei. Nur der oberste, vierte Gang ist schräg verzahnt und damit geräuscharm, das Heulen wird etwas leiser, dafür nimmt das Rauschen in den Ohren zu, und der Zeiger des Tourenzählers springt eine Stelle weiter. Herrlich, die schrittweise Anzeige alter, mechanischer Instrumente, der Tacho, für den Fahrer sinnigerweise am fernen Ende des Armaturenbretts direkt vor dem Passagier, hüpft genauso, da stehen etwa 60 bis 70 Meilen pro Stunde.

Auf der Mulsanne-Geraden in Le Mans (F) wurde die Geschwindigkeit dieses Bentley im Jahr 1930 mit rund 125 Meilen pro Stunde gemessen. Der Wagen mit Startnummer 9, Zulassungsnummer UU 5872 und seinem Initiator und Erbauer Tim Birkin am Steuer beendete das Rennen am Fluss Sarthe im gleichnamigen Departement in Frankreich allerdings nicht. Den Sieg mussten die zwei gestarteten kompressorgeladenen Bentley den zuverlässigeren Speed Six mit 6.5-Liter-Sechszylinder überlassen. Seinen Autos mit einem Kompressor auf die Sprünge zu helfen, hatte Gründer und Konstrukteur Walter Owen Bentley abgelehnt. Mitbesitzer und Direktor Woolf Barnato, in Le Mans mit Bentley bereits zweimal siegreich, war davon zwar nicht überzeugt, hatte Kollege Birkin aber heimlich beim Bau seiner Blower unterstützt. Die Renn-Blower-Bentley waren alle in Birkins Werkstatt fertiggestellt worden, nicht an Bentleys erstem Standort in Cricklewood (GB) im Norden von London. Heute gehört der Teamcar #2 dennoch zum Familiensilber von Bentley Motors in Crewe (GB). Denn trotz seines Ausscheidens hatte Birkins Wagen mit der Chassisnummer HB 3403 entscheidenden Anteil am zweiten Sieg von Barnatos und Kidstons Speed Six – genau demselben Auto wie beim ersten Sieg im Vorjahr. Birkin jagte den Mercedes SSK von Rudolf Caracciola, der den grossen Sechszylinder-Bentley technisch überlegen war, bis der Weisse Elefant mit Elektrikproblemen aufgeben musste. Nach über 21 Stunden blieb auch der Blower mit Motorschaden, einem gebrochenen Pleuel, liegen. Der Speed Six von Barnato und Kidston holte – ein letztes Mal für sehr lange Zeit – für Bentley die Kastanien aus dem Feuer.

Bald darauf wurde die Rennabteilung aus Geldmangel geschlossen, und Birkin verlor im selben Jahr seine Sponsorin, die englische Lady Dorothy Paget. 1931 kaufte Rolls-Royce über einen Strohmann Bentley, stellte alle Motorsportaktivitäten ein und verkaufte die letzten Bentley aus der Konstruktion von W. O. Bentley. Diese aber behielten ihre Aura. Bentley hatte von den ersten acht Rennen in Le Mans fünf für sich entschieden – die Legende Le Mans prägt das geflügelte B bis heute.

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Zum Fahren gedacht

Rund um Crewe mit einem Blower unterwegs zu sein, scheint weniger Eindruck zu machen, als man meinen möchte. Es gibt zwar einige Reaktionen anderer Verkehrsteilnehmer, doch rund um das Bent­ley-Werk, das Crewe dominiert, kennt man das Auto bestens. Zwar ist der Blower-Bentley mit rund anderthalb Tonnen kein Leichtgewicht, andererseits bringt es der aufgeladene OHC-Motor mit vier Ventilen auf 240 PS, die ausreichen, um im heutigen Verkehr mehr als nur mithalten zu können. Fast möchte man sich als Beifahrer in der offenen Vanden-Plas-Karosserie verkeilen, es empfiehlt sich allerdings, seine Beinkleider von den beiden Tropfölern am unteren Armaturenbrettrand fernzuhalten, die der Schmierung des gros­sen Rootes-­Gebläses am vorderen Kurbelwellen­ende dienen. Ebenso vor einem ist ein Messingkästchen montiert. In seltener Ehrlichkeit gibt Bentley zu, dass man dieses seit 1930 einem französischen Billardcenter schulde. Die Engländer hatten den mechanischen Punktezähler schlicht gestohlen – und als Rundenzähler in den Blower eingebaut. Viel zu schnell aber ist unsere Runde um Crewe zu Ende, es beginnt zu regnen und wir fahren zurück in die seit rund einem Jahr für den Durchgangsverkehr gesperrte Pyms Lane, den Sitz von Bentley Motors. Der Teamcar wandert zurück in die ebenfalls vor rund einem Jahr eröffnete Heritage Garage. Lange wird er dort aber nicht bleiben, zum 100-Jahr-Jubiläum von Le Mans gibt es heuer zahlreiche Gründe, ihn zu bewegen.

Gefahren werden kann der Blower Teamcar künftig in Gesellschaft von zwölf nach seinem Vorbild gebauten Kopien der Bentley Blower Continuation Series. Bei Bentleys Fahrzeugveredler und Individualisierungsspezialist Mulliner, der die Fahrzeuge baut, treffen wir Ben Linde, den Leiter des Continuation-Programms.

Vom Blower zum Speed Six

Gerade werden die letzen beiden Blower-Continuation-Modelle fertiggestellt. Ein Fahrzeug steht zudem zur Auslieferung bereit. «Die Kunden besuchen uns bis zur Fertigstellung mehrere Male. Wir besprechen Details, besondere Wünsche oder legen auch einmal ein grösseres Farbmuster vor, das ist bei Mulliner ein gängiges Prozedere», erklärt Ben Linde. Wir treten in einen kleinen Raum, in dem eine aufgebockte Karosseriewanne steht. Der Rahmen besteht aus Eschenholz, das mit ­einer Art Kunstleder bezogen ist. Der Bezug heisst Rexine und besteht aus gestrichener Baumwolle, die mithilfe einer 120-jährigen und eigens restaurierten Maschine gewoben und von Hand mit einer Mischung aus Nitrozellulose, Kampferöl, Pigmenten und Alkohol beschichtet wird. Um das Material korrekt herstellen zu können, liess Bentley Originale analysieren. Bei erhöhter Temperatur wird die Karosserie aus Holz und Aluminium anschliessend mit Rosshaar unterfüttert und aussen mit Rexine bezogen. Innen ist die Karosserie mit Hessian, also Sackleinen, ausgekleidet – exakt so wie in den 1920er-Jahren, als der Karossier und Autobauer Vanden Plas diese Art von Aufbau auch an Bentley lieferte (Vanden Plas ging später in Jaguar auf.)

In der Vergangenheit wurde jede Karosserie einzeln an ihr Chassis angepasst. Um heute jedes Auto nach denselben Massen herstellen zu können, hat Bentley den Blower Teamcar – und nun auch den Speed Six – komplett zerlegt, ausgemessen und gescannt. Dank dieser Daten ist jedes Continuation-Modell eine exakte Kopie des Vorbilds, deren sämtliche Teile untereinander austauschbar sind.

Allerdings sollte man sich nicht täuschen lassen. Die Methoden sind die alten, nur punktuell gibt es kleine Modifikationen, etwa beim Durchmesser von Ölleitungen oder wie beim Blower, wo die extern geführten, bruchgefährdeten Kupferleitungen für die beiden vorderen Lager der Kompressorläufer durch Stahlflexleitungen ersetzt wurden. Die Lichtmaschine ist ein Alternator in einem alten Gehäuse, nur die beiden Zündmagnete sind revidierte Altteile, die als einziges nichtbritisches Teil von einem Spezialisten in Deutschland stammen. Zudem verlässt sich Bentley nicht blind auf das Funktionieren seiner historischen Fahrzeuge, auch die Nachbauten wurden ausgiebig getestet und weiter verfeinert. Vom Speed Six baut Bentley sogar ein eigenes Company-Car zu Testzwecken. Laufend sollen weitere Verbesserungen einfliessen, selbst wenn die ersten Exemplare dieser neuen Continuation-Serie schon ausgeliefert sind. Mit dem Speed Six geht Bentley noch etwas weiter als mit dem Blower. Für die Chassisholme fand sich mit der Firma Israel Newton and Sons ein Kesselbauer und Spezialist für Dampfmaschinen, der ­eine entsprechende Presse installierte und sich im Heissnieten der Chassis, die er an Bentley liefert, bestens auskennt.

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Der originale Blower-Bentley in der Heritage Garage in Crewe. Hier teilt er seinen Platz mit 42 weiteren Autos aus über 100 Jahren Bentley-Geschichte. Das Bild rechts zeigt den Wagen bei einem Gastauftritt 1958 in Le Mans. Damals zum letzten Mal restauriert, wurde er 2019 zerlegt und als Muster für die Continuation-Serie vermessen.

Tun, was andere tun

Man kann sich fragen, warum Bentley so viel Aufwand treibt, um die Ikonen seiner Firmengeschichte nachzubauen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Es ist ein Geschäft, aber Mulliner holt auch ganz viel Know-how zurück unter sein Dach. Autos aus der goldenen Ära von Walter O. Bentley und der Erfolge der Bentley-Boys in Le Mans und bei anderen Veranstaltungen erzielen zudem gute Preise und sind so begehrt, dass es heute mehr Le-Mans-style-Bentley gibt als je gebaut worden sind. Aber während andere schon lange historische Bentley-Kopien produzieren, kann nur Bentley einen echten Bentley bauen. Die jeweils zwölf Autos ­einer Continuation-Serie sind also unter den zahlreichen Nachbauten die einzig echten. Die Neuwagen sind, zumindest in Europa, nicht für die Strasse zulassbar, aber sie erfüllen die FIA-Zulassung nach Anhang K für den historischen Rennsport als streng dem Vorbild entsprechende Nachbauten. Der Preis? Die Autos, welche nur besonderen Kunden angeboten wurden und alle sofort einen Käufer fanden, kosten etwas über zwei Millionen Pfund. Es ist zu erwarten, dass einige dieser Blower – und später auch Speed Six – bei einschlägigen Oldtimerveranstaltungen auftauchen werden.

Wie genau es Bentley beim Nachbau seiner wichtigsten Autos nimmt, beweist übrigens der einst in Frankreich entwendete Punkte- respektive Rundenzähler am Armaturenbrett. Ein ebenso akribisch nachgebautes Messingkästchen mit emaillierten Zahlenscheiben tragen natürlich auch die Continuation-Bentleys. 

www.bentleymotors.com

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