Tesla

Elektroautos Tesla auf Crashkurs: Warum Elon Musks Vorzeigefirma in einer handfesten Krise steckt

Schlechte Zeiten ist man bei Tesla eigentlich seit Jahren nicht gewohnt. Das vergangene Jahrzehnt ist geprägt von einer beispiellosen Pionierleistung, durch die das Unternehmen sich zum heute wertvollsten Autohersteller der Welt gemausert hat. Und das mit Abstand: Auch nach dem zurückliegenden Kursrutsch ist Tesla fast eine halbe Billion US-Dollar wert. Mehr als alle deutschen Autohersteller zusammen. Aber es geht aktuell steil bergab: Zu Hochzeiten lag der Wert von Elon Musks wichtigstem Standbein bei etwa 1,2 Billionen US-Dollar. Der Rückgang ist keiner Laune der Märkte geschuldet, sondern hat schwerwiegende Gründe.

Teslas enormer Wert ist seit Jahren als Wette auf die Zukunft zu verstehen – das ist auch der Grund, weshalb die Marke die Konkurrenz so blass aussehen lässt. Ein Tesla, das ist ein fahrender Computer mit Reifen, eine Quelle unendlicher Innovation und steter Veränderung. Und eine Vision. Denn das ultimative Ziel des Unternehmens sind keine Autos für Fahrer, sondern selbstfahrende Autos. Elon Musk kündigte diesbezüglich ein wegweisendes Event für den 8. August an.

Es wird eine Entscheidungsschlacht für Tesla. Denn kann Musk die Zukunftsversprechen nicht mit Fakten untermauern, wird sein Unternehmen weiter an Wert verlieren und die Talfahrt fortsetzen. Der Chef geht All-in.

Teslas Angebot ist veraltet, der Welpenschutz vorüber

Ihm bleibt auch nicht so recht eine andere Wahl, denn das aktuelle Portfolio ist wenig überzeugend, vielversprechende Wachstumsprognosen kann Tesla nicht mehr abgeben. Im ersten Quartal 2024 schrumpften die Verkaufszahlen beinahe zweistellig, das Inventar türmt sich auf den Parkplätzen der Werke.

Das hat unterschiedliche Gründe. Die derzeitige Produktpalette ist veraltet. Die Luxus-Modelle S und X kauft kaum noch jemand, Model 3 und Y, so gut sie sind, sind trotz Updates und Facelifts auch schon in die Jahre gekommen. Der Cybertruck rettet die Bilanz nicht. Der Edelstahl-Pick-up entpuppt sich als viel belachte Dauerbaustelle (hier erfahren Sie mehr) für viel zu viel Geld.

Hinzu kommt, dass die notorisch mangelhafte Qualität der Fahrzeuge nicht länger hingenommen wird. Vorbei ist der Welpenschutz, willkommen in der echten Welt. In einem aktuellen Report der “Auto Motor Sport” (Ausgabe 9/24) schildert das Fachmagazin mehrere Fälle, in denen Neuwagen von Kunden mit teils gravierenden Mängeln vom Band gerollt sind. Um die vielen Probleme hat sich inzwischen eine ganze Industrie gebildet: Gutachter, die bei Fahrzeugübergaben auf Fehlersuche gehen, Fachbetriebe, die Ersatz für anfällige Bauteile in Massen herstellen und Anwälte, die tagtäglich mit Tesla-Mandatsanfragen überhäuft werden.

Das wäre alles kein Beinbruch, gäbe es eine Perspektive. Denn trotz aller Probleme hat Tesla wohl bis heute die hartnäckigste und leidenserprobteste Fangemeinde. Ein großer Wurf und es ginge wieder aufwärts. Doch eine rosige Modellzukunft kann Tesla wohl nicht bieten. Im besten Fall wird in diesem Jahr der neue Edelroadster fertig. Kein Massenprodukt, sondern eher eine ausgesprochen kostspielige Leistungsshow, die anders als 2008, als ein elektrischer Sportwagen noch etwas besonderes war, inzwischen erstmal gegen Traditionsmarken wie Porsche oder Maserati ankommen muss.

Den für einen Autohersteller so wichtigen Massenmarkt wird Tesla vorerst nicht mit weiteren Modellen besetzen. Auch wenn es Elon Musk dementiert, so heißt es aus mehreren internen Quellen, die sowohl die Nachrichtenagentur “” als auch das Fachmagazin “” angezapft haben, dass das Model 2, ein günstiger Kleinwagen, auf Eis liege. Das gibt Konkurrenten wie BYD, Stellantis oder auch VW wichtige Zeit, die in der Vergangenheit immer auf Teslas Seite war. Doch das ist nun vorbei und wer zuerst einen soliden Kleinwagen unter 20.000 Euro auf die Räder stellt, mahlt zuerst.

Die Lager sind voll

Die vielen Bestandsfahrzeuge schwächen das Unternehmen weiter. Preissenkungen und schwankende Angebote schmälern nicht nur die Profite, sondern auch das Vertrauen in die Marke. Lange galt Tesla als wertstabilstes Elektroauto, nun müssen Kunden jederzeit damit rechnen, ihre Gebrauchtpreise senken zu müssen, weil der Hersteller ständig an den Kursen für Neuwagen schraubt. Eine ausweglose Lose-Lose-Situation, denn Tesla muss produzieren und verkaufen.

Die Situation verschlimmert sich zusätzlich dadurch, dass Autovermieter wie Hertz und Sixt explizit ihre Tesla-Flotte abbauen und den Markt zeitweise völlig übersättigen (hier erfahren Sie mehr). Schaut man sich die Begründung an, ist das kein Wunder: Die Reparaturen sind zu teuer, die Wiederverkaufswerte zu niedrig und die Margen zu klein. Abgesehen davon, dass das Interesse der Kunden offenbar ausbleibt, lässt sich damit nicht die gewünschte Rendite erzielen.

Zuletzt reagierte Tesla auf die vielen Herausforderungen mit Massenentlassungen, deren Ausmaß noch nicht abschätzbar ist. Während die genauen Zahlen der Kündigungen pro Standort noch nicht publik sind, ist aber klar, dass Tesla sich insgesamt von zehn Prozent der weltweiten Belegschaft trennen muss. In Berlin betrifft das zunächst “nur” Hunderte Leiharbeiter, insgesamt scheint das Unternehmen aber auch Schwergewichte wie etwa Chefingenieur Andrew Baglino und Geschäftsstratege Rohan Spatel zu verlieren. Üblicherweise reagiert die Börse wohlwollend auf eine Restrukturierung – bei Tesla bedeutete die E-Mail von Musk an sein Team einen Verlust von zeitweise fünf Prozent.

Auch in den anderen Geschäftsfeldern sieht es wenig rosig aus. Denn selbst wenn Tesla am prognostizierten Billionen-Markt der humanoiden Roboter partizipieren will, blamierte sich das Unternehmen mit der Demonstration des Tesla-Roboters Optimus (hier erfahren Sie mehr). Mehr als ein Versprechen, dass der Roboter eines Tages nicht mehr auf eine Fernsteuerung angewiesen ist, bleibt aktuell nicht. Derweil ziehen Mitbewerber wie Boston Dynamics mit ernstzunehmenden Neuerungen davon.

Ähnlich sieht es wohl auch bei den eigenen Batterien aus, die Tesla mehrfach als Allheilmittel für die Probleme heutiger Elektroautos angepriesen hatte. Im September 2020 versprach Tesla, schon bald Akkus herzustellen, die nur halb so teuer sind, sich einfacher herstellen lassen, mehr Reichweite bieten und schneller laden. Stand heute: Ein Wunder ist nicht geschehen und es ist nicht abzusehen, dass das noch passiert. Die größten Entwicklungen findet man bei BYD oder CATL in China, nicht bei Tesla in den USA.

Wunderwaffe Software im Visier der Behörden

Bleibt die Software. Teslas Kronjuwel. Grundlage für autonomes Fahren und der größte Hoffnungsträger, welchen das Unternehmen noch zu bieten hat. Längst wollte Tesla die Beta-Phase verlassen und es allen Herstellern mit einer fertigen und vor allem weitgehend fehlerfreien Version zeigen. Doch noch immer fahren selbst die Teslas mit Zugriff auf die neueste Software mit einer umgelabelten Testversion, noch immer kommt es zu Unfällen, bei denen angenommen wird, dass die Assistenzsysteme eine entscheidende Rolle gespielt haben könnten. Das Wörtchen “Beta” taucht im Zusammenhang mit dem “Vollen Potenzial für autonomes Fahren” (FSD) zwar nicht mehr auf, aber Tesla kommt nicht drumherum, den Zusatz “Supervised”, also “Beaufsichtigt”, anzuhängen. Mehr als marktübliche Assistenzsysteme bietet der Hersteller also noch immer nicht.

Schlimmer noch: Tesla befindet sich zudem aktuell in einer ziemlich merkwürdigen Übergangsphase. Wohl auch aus finanziellen Gründen fährt das Unternehmen die Anzahl und Vielfalt der Bordsensorik immer weiter zurück und verlässt sich nur noch auf Kameras, in den hochpreisigen Modellen gibt es noch ein Radar. Ultraschallsensoren (USS) verbaut Tesla schon seit über einem Jahr in keinem Auto mehr.

Langfristig mag das keine Rolle spielen, denn das “Vision Only” genannte Konzept sieht vor, dass die Kameras mithilfe der Software alles punktgenau erkennen und die “alte” Technologie damit überflüssig machen, aktuell sorgen die fehlenden Sensoren aber für Probleme. So war die Einparkhilfe bei Autos, die keine USS mehr hatten, zunächst deaktiviert. Als sie per Update nachgeliefert wurde, funktionierte sie erst einmal leidlich. Es sollte über ein Jahr dauern, bis das Auto wieder konnte, was zuvor eigentlich schon gelernt war. Es gibt nicht viele Kunden, die das Experiment am eigenen Produkt besonders schätzen.

Antriebswende

1881 bis heute: Die Geschichte des Elektroautos ist länger als gedacht

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© Jacques Cattelin / CC BY-SA 4.0

Ab 1881: Trouvé Tricycle

Und so kommt es, dass Tesla nicht mehr allzu häufig mit herausragenden Leistungen von sich Reden macht, sondern immer häufiger mit Software-Schwierigkeiten oder Problemen wie Untersuchungen der zivilen US-Bundesbehörde für Straßen- und Fahrzeugsicherheit NHTSA, die Fahrfehler der Software in mehreren Untersuchungen unter die Lupe nimmt.

Und das mit Ergebnissen: Die NHTSA hat bereits ein Zwangsupdate für über zwei Millionen Fahrzeuge erwirkt (hier erfahren Sie mehr) und ermittelt weiter. Statt mit bahnbrechenden Neuerungen will Tesla Kunden derzeit vor allem über den Preis locken, halbierte den Preis der FSD-Zusatzfunktion zuletzt sogar. Auch an dieser Stelle wieder: Bestandskunden werden sich bedanken.

Es bleibt die Frage, was die Wurzel allen Übels ist. Die Antwort lautet wohl auch: Elon Musk. Sehr zum Ärger der Investoren ist der CEO spätestens seit der Übernahme von Twitter mit zahllosen anderen Dingen beschäftigt – und hat damit nicht nur einen wichtigen Zeitpunkt verpasst, um sein Unternehmen zu reformieren und das Steuer in die Hand zu nehmen. Vielleicht geht Musk Anfang August auch deshalb All-in: Weil er der Welt beweisen muss, dass Tesla auch in einem hart umkämpften Markt und trotz aller Widrigkeiten die Pole Position halten kann. Gelingt das nicht, sieht es für den Börsenwert erst einmal ziemlich düster aus.

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