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Demokratische Republik Kongo: Premierminister Jean-Michel Sama Lukonde Kyenge zurückgetreten

Im Ostkongo eskaliert wieder die Gewalt. Nun hat Premierminister Lukonde seinen Posten geräumt. Im Land wächst die Sorge, dass das Machtvakuum die Rebellen noch stärker machen könnte.

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Demokratische Republik Kongo: Premierminister Jean-Michel Sama Lukonde Kyenge zurückgetreten

Seit Wochen sind Tausende Menschen aus Ostkongo wegen der dort eskalierender Gewalt auf der Flucht – nun will auch der Premierminister sein Amt niederlegen. Jean-Michel Sama Lukonde Kyenge hat laut einer Mitteilung der Präsidialkanzlei in Kinshasa seinen Rücktritt eingereicht. Zugleich reichte er bei Staatspräsident Félix Tshisekedi den Rücktritt mehrerer Mitglieder seines Kabinetts ein, darunter des Verteidigungsministers. In der Zivilgesellschaft wächst nun die Sorge, dass ein Machtvakuum den Rebellen im Osten des Landes in die Hände spielen könnte.

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Der Rücktritt hängt mit Bestimmungen der kongolesischen Verfassung zusammen: Vor acht Tagen war Lukondes Abgeordnetenmandat in der Nationalversammlung in Kinshasa nach der Parlamentswahl im Dezember bestätigt worden. Laut Verfassung müssen gewählte Amtsträger innerhalb von acht Tagen zwischen ihrem Funktionsmandat und ihrem Abgeordnetenmandat entscheiden. Lukonde will nun sein Mandat als Abgeordneter wahrnehmen. Auch die übrigen zurückgetretenen Regierungsmitglieder hatten Abgeordnetensitze in der Nationalversammlung oder in Provinzparlamenten erhalten.

Lukonde war seit Februar 2021 Premierminister des rohstoffreichen zentralafrikanischen Landes, in dessen Region an der Grenze zu Ruanda seit Monaten ein Konflikt eskaliert. Hunderttausende Menschen sind in der Provinz Nord-Kivu auf der Flucht. Dort ist die Miliz M23 kurz vor die Provinzhauptstadt Goma vorgerückt und kämpft gegen Regierungstruppen und verbündete Milizen.

Tshisekedi forderte »angesichts der besonderen Situation, in der sich das Land befindet« Lukonde und die zurückgetretenen Minister auf, bis zur Ernennung ihrer Nachfolger ihre Aufgaben weiterhin wahrzunehmen, hieß es in der Mitteilung.

Nutzen die ostkongolesischen Rebellen das Machtvakuum?

In Goma reagierten Vertreter der Zivilgesellschaft besorgt auf den Rücktritt des Premierministers und seiner Kabinettskollegen. Sie befürchteten, dass das Machtvakuum in Kinshasa von den Rebellen ausgenutzt werde und die Gewalt in der Region weiter zunehmen könnte. »Wir hoffen, dass die Beratungen (über eine neue Regierung) beschleunigt werden, damit die Demokratische Republik Kongo so schnell wie möglich eine neue Regierung hat«, sagte Marrion Ngavo, Leiter des Bündnisses der Bürgerorganisationen in Goma.

Bereits vor Lukondes Rücktritt hatten Hilfsorganisationen vor einer weiteren Eskalation der Gewalt aufgrund des Vormarschs der Miliz M23 gewarnt. Ostkongo wird seit Jahrzehnten von Konflikten heimgesucht. Die M23 ist eine von mehr als 100 bewaffneten Gruppen, die in dem nahe der Grenze zu Ruanda um die Vorherrschaft kämpfen. Einige von ihnen werden beschuldigt, Massenmorde begangen zu haben.

In den vergangenen Wochen haben die Kämpfe zwischen den M23-Rebellen und den kongolesischen Streitkräften wieder zugenommen. Zugleich wollen die Vereinten Nationen ihre Friedenstruppen bis Ende des Jahres aus der Region abzuziehen.

Am Wochenende verurteilte das US-Außenministerium die »sich verschärfende Gewalt«. Hilfsorganisationen schätzen, dass in den letzten drei Monaten bereits eine Million Menschen durch die Kämpfe vertrieben wurden.

Spannungen mit Ruanda nehmen zu

Auch zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda nehmen die Spannungen zu. Beiden Länder beschuldigen sich gegenseitig, unterschiedliche bewaffnete Gruppen zu unterstützen. Kinshasa wirft Kigali vor, die M23 zu unterstützen.

Die Bewegung 23. März (M23) ist eine militärische Rebellengruppe, die hauptsächlich aus ethnischen Tutsi besteht und sich vor etwas mehr als einem Jahrzehnt von der kongolesischen Armee abspaltete. 2012 eroberten sie mit einer großen Offensive die Provinzhauptstadt Goma nahe der Grenze zu Ruanda, die sie nun wieder bedrohen.

Auch die USA und Uno-Experten beschuldigen Ruanda, der M23 militärische Hilfe zu leisten. Kigali bestreitet dies, gab aber am Montag zu, dass es Truppen und Raketensysteme im Ostkongo stationiert hat. Ruanda erklärte, dies geschehe, um seine eigene Sicherheit zu gewährleisten, da die kongolesischen Streitkräfte in der Nähe der Grenze aufgestockt worden seien. US-Forderungen nach einem Rückzug lehnte Ruanda ab.

Bei dem Konflikt gibt es auch Verbindungen zum ruandischen Völkermord von vor 30 Jahren. Die M23 und Ruanda erklärten unabhängig voneinander, dass sie eine Bedrohung durch eine kongolesische Rebellengruppe bekämpfen, die mit der kongolesischen Armee verbunden ist und zum Teil aus ethnischen Hutu besteht, die den Völkermord von 1994 verübt haben.

Hunderttausende ruandische Hutu waren nach dem Völkermord von 1994 in den Kongo, damals Zaire, geflohen. Unter ihnen befanden sich Soldaten und Milizionäre, die für die Ermordung von 800.000 Tutsi und gemäßigten Hutu verantwortlich waren.

Breitet sich der Konflikt aus?

Zwei Jahre nach dem Völkermord drangen Ruanda und Uganda in den Ostkongo ein, um die verbliebenen Völkermord-Täter zu bekämpfen. Die Spannungen zwischen den beiden Ländern eskalierten 2021 mit dem Wiederaufflammen der Angriffe der M23 auf kongolesische Soldaten erneut, nachdem die Miliz fast ein Jahrzehnt aufgrund eines Friedensabkommens von 2013 relativ untätig geblieben war. Es wird vermutet, dass die Präsenz so vieler bewaffneter Gruppen in der Region auch mit illegalem Bergbau zusammenhängt.

Die M23 startete Ende vergangenen Jahres neue Angriffe und verstärkte sie weiter in den vergangenen Wochen. Die neuen Kämpfe könnten zu einer weiteren regionalen Eskalation führen und weitere Länder einbeziehen. Da die Vereinten Nationen ihre 25-jährige Friedensmission im Ostkongo beenden wollen, soll eine multinationale Truppe mit Soldaten aus Südafrika, Malawi und Tansania einspringen. Sie sollen die kongolesischen Streitkräfte unterstützen, könnten aber dadurch in einen direkten Konflikt mit Ruanda geraten.

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