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Alfa Romeos historischer DTM-Titel: Wie der "Serpentello" Mercedes verspeiste

Die elfte Schlange, die genüsslich einen Mercedes-Stern verspeist, klebt über der Tür – und Nicola Larini ist am Höhepunkt seiner Karriere: Der Italiener beschert Alfa Romeo am 12. September 1993 auf der Berliner Avus vier Rennen vor Schluss den ersten DTM-Titel. Nach elf Siegen reicht ihm ein sechster Platz, um Mercedes vom DTM-Thron zu stoßen.

Dabei hatten viele die Neueinsteiger aus Mailand vor der Saison gar nicht auf der Rechnung. “Bei den Wintertests in Hockenheim haben mich ein paar Jungs im Hotel angesprochen”, erinnert sich der inzwischen 60-jährige Larini im Gespräch mit Motorsport-Total.com. “‘Was wollt ihr gegen Mercedes?’, wurde ich gefragt. Ich habe gesagt, dass wir hier sind, um unser Bestes zu geben.”

Doch Larini wurde nicht ernstgenommen und stattdessen mit dem damals gängigen Alfa-Vorurteil konfrontiert. “Erinnerst du dich an den Alfasud, der oft rostig war?”, so Larini. “Das war für sie ein Alfa Romeo – und kein Rennauto. So war das am Anfang in Deutschland. Das hat sich aber nach dem ersten Rennen geändert.”

Wieso der Alfa Romeo von Anfang an überlegen war

Denn der traditionelle Saisonauftakt in Zolder Anfang April, auch bekannt als Bergischer Löwe, wurde zur Machtdemonstration der Neulinge: Mit zwei Larini-Siegen bei Regen und fünf von sechs Podestplätzen gab Alfa Romeo der Konkurrenz von Mercedes einen kleinen Vorgeschmack auf das, was noch folgen sollte. Und zwar ein Sieg gegen Mercedes mit 14:8, darunter auch der Doppelschlag beim letzten DTM-Gastspiel auf der Nürburgring-Nordschleife.

Aber wieso war der Exot aus Italien im DTM-Debütjahr so erfolgreich? Das hatte auch mit dem neuen, freizügigen Klasse-1-Reglement zu tun, das von der ITR gemeinsam mit Mercedes, Opel, Audi, BMW und Alfa Romeo für die Saison 1993 entwickelt wurde – auch wenn am Ende aus politischen Gründen nur Mercedes-Benz und Alfa antraten.

Während die Stuttgarter ihren betagten Mercedes-Benz 190E 2.5-16 Evo 2 an das neue Reglement anpassten, wurde im Mailänder Vorort Settimo Milanese mit der Hilfe von Fiat-Tuner Abarth der erste reinrassige Klasse-1-Bolide entwickelt. Er brachte es auf 420 PS und wog nur 1.040 Kilogramm, allerdings noch nicht mit Formel-1-Technik, die später für eine Kostenexplosion und das Ende der alten DTM sorgen sollte.

“Es handelte sich um Rallye-Technologie”

“Es handelte sich im Grunde um Rallye-Technologie, die für Rundkurse verbessert wurde”, erklärt Larini bei einem 30-Jahr-Jubiläums-Event im Museum von Alfa Romeo vor den Toren Mailands, wo der Bolide noch heute neben vielen weiteren Schmuckstücken bewundert werden kann. “Klar war das Auto schnell genug, um zu gewinnen, aber die Zuverlässigkeit war der Schlüssel. Ich hatte nie irgendein Problem. Das lag daran, dass das Auto simpel war. Es hatte noch eine H-Schaltung und kein sequentielles Getriebe.”

Der Rallye-Vergleich ist kein Zufall: Denn der Kopf hinter dem 155 V6 TI war der frühere Lancia-Ingenieur Sergio Limone, der für den bis 1991 laufenden Werkseinsatz mit dem Lancia Delta Integrale in der Rallye-WM verantwortlich war.

Im Jahr 1992 brachte Alfa Romeo mit dem 155 GTA, mit dem Larini die italienische Tourenwagen-Meisterschaft für sich entschied, tatsächlich einen an den Rallyewagen Delta Integrale angelehnten auf die Rundstrecke. Beim DTM-Auto setzte man 1993 zwar auf eine Neukonstruktion, allerdings erneut mit dem im Tourenwagensport eher ungewöhnlichen Allrad-Konzept, mit dem die Italiener durch die Rallyeära viel Erfahrung hatten. Ein Schlüssel zum Erfolg?

Nicola Larini

Auch mit 60 noch populär: Nicola Larini bei einem Fanevent im Alfa-Museum in Varese

Foto: Sven Haidinger/smg

“Auf den Geraden waren wir immer sehr langsam, aber dafür waren wir beim Abbau der Reifen im Vorteil, denn der Mercedes verbrauchte mehr Reifengummi”, erinnert sich Larini. “Auch die Traktion aus den langsamen Kurven war sehr gut. Und auch auf der Bremse war das Auto sehr stark, denn wir hatten durch die zwei Differenziale weniger blockierende Räder.”

Deutsches Reglement als Herausforderung für Italiener

Dabei war es alles andere als einfach für die Alfa-Entscheidungsträger, das Regelwerk richtig zu interpretieren. “Es handelte sich um eine deutsche Meisterschaft, ein deutsches Umfeld und ein deutsches Reglement”, erinnert sich Pilot Giorgio Francia, der als Entwicklungsfahrer die Vorarbeit leistete, im Gespräch mit Motorsport-Total.com.

“Sergio Limone und Pino d’Agostino (Motorenchef; Anm. d. Red.) ist es dennoch gelungen. Das war nicht selbstverständlich, denn das Regelwerk war nicht nur neu, sondern auch noch in deutscher Sprache verfasst. Sie waren sich nicht sicher, aber sie lagen richtig.”

Um sprachliche Missverständnisse zu vermeiden, hatte Teammanager Claudio Cierichi sogar extra beim Deutschen Jo Bauer nachgefragt, der noch heute als technischer Delegierter der FIA in der Formel 1 für Ordnung sorgt. Und so ging der Wunsch von Fiats Motorsportchef Giorgio Pianta, der Tochtermarke Alfa Romeo mit Hilfe der DTM wieder zu altem Glanz zu verhelfen, schon im ersten Jahr sensationell in Erfüllung.

Trick mit hochgebogenem Auspuff ging nach hinten los

Dennoch zog Mercedes im Kampf gegen die Italiener alle Register. Die Rede ist sogar von einer umstrittenen Taktik, bei denen der nach oben gebogene Auspuff des 155 V6 TI im Mittelpunkt stand. “Es gibt viele Geschichten über das Design des Auspuffs, aber die Wahrheit ist, dass er zu laut war”, verweist Larini auf die vom Reglement vorgegebene Lärmbeschränkung. “Das war also ein Trick, um den Lärm zu reduzieren. Aber das sorgte für ein großes Problem.”

Alfa Romeo

Der Auspuff des Alfa Romeo wurde zur Zielscheibe der Mercedes-Piloten

Denn angeblich wurden die Mercedes-Piloten gezielt darauf angewiesen, den exponierten Auspuff des Alfa zu beschädigen. “Jedes Mal, wenn dich ein Auto von hinten getroffen hat, war der Auspuff zugedrückt”, erzählt Larini. Die Folge war ein Leistungsverlust. “Meine Kollegen waren immer wieder betroffen, aber ich hatte das Glück, dass ich meist an der Spitze war.”

Aber wie gelang es Larini, der sich im Gesamtklassement klar vor den drei Mercedes-Piloten Roland Asch, Bernd Schneider und Titelverteidiger Klaus Ludwig positionierte, auch starke Markenkollegen wie Alessandro Nannini im Griff zu haben? Der Ex-Formel-1-Pilot, für den wegen seiner Handverletzung nach dem Hubschrauber-Absturz eine eigene Schaltung entwickelt wurde, verlor beim Gangwechsel Zeit.

Und Larini spielte seine Stärken aus. “Ich war immer in der Lage, meinen Fahrstil an alle Bedingungen anzupassen”, erklärt Larini sein Geheimnis. “Deswegen war ich schneller.”

So kam der Mercedes-Stern in das Maul der Alfa-Schlange

Davon zeugen auch die elf Schlangen-Aufkleber – der grüne für den Sieg beim Einladungsrennen in Donington – auf seinem Auto. Die provokante Idee, das an das Mailänder Stadtwappen angelehnte Alfa-Logo anzupassen und das Kind im Maul der Schlange durch einen Mercedes-Stern zu ersetzen, hatte übrigens Teammanager Claudio Cierichi.

“Er hatte vor dem Rennen immer schon einen Aufkleber vorbereitet. Schlange heißt Serpente auf Italienisch. ‘Claudio, halte den Serpentello bereit …’, erinnert sich Larini an die Dialoge vor den Rennen. ‘Er ist bereits in meiner Tasche!'”

Und der “Serpentello” zeigte auch wirtschaftlich Zähne: Denn mit jedem zusätzlichen Aufkleber auf Larinis Auto stiegen auch die Alfa-Romeo-Verkaufszahlen in Deutschland. Und von der filigranen Rostlaube aus Italien sprach plötzlich keiner mehr.

Mit Bildmaterial von Hoch Zwei.

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