Eine Analyse: Warum der Verstappen-Wechsel zu Mercedes nicht tot ist und wie Toto Wolff und Christian Horner um den Superstar der Formel 1 werben
Max Verstappen im Mercedes-Overall? Das würde Toto Wolff gefallen …
Toto Wolff hat die Idee, Max Verstappen als Nachfolger von Lewis Hamilton für Mercedes zu engagieren, noch nicht aufgegeben: “Wenn man es rein rational betrachtet”, sagt er, “könnte man meinen, dass der schnellste Fahrer gerade im schnellsten Auto sitzt. Aber ich glaube nicht, dass das der einzige Grund ist, dort zu bleiben. Es gibt viele Faktoren, die dazu beitragen, dass ein Fahrer vielleicht das Team wechselt.”
Auch wenn es, zumindest von außen betrachtet, zuletzt ruhig geworden ist um den Machtkampf hinter den Kulissen von Red Bull: Tatsächlich ist die Affäre um angebliches Fehlverhalten von Teamchef Christian Horner noch nicht zu Ende. Und es ist kein Geheimnis, dass Max Verstappen und sein Vater Jos Red-Bull-intern nicht “Team Horner” sind, sondern eher “Team Marko”.
Zuletzt hatte die Tageszeitung The Sun berichtet, dass jene Frau, die Horner sexuelle Belästigung vorwirft, im Zuge ihrer Berufung gegen den ursprünglichen Freispruch von Horner im Complianceverfahren der Red Bull GmbH noch einmal einvernommen werden soll. Jetzt von einem neuen Ermittlungsanwalt, nachdem an der Unabhängigkeit des alten starke Zweifel aufgekommen waren.
¿pbshowheroespb¿Wolff selbst räumt ein: “Wenn ich Max wäre, würde ich 2025 bei Red Bull bleiben. Aber ich bin nicht Max. Ja, der Red Bull ist das schnellste Auto. Für einfach gestrickte Persönlichkeiten wäre das wahrscheinlich ein Grund, dort zu bleiben. Aber für Persönlichkeiten mit etwas mehr Tiefe spielen auch andere Faktoren eine Rolle. Und ich glaube, Max hat diese Tiefe.”
Was genau die “anderen Faktoren” sind, auf die er anspielt, lässt Wolff offen. Das zwingt die Medien dazu, darüber zu spekulieren. Es könnte um die Horner-Affäre gehen, um die Angst, dass Red Bull nach dieser auseinanderfällt und sich Kapazunder wie Adrian Newey einen neuen Job suchen. Oder auch um die Powerunit für 2026, wenn ein komplett neues Reglement in Kraft tritt.
Powerunit: Wechselt Verstappen deswegen zu Mercedes?
Argumente, die Horner nicht gern hört. Angesprochen darauf, dass Mercedes für 2026 womöglich die bessere Powerunit bauen könnte als Red Bull Powertrains, antwortet er mit einer Gegenfrage: “Habt ihr eigentlich schon gehört, dass George Russells Vertrag Ende 2025 ausläuft? Vielleicht will er ja auch nicht unbedingt für 2026 bleiben.”
Und: “Wenn ich drauf wetten müsste, dass irgendein Team das Chassis hinbekommt, dann denke ich, sprechen die Zahlen für uns. Ja, sicher, es ist schon mutig, was wir da angefangen haben, und es hat dicke Eier. Aber Red Bull hätte ohne mutige Entscheidungen nicht 117 Rennen gewonnen. Und wir glauben, dass sich dieser Mut lohnen wird.”
Wolff unterstreicht auf der anderen Seite, er habe “Vertrauen” in die Mercedes-Motorenschmiede in Brixworth: “2014 haben wir das gut hinbekommen. Aber es gibt keine Garantie dafür, dass wir es auch 2026 gut hinbekommen werden.” Er sagt jedoch auch: “2014 war eine Reise ins Unbekannte, wegen der Regeländerungen. Das ist jetzt wieder so.”
Wolff: Will keine falschen Versprechungen machen
Max und Jos Verstappen sowie Manager Raymond Vermeulen mit irgendwelchen Versprechungen in Bezug auf die Powerunit zu Mercedes zu locken, hält Wolff für keine gute Idee. Auch nicht, Red Bull Powertrains madig zu reden, obwohl Horner selbst einräumt, man habe im Motorenbau “70 Jahre Rückstand” auf Hersteller wie Ferrari.
“Ich glaube nicht, dass wir Max von irgendwas überzeugen müssen. Max kennt den Motorsport besser als jeder andere und wird Entscheidungen treffen, die gut für ihn sind”, erklärt Wolff. “Ich denke, dabei spielen viele Faktoren eine Rolle. Aber klar ist: Er ist der erste Dominostein, der fallen muss, damit alle anderen fallen können. Alle warten drauf, was er macht.”
“Ich glaube nicht, dass man Max, Jos und Raymond irgendwas verkaufen muss. Es geht drum, wie sie die Zukunft sehen und was sie für das Beste für Max halten. Ich denke, da können wir für 2026 ein attraktives Angebot machen. Wir haben uns mit der Powerunit, der Batterie und dem Benzin ambitionierte Ziele gesetzt. Wenn wir ein gutes Chassis bauen, haben wir ein attraktives Paket.”
“Aber ich bin kein guter Verkäufer. Ich verhandle nur mit Fakten. Zu übertreiben, damit jemand kommt, wäre nicht richtig”, sagt Wolff und ergänzt: “Ich argumentiere mit Fakten, basierend auf unserem derzeitigen Wissen. Kann sein, dass von unseren Konkurrenten jemand ein Moonshotprojekt verkaufen will. Wir tun das nicht. Wir sagen, wie es ist.”
Während niemand mit Sicherheit prognostizieren kann, wer 2026 die beste Powerunit haben wird, sind andere Parameter vergleichbar. Das Gehalt zum Beispiel. Und da soll Mercedes den Verstappens den roten Teppich ausgerollt haben. Red Bull zahlt dem Vernehmen nach bis zu 80 Millionen Euro pro Jahr. Wenn es stimmt, was getuschelt wird, liegt das Mercedes-Angebot deutlich drüber.
Horner ist trotzdem überzeugt: “Ich kann euch versichern, dass es keinerlei Unklarheit darüber gibt, wo Max Verstappen nächstes Jahr fahren wird”, betont er. Was 2026 offen lässt. Und er pocht auf den bis 2028 laufenden Vertrag: “Ich weiß nicht, wie oft er noch sagen muss, dass er den einhalten will. Er hat es doch schon ganz oft gesagt.”
An dem Punkt muss man Horners Aussagen genauer beleuchten. Denn ja, es stimmt, Verstappen sagt jedes Mal, wenn er nach seiner Zukunft gefragt wird, dass er einen Vertrag bis 2028 hat. Doch er lässt sich das Hintertürchen jedes Mal offen. Wenn er zum Beispiel betont, das Wichtigste sei, dass die wichtigsten Leute im Team zusammenbleiben und alle in Ruhe arbeiten können.
Was Verstappen nämlich nicht sagt, ist: “Ja, ich bleibe definitiv auch 2025 und 2026 bei Red Bull. Zwischen Christian und Helmut ist alles wieder in Ordnung, es hat eine Aussprache gegeben. Und ich bedanke mich bei Mercedes für das Angebot, bleibe aber, wo ich bin.” Denn mit genau so einer Aussage könnte er alle Spekulationen mit einem Fingerschnippen beenden.
Horner versucht den Spieß umzudrehen: “Habt ihr darüber eigentlich schon mal mit Max geredet? Denn wenn man mit ihm redet, wird schnell klar, dass es letztendlich nicht um ein Stück Papier geht. Wir wissen, dass er einen Vertrag bis Ende 2028 hat. Aber es geht drum, wie er sich im Team fühlt, es geht um die Beziehungen im Team und darum, wie er performt.”
Horner: Beim Thema Wolff reagiert er allergisch
Vielleicht sind ja genau das die “anderen Faktoren”, die Wolff meint? Horner reagiert beim Thema Wolff jedenfalls allergisch: “Totos Problem sind nicht die Fahrer. Ich glaube, er hat andere Themen, um die er sich kümmern sollte, statt sich auf Fahrer zu konzentrieren, die nicht verfügbar sind.”
Bei der Frage, warum Verstappen selbst dann nicht mit dem Finger schnippt und das Thema ein für alle Mal beerdigt, kommt Horner ins Schwimmen: “Ich meine, er ist … Ja, okay, ich werde mich nicht drauf einlassen … Ich denke, manchmal werden solche Dinge einfach gestreut, um Unruhe zu stiften.”
“Mit dem Sieg in China haben wir jetzt in der modernen Ära der Formel 1 mehr Siege gefeiert als Mercedes. Das Team ist also in Form. Warum sollte irgendjemand dieses Team verlassen wollen? Mercedes ist aktuell das dritte Team, hinter ihrem eigenen Kundenteam. Ich glaube, sie sollten sich besser auf ihr eigenes Team als auf den Fahrermarkt konzentrieren.”
Nachfrage an Horner: Ist das Umfeld bei Red Bull aktuell wirklich so friedlich, wie es aussieht: “Ja”, antwortet er. Und: Verstappen betont immer, wie wichtig es ihm ist, dass das Team zusammenbleibt. Also bleibt es das auch wirklich? “Ich meine, natürlich, unser Team ist sehr gut eingespielt”, fällt Horner dazu ein.
Ob das Antworten sind, die Verstappen überzeugen können, bei Red Bull zu bleiben, wird die Zukunft zeigen. Klar ist: Mercedes will ihn unbedingt. So sehr, dass man unter Umständen sogar Verstappen-Förderer Helmut Marko als “neuen Niki” engagieren würde, wie Wolff das bereits vor einigen Wochen augenzwinkernd signalisiert hat.
Eine Allianz Wolff-Marko wäre vor ein paar Jahren, als Dietrich Mateschitz noch am Leben war, völlig undenkbar gewesen. Wolff galt beim “Oberbullen” seit vielen Jahren als Persona non grata. Aber 2024 “scheinen Dinge möglich zu werden, die man in der Vergangenheit niemals für möglich gehalten hätte”, sagt ein Insider, der anonym bleiben möchte.
Marko könnte der Schlüssel zum Mercedes-Wechsel sein. Denn Verstappen muss, wenn er seinen Vertrag vorzeitig kündigen möchte, eine Ausstiegsklausel aktivieren. Eine davon lautet: Wenn Marko nicht mehr da ist, darf er gehen. Wird der 80-jährige Grazer also wirklich der “neue Niki” bei Mercedes, dann macht er damit auch für Verstappen die Tür nach Brackley auf.
Alles wilde Spekulationen, aber Varianten, die mit Sicherheit in Wolffs Kopf herumspuken. Es ist vermutlich nicht sein Wunschszenario, Marko plötzlich als unkontrollierbare Eminenz im Mercedes-Pulli ungefiltert in die TV-Kameras sprechen zu sehen. Aber wenn genau das notwendig ist, um Verstappen zu bekommen, dann würde er es wahrscheinlich möglich machen.
Rosberg: Würde an Verstappens Stelle noch bleiben
Nico Rosberg würde an Verstappens Stelle trotzdem aktuell “nicht drüber nachdenken”. Der Sky-Experte sagt: “Max dominiert den Sport mit Red Bull, und er hat bis Ende 2025 Zeit. Er ist der König hier, er kann tun und lassen, was er will. Wenn er zu Mercedes wechseln will, kann er Ende 2025 immer noch zu Mercedes gehen.”
Eine Variante, die aus Wolffs Sicht einen Haken hat, denn dann würde er für 2025 einen Übergangsfahrer brauchen. Und Carlos Sainz hat angesichts des Dreijahresvertrags, den ihm Audi angeblich vorgelegt hat, wenig Lust, Lückenbüßer zu spielen. Zumal angesichts der erst 2026 anstehenden Regelreform nicht zu erwarten ist, dass Mercedes 2025 ein Siegerauto haben wird.
¿pbmba|1193|1116|pb¿Wolff könnte also überlegen, mit Andrea Kimi Antonelli schon 2025 voll ins Risiko zu gehen – aber was macht er dann 2026, sollte Verstappen wirklich erst dann kommen wollen? Dann würde er entweder Antonelli oder Russell opfern müssen. Ein Punkt, an dem Mercedes derzeit noch nicht ist, denn: “Wir sind mit Max noch nicht so weit, dass wir schon über konkrete Jahre gesprochen hätten.”
Eine auf den ersten Blick unverdächtige Aussage, die in Wahrheit, bei genauerem Hinhören, aber bestätigt, dass da tatsächlich Verhandlungen stattfinden. Was ohnehin kein großes Geheimnis mehr war, Horner aber zusätzlich nervös machen dürfte. Vielleicht auch ein Grund, warum der Red-Bull-Teamchef jetzt versucht, sich bei den Verstappens einzuschleimen.
Die hatten ihm nämlich jene Medienrunde übelgenommen, in der Horner meinte, dass keine einzelne Person je größer und wichtiger sein kann als das ganze Team, und dass ein Fahrer, der nicht bleiben will, gern gehen kann. Womit er im Kern wahrscheinlich recht hat. Aber die Verstappens hörten dabei in ihrer Wahrnehmung nur: “Wenn Max mich nicht als Chef akzeptieren will, dann soll er doch bitte abhauen.”
Seither versucht Horner bei jeder Gelegenheit, Verstappen Honig ums Maul zu schmieren. So auch nach dem Sieg in Schanghai. Verstappen sei “wie ein Metronom” gefahren. Und: “Seit dem letzten China-Grand-Prix hat er die Hälfte aller Rennen gewonnen. 21 der letzten 23. Er ist in fantastischer Verfassung. Er ist eins mit dem Auto und mit dem Team. Und er hat Spaß am Rennfahren.”