Caravaning

Wildcampen in Polen - Zelten in der freien Natur - ein Selbstversuch

Im Zelt in der freien Natur übernachten: Wildcampen gilt als Inbegriff der Freiheit beim Reisen. In Polen wurden nun 425 Waldgebiete dafür freigegeben. Dirk Engelhardt erzählt von seinem Selbstversuch.

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Naturverbundener kann man kaum campen, doch wo das legale Zeltgebiet beginnt und aufhört, ist nicht ganz leicht zu klären.

Polen ist ein oft unterschätztes Reiseziel. Doch die Naturlandschaft dort ist einmalig: Ostseeküste und Masurische Seenplatte im Norden, Gebirge und Seen im Süden und dazwischen schier endlose Waldgebiete.

Und während in Europa das Wildcampen praktisch überall verboten ist, hat Polen seit Kurzem die Regelungen gelockert und das Zelten in ausgewiesenen Gebieten als Pilotprojekt gestattet. Ganz einfach ist es für einen deutsch sprechenden Camper jedoch nicht, herauszufinden, wo diese Gebiete liegen, denn viele Informationen dazu sind nur auf Polnisch veröffentlicht, einige auf Englisch (lasy.gov.pl).

Hier ist Wildcampen erlaubt

Die Auswahl an Plätzen ist immens. Die 425 Gebiete mit einer Gesamtfläche von 600.000 Hektar liegen vor allem in den staatlichen Wäldern. Als Regel Nummer eins gilt: Übernachtungen an einem Ort sind nur an zwei aufeinanderfolgenden Tagen erlaubt. Gruppen ab zehn Personen müssen sich bei der Forstverwaltung anmelden. Was wiederum im Umkehrschluss bedeutet, dass man nach zwei Tagen einfach einen neuen Standort suchen und dort das Zeltabenteuer weiterführen kann. Neben einem Zelt sind auch Hängematten oder aufgespannte Planen erlaubt.

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Die weiteren Regeln sind eigentlich so simpel, dass jeder Camper mit gesundem Menschenverstand sie sowieso befolgt: Wildcamper sollten keine Spuren im Wald hinterlassen und erst recht keinen Müll. Gaskocher sind nicht überall erlaubt, Lagerfeuerromantik darf nur an ausgewiesenen Feuerstellen aufkommen. Außerdem gibt es auch in ausgewiesenen Wildcamping-Wäldern bisweilen Zonen, die nicht betreten werden dürfen.

Nach einem Jahr will Polen das Wildcamping-Projekt auswerten, um zu sehen, ob es funktioniert. “Es könnte ein Durchbruch sein. Wir räumen die Barrieren, die Missverständnisse zwischen verschiedenen Gruppen beiseite”, sagt Andrzej Konieczny, der Direktor der Staatsforste. Er sei sich bewusst, so Konieczny, dass die Outdoor-Community schnell wachse und sich der Wichtigkeit des engen Kontakts mit der Natur und der daraus folgenden Gesundheit bewusst sei: “Wir folgen den neuen Trends in der Erholung und versuchen jedem seine Freiheit zu geben, seine Leidenschaft im Wald auszuleben.”

Der Selbst-Versuch

Die Wildcamping-Gebiete sind fast gleichmäßig über ganz Polen verteilt. Ich suche mir ein Gebiet aus, das an einem Seeufer liegt, denn Wasser ist beim Wildcampen ja immer hilfreich. Nördlich von Myslibórz liegt der Mysliborskie-See. Hinter der polnischen Grenze bei Hohenwutzen durchfährt man erst einmal einen riesigen Markt, angesiedelt auf einem ehemaligen Fabrikgelände.

Auffällig sind die Grillrestaurants, in denen große Steaks und Schaschlikspieße auf Holzkohlenfeuer gegrillt werden. Tankstellen werden hier gerne von Deutschen besucht, denn der Liter Superbenzin ist hier immer noch deutlich günstiger als bei uns. Einmal volltanken, bitte! Dann noch Proviant für den kommenden Tag. Es gibt frisches Gemüse, Käse, polnische Würstchen und Bier. Am Oderufer vor dem Markt sehe ich den ersten polnischen Campingplatz nach der Grenze, der sogar kostenlos ist. Er ist ausschließlich von Wohnmobilen belegt.

Entlang der Landstraße reihen sich Dörfer mit sehr alten Häuschen, die seit Jahrzehnten nicht mehr renoviert wurden. Dazu kontrastiert die historische Stadtmauer, die perfekt aufgearbeitet glänzt und rund um das Dorf geht. Das Dörfchen Kruszwin, am Seeufer gelegen, ist die letzte Bastion der Zivilisation vor dem Leben in der Wildnis. Es gibt eine Kirche und ein paar alte Häuser aus Backstein, bei denen manchmal schwer zu erkennen ist, ob sie noch bewohnt sind. Hühner laufen frei umher, nichts Ungewöhnliches in polnischen Dörfern. Menschen sind jedoch nicht zu sehen. Ein Waldweg führt von hier zum Seeufer. Jetzt kommt der Moment, sich zu fragen, was um aller Welt mich hierhin gebracht hat, in der Wildnis mutterseelenallein zu campen.

Es ist noch nicht zu spät. Einfach umdrehen und einen “normalen” Campingplatz suchen? Ich beschließe, mutig zu sein, meinen Plan nicht zu ändern und dem Schicksal ins Auge zu blicken. An welcher Stelle genau die erlaubte Region zum Wildcampen beginnt, kann der Tourist nur erahnen – in freier Natur ist es nur ungefähr möglich, die grob eingezeichneten Grenzlinien für die Wildcamping-Gebiete auszumachen.

Doch wer sollte diese Vorgaben schon kontrollieren? Der See bei Kruszwin ist allerdings kein Badesee, wie erhofft. Er ist in seiner ganzen Länge von mehreren Kilometern praktisch ganz mit Schilf umschlossen. Ich finde eine Stelle mit einem Steg, an dem ein großes Schild mit polnischer Beschriftung steht, daneben ein Symbol mit einer Figur in Badehose, die mit einem dicken roten Strich durchgestrichen ist. Also besser keine erfrischende Schwimmpause in diesem Gewässer.

Ich baue das kleine Zweimannzelt auf, es gibt keine Mücken. Der Untergrund ist mit Gras bewachsen, und die Heringe bohren sich leicht in die Erde. Zeit für ein Grillmenü. Doch schlafen kann ich dann nicht richtig. Dann kommt ein Auto den Waldweg entlang und hält vor dem Steg. Ein Vater und sein Sohn steigen aus, grüßen den Wildcamper freundlich, gehen auf den Steg, schauen auf den See und steigen wieder ins Auto.

Obwohl ich “legal” wildcampe, werde ich das Gefühl nicht los, etwas zu tun, was man eigentlich nicht tun sollte. Morgens bin ich dann froh, dieses Abenteuer überstanden zu haben. Ich gehe auf den Steg und schaue in die aufgehende Sonne. Plötzlich sehe ich auf dem Wasser die zwei Augen eines Krokodils, das träge entlang des Ufers gleitet. Deshalb also das Warnschild. Wildcampen in Polen ist noch abenteuerlicher, als ich gedacht hatte.

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