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Experten fordern mehr Teamgeist in der Supply Chain

Nachdem die Anfälligkeit der Supply Chains durch Corona brutal offengelegt wurde, streben Automotive-Firmen nach mehr Vernetzung und Transparenz. Warum es jetzt auf Datenräume und Zusammenarbeit ankommt, diskutierten Experten auf der Hannover Messe.

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Der automotiveIT Salon bietet als regelmäßiges Format führenden Experten aus der Automobilindustrie eine Plattform zum Austausch über Herausforderungen und Lösungsansätze. (Bild: Sabine Berkefeld)

Die automobile Lieferkette sieht sich aktuell mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, die zu der Frage hinleiten können, ob die Supply Chain in ihrem derzeitigen Zustand zu einem Auslaufmodell wird. Laut einer aktuellen Analyse der Strategieberatung Deloitte beeinträchtigten beispielsweise Rohstoffengpässe im Jahr 2023 bei zwei Fünfteln der befragten Unternehmen die Lieferkette, die Hälfte kämpfte mit Engpässen bei Bauteilen oder Bauteilgruppen.

Für viele Automobilhersteller und Zulieferer sei die Pandemie der Auslöser gewesen, der ihnen die Anfälligkeit ihrer Lieferketten verdeutlichte, sagt Frank Göller, Audi-Manager und Mitglied im erweiterten Vorstand von Catena-X, auf dem automotiveIT Salon zum Thema Supply Chain Management im Rahmen der Hannover Messe. „Wir mussten uns aber auch viele Gedanken machen, weil wir in dieser Zeit mit Herausforderungen konfrontiert wurden, die wir vorher noch nicht kannten“ so der Audi-Experte weiter. Nachdem sich die meisten Unternehmen inzwischen langsam von den Folgen der Coronakrise erholen konnten, bleibt das Ziel einer transparenten und resilienten Lieferkette dennoch bestehen. Für viele Branchenakteure sind politische Unruhen, schlechte wirtschaftliche Bedingungen oder auch klimabedingte Unterbrechungen ungebrochen große Lieferkettenrisiken.

Autobranche muss für robuste Lieferketten zusammenarbeiten

Genau hier will die Datenrauminitiative Catena-X ansetzen und die notwendige Plattform für einen global vernetzten Datenaustausch zur Verfügung stellen. Das Denken in Netzwerken, sei sehr wichtig für einen gelingenden Transformationsprozess im Bereich der Lieferkette, betont Philipp Leschinski, Projektmanager für Kreislaufwirtschaft bei BMW und Catena-X-Fachmann. „Wenn ich etwas reingebe, krieg ich auch mehr raus. Dieses Mindset in einem so starken Wettbewerb einzuleiten, ist eine große Herausforderung“, so Leschinski weiter.

Diese Art der Zusammenarbeit beschreibt Göller für die Automobilbranche als „überlebenswichtig“ – besonders im Anbetracht des zulassungsrelevanten Batteriepasses, der ab 2027 die wichtigsten Infos entlang des Lebenszyklus der E-Batterie bündeln soll. Konkret warnt er: „Wir werden dadurch bereits 2030 über eine Million Datenpunkte haben und es gibt kein System, das das organisieren soll. Wenn wir da alle unsere eigenen Systeme aufbauen, dann scheitern wir kläglich. Nur in Kollaboration können wir das bewältigen.“

Nachhaltigkeit und Lieferkettenresilienz gehen Hand in Hand

Im exklusiven Interview mit automotiveIT erklärt Oliver Ganser, Vorstandsvorsitzender der Catena-X-Initiative, dass sich viele Unternehmen den gesetzlichen Anforderungen, die auch auf sie zukommen, gar nicht vollends bewusst wären. „Wir müssen oft Grundlagenarbeit leisten und klären, welche Anforderungen durch Gesetzgebungen wie die Corporate Sustainability Reporting Directive entstehen, laut der sie ab 2027 mehr als 1000 Datenpunkte berichten müssen, von denen die Hälfte aus der Lieferkette stammen werden.“ berichtet Ganser besorgt. „Wenn wir Firmen fragen, wie sie diese Datenpunkte ohne Catena-X erfassen wollen, sind viele ratlos.“

Zu diesen Grundlagen gehöre unter anderem ein tiefgehendes Verständnis für Nachhaltigkeit und ihre Dimensionen, ergänzt Luise Müller-Hofstede, Catena-X-Vorständin, das Problem der fehlenden Basics. Für sie gehören die Themen Nachhaltigkeit und Resilienz ohne Ausnahme zusammen, da sich Infos aus der Lieferkette, Wissensaufbau und Rückverfolgbarkeit von Risikorohstoffen gegenseitig bedingen würden. „Mit der Energiewende wollen wir die Welt besser machen. Wenn wir dabei aber den Blick auf die Supply Chain verlieren, schaffen wir neue Probleme an anderer Stelle. Nachhaltigkeit ist kein i-Tüpfelchen, sondern eine logische Konsequenz aus Lieferkettenrückverfolgbarkeit“, mahnt die Verantwortliche für Business Development bei Circulor.

Auch für die Nachhaltigkeitsdisziplin Kreislaufwirtschaft braucht es einen zuverlässigen Austausch, ganzheitliche Modelle und dringend eine Standardisierung der Datenobjekte, wie Martin Ruskowski, Vorstandsvorsitzender der SmartFactory KL und DFKI-Wissenschaftler, unterstreicht: „Es kann nicht sein, dass Autos verschrottet werden, die einige Monate zuvor brandneue Ersatzteile bekommen haben. Man muss die Produkte am Ende auseinander bauen und recyclen. Mit den notwendigen Daten können wir hier tief in die Circular Economy eintauchen.“

Regularien als Hemmschuh oder Katalysator?

Regularien wie der oben erwähnte Batteriepass oder auch individuelle ESG-Vorschriften der Automobilhersteller (Environmental, Social, and Governance) dienen laut Leschinski als effizienter Treiber in Richtung Nachhaltigkeit – vorausgesetzt auch hier findet die notwendige Standardisierung statt, um Mehraufwand einzudämmen. „Wenn sich die Regularien gegenseitig befruchten, werden sie zu hilfreichen Katalysatoren. Sind sie nicht gut gemacht, dann hemmen sie uns stattdessen“, differenziert der Kreislaufwirtschafts-Experte. Abschließend betonen die Catena-X-Vertreter beim automotiveIT Salon, wie wichtig auch zukünftig Kollaborationen und globale Netzwerke sein werden, um der automobilen Lieferkette ein dringend benötigtes Update verpassen zu können. „An einigen Stellen müssen wir zugeben, dass wir noch nicht alle Details beisammenhaben. Es gibt schlichtweg zu viele Aufgaben, die kontinuierlich weiterwachsen. Uns bleibt aber keine andere Möglichkeit, als zusammen eine robuste Sandbox zu schaffen“, fasst Luise Müller-Hofstede zusammen.

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