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In der Türkei baut Künstliche Intelligenz den Ford Transit

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Autofreunde: Recep Tayyip Erdoğan spricht bei Ford Otosan.

Nachrichten zum Europageschäft des amerikanischen Autoherstellers Ford waren in den vergangenen Jahren oft wenig erbaulich: Stellenabbau, Umsatzeinbußen, eine schrumpfende Modellpalette; das Werk in Saarlouis wird kommendes Jahr geschlossen, und ob demnächst Elektroautos im spanischen Valencia gebaut werden, ist auch wieder fraglich. Umso lieber kommuniziert Ford gute Nachrichten aus der Türkei. Ausgerechnet aus jenem Land mit 70 Prozent In­flation, wo die Autoindustrie dieses Jahr mit einem Absatzeinbruch von mehr als 10 Prozent kalkuliert und um das die global expandierenden chinesischen Anbieter einen Bogen machen.

Hans Schep irritiert das wenig. Der Chef des europäischen Nutzfahrzeuggeschäfts von Ford, Marktkennern als „Ford Pro Europe“ geläufig, lobt vielmehr „unsere kostengünstige und qualitativ hochwertige Fertigung in der Türkei“. Die habe dazu geführt, dass Ford mit seinem „Transit“ seit neun Jahren Europas Marktführer bei Nutzfahrzeugen sei. „Mal sehen, ob das auch dieses Jahr gelingt“, sagt Schep. Er lässt wenig Raum für Zweifel, dass er damit fest rechnet.

Damit das so bleibt, hat Ford mit seinem türkischen Partner Koç Holding A.Ş., der größten Industrieholding im Land, zwei Milliarden Euro in die Modernisierung der Fertigung investiert und die Produktionskapazitäten auf bis zu 746.500 Einheiten im Jahr vervierfacht, davon entfallen allein 405.000 auf das neue Werk Yeniköy. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan sagte zur Eröffnung der Ford Otosan Yeniköy Fabrikası im November, sie verdiene den Titel „Fabrik der Zukunft“. Ali Y. Koç, Vizechef des Verwaltungsrats der Familienholding und Vorsitzender von Ford Otosan, sprach von einer „völlig neuen Ära industrieller Exzellenzstandards“.

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Hans Schep: Chef des europäischen Nutzfahrzeuggeschäfts von Ford

1200 Roboter arbeiten rund um die Uhr

Was Koç damit meint, wird während einer Rundfahrt durch die 1,7 Quadratkilometer große Anlage deutlich, zu der Ford Journalisten nach Kocaeli, zwei Autostunden östlich von Istanbul, geladen hat. Das Werk liegt direkt am Marmarameer. Das ist praktisch, können die Autos doch gleich auf eines der 250 Schiffe verladen werden, die hier jedes Jahr festmachen. An der Außenfassade in Yeniköy glitzern Solarmodule, auch auf dem Fa­brikdach wird Strom erzeugt, seine Kon­struktion lässt einen maximalen Lichteinfall zu. Etwa ein Siebtel des Strombedarfs wird selbst erzeugt. Bald soll es mehr sein. PV-Par­ks auf dem nahen Meer sind in Planung. Im Innern schweißen, montieren und lackieren 1200 Roboter rund um die Uhr Blechteile zu Autos.

Doch nicht der mit 80 Prozent angegebene Automatisierungsgrad ist in der neuen Fertigung der Clou, sondern ihre große Flexibilität. Alle Modelle, jede Antriebsart werden in einer Reihenfolge abgearbeitet, gleich ob der neue „Transit“ oder „Tourneo“ von einem Verbrenner, Plug-in-Hybrid oder Elektromotor angetrieben wird, ob der Van in den Export geht oder als Personentransporter für den türkischen Markt gefertigt wird. „Die Flexibilität macht uns sehr stark“, sagt Schep. Aktuell kann er so die schleppende Nachfrage nach elektrischen Modellen durch klassische Modelle ersetzen.

Im Hintergrund sorgt Künstliche Intelligenz für einen reibungslosen Ablauf. Auf fünf Gitterrostebenen über den Produktionsstraßen werden die von den orangefarbenen Kuka-Robotern benötigten Teile automatisch zugeliefert. Maschinen kommunizieren mit Maschinen, Industrie 5.0 zum Anfassen. Wo Menschen Hand anlegen, tragen sie zuweilen Bildschirme im Format eines XL-Smartphones am Handgelenk. Digitale Mensch-Maschine-Vernetzung in Echtzeit. In Sachen Komplexität und Flexibilität könne wohl kaum ein anderer Autohersteller mithalten, sagt Schep. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass Güven Özyurt, General Manager des Gemeinschaftsunternehmens Ford Otosan, keine Bedenken hat, die Konkurrenz von Volkswagen ins Werk zu lassen. Ford Otosan wird vom Spätsommer an in Yeniköy den Ein-Tonnen-VW-Transporter produzieren, die Vorbereitungen laufen.

„Das erfolgreichste Unternehmen der türkischen Automobilbranche“

Die Kooperation von Ford mit Koç reicht fast 100 Jahre zurück. 1928 importierte Koç erstmals Ford-Autos. Ende der 1950er-Jahre wurde das Gemeinschaftsunternehmen gegründet, das bald darauf Fahrzeuge produzierte. 1997 stellten die Eigentümer die Gesellschaft als Ford Otomotiv Sanayi A.Ş. neu auf. Seither hält jeder von ihnen 41 Prozent der Aktien, der Rest wurde an der Börse Istanbul verkauft. „Ford Otosan ist das mit Abstand erfolgreichste Unternehmen der türkischen Automobilbranche“, sagt Alper Kanca aus dem Vorstand des türkischen Verbands der Autozulieferer. Kanca erinnert daran, dass Ingenieure von Ford Otosan den ersten Lastwagenmotor und danach den ersten Lastwagen entwickelt hätten. Heute ist Ford Trucks ein globales Unternehmen unter dem Dach von Otosan und ein erfolgreiches dazu: 2023 sei der Absatz um 15 Prozent auf mehr als 19.000 Einheiten gestiegen, berichtet Otosan-Manager Özyurt. Knapp ein Drittel der Produktion ging in den Export. Die letzten weißen Flecken in Europa, die Schweiz und Skandinavien, gehe man jetzt an.

Überhaupt konnte Ford Otosan zuletzt mit Rekordzahlen glänzen. Trotz der belastenden Inflation habe man 2023 „zu einem Jahr der Rekorde gemacht“, sagt Özyurt. Die Exporterlöse seien um 20 Prozent auf (nach aktuellen Kursen umgerechnet) 8,6 Milliarden Euro gestiegen, der Inlandsabsatz um 50 Prozent auf 3,1 Milliarden Euro. Als Grund nennt er „starke Verkaufsmengen und eine anhaltende Preisdisziplin“.

Doch in diesem Jahr läuft es nicht mehr so richtig rund. Seitdem die türkische Notenbank den Leitzins von 8,5 auf 50 Prozent angehoben hat, machen sich in der Wirtschaft Ermüdungserscheinungen breit. Der Absatz schwerer Lastwagen sei im ersten Quartal um ein Drittel eingebrochen, berichtete unlängst der Branchenverband. Der Absatz von Nutzfahrzeugen schrumpfte im März um 7,9 Prozent, wie der Autohändlerverband ODMD bekannt gab. Aber das macht Özyurt wenig Sorgen: Die Nachfrage aus Europa sei so groß, dass man eine Nachfrageschwäche zu Hause mit höheren Exporten werde ausgleichen können.

Kein Glück bei den chinesischen Herstellern

Weniger klar ist dagegen die Entwicklung im Elektrofahrzeuggeschäft. Auch wenn Schep ein ums andere Mal betont, 2035 sei bekanntlich Schluss mit dem Verbrenner in Europa, bleibt auch Ford Otosan auf der vorsichtigen Seite. Zweimal schon wurde ein Gemeinschaftsunternehmen zur Fertigung von Batteriezellen angekündigt: 2021 mit der südkoreanischen SK On, 2023 dann mit Südkoreas LG Energy Solution. Das Bauland ist zwar schon ausgesucht, aber die Investition wieder auf Eis gelegt. Zu volatil sei die Nachfrage, zu unklar die Marktlage. Dieses Jahr werde es dazu sicherlich keine Neuigkeiten geben, sagt Schep. Die Batterien für die Vans kommen stattdessen aus koreanischen Batteriezellenfabriken in Polen und Ungarn.

Zudem gehen türkische Hoffnungen auf die Ansiedlung eines großen chinesischen Herstellers nicht auf: BYD ziehe es nach Ungarn, Great Wall habe seine Investition in der Türkei ausgesetzt, und Cherry baue in Spanien ein neues Werk, klagte dieser Tage Cengiz Eroldu, der Chef des türkischen Automobilverbands. Er hätte noch Chinas Geely Holding erwähnen können, die das dritte Werk ihrer Marke Volvo in der Slowakei errichtet.

2023 war die Türkei gemessen an den 1,4 Millionen produzierten Fahrzeugen der zwölftgrößte Hersteller der Welt. Die politische Führung will mehr. Präsident Erdoğan kündigte bei der Eröffnung des neuen Ford-Otosan-Komplexes im November an, „die Türkei zu einem der Weltmarktführer in der Produktion von Elektroautos und Batterien zu machen“. Er wird noch etwas warten müssen.

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