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Umgehen von Zöllen: China baut jetzt Autos in Europa

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Leapmotor will in Deutschland Elektroautos für unter 20.000 Euro anbieten.

Die nächste Stufe von Chinas Auto-Expansion nach Europa wird in einem Fabrikgelände gut 600 Kilometer östlich von Berlin gezündet. In der polnischen Industriestadt Tychy betreibt der europäische Autokonzern Stellantis ein großes Werk. Hier wurden diesen Sommer die ersten Vorserien-Exemplare eines ganz besonderen Kleinwagens montiert: Der Leapmotor T03 ist das erste chinesische Elektroauto, das in einer Fabrik in Europa gefertigt wird. Ein Meilenstein für die Internationalisierung von Chinas aufstrebender Autoindustrie – und möglich geworden ist er nur durch die tatkräftige Unterstützung des europäischen Herstellers Stellantis, der sich mit den Chinesen verbündet hat.

Nächsten Monat startet der Verkauf von Leapmotor-Autos in Deutschland und acht anderen europäischen Ländern. Leapmotor wird damit quasi zur fünfzehnten Marke im Stellantis-Reich. Bisher gehören zu dem viertgrößten Autobauer der Welt unter anderem Opel, Citroën, Peugeot, Fiat, Chrysler und Jeep.

Dass nun ausgerechnet Stellantis-Chef Carlos Tavares zum Türöffner für die chinesische Autofertigung in Europa wird, war noch vor Kurzem schwer vorstellbar. Schließlich hat kaum ein Topmanager der heimischen Autoindustrie in den vergangenen Jahren so deutlich vor einer bevorstehenden Flut billiger chinesischer E-Autos gewarnt wie der Portugiese.

„Ich mache mir Sorgen um den Import chinesischer Autos nach Europa – ein Markt, der den chinesischen Herstellern völlig offen steht“, sagte Tavares im April 2023 im Interview mit der F.A.S. „Meine Sorge ist: Bis die EU das Problem erkennt, wird es zu spät sein.“ Das war ein kaum verhüllter Ruf nach Schutzzöllen gegen chinesische Autoimporte, die die EU dann vor zwei Monaten auch tatsächlich verhängt hat.

Der Kurswechsel des Stellantis-Konzerns

Doch da hatte der Stellantis-Chef bereits den Kurs gewechselt: Im Oktober 2023 stieg Tavares bei dem erst vor neun Jahren gegründeten chinesischen Elektroauto-Start-up Leap­motor ein. 1,5 Milliarden Euro bezahlte Stellantis für eine Beteiligung von 21 Prozent an dem kleinen Hersteller. Ein wichtiger Teil des Deals: Ein von Stellantis mehrheitlich kontrolliertes neues Gemeinschaftsunternehmen der beiden Partner erhält das exklusive Recht, Autos von Leapmotor außerhalb Chinas zu fertigen und zu vertreiben – so wie jetzt in der Stellantis-Fabrik in Polen. Tavares hält sich nun lieber an die Maxime: Wenn du den Feind nicht besiegen kannst, dann verbünde dich mit ihm.

Das Kalkül des Stellantis-Chefs läuft ­darauf hinaus, dass es besser ist, über eine ­Allianz mit den Chinesen am Verkauf von deren elektrischen Billigautos in Europa mitzuverdienen, als ihnen dieses Marktsegment komplett zu überlassen. Stellantis wolle Profiteur der chinesischen Europa-Offensive sein, statt deren „Opfer“ zu werden, sagt Tavares, der damit neue Wege geht in der Autoindustrie. Er setzt auf Arbeitsteilung: Die Chinesen haben die kostengünstigen Fahrzeugmodelle, Stellantis verfügt über Fabriken und Vertriebsnetz.

Von September an soll der Leapmotor T03 in den Schaufenstern von rund 200 europäischen Stellantis-Händlern stehen. In Deutschland sollen zum Start rund 50 Händler das China-Auto anbieten, so der Plan. Leapmotor hat sich allerdings einen denkbar schlechten Zeitpunkt für den Marktstart ausgesucht. Seit die Bundesregierung Ende 2023 aus Geldnot den staatlichen Kaufzuschuss gestrichen hat, sind E-Autos hierzulande zu Ladenhütern geworden – der Frust in den Autohäusern ist groß. „Die Händler reißen sich nicht gerade darum, jetzt eine neue Elektroauto-Marke zu bekommen“, heißt es aus dem Stellantis-Vertriebsnetz.

Auch andere planen europäische Fabriken

Die ersten Leapmotor-Autos werden noch aus Fernost importiert, doch soll die Serienfertigung in der Stellantis-Fabrik in Polen zügig hochgefahren werden. Die Autos werden in Tychy aus in China vorgefertigten Teilesätzen montiert. In Zukunft könnten die Leapmotor-Autos auch in anderen europäischen Stellantis-Werken gebaut werden, so der Plan.

Weil die Montage in Europa stattfindet, rechnen die Unternehmen damit, die neuen Schutzzölle der EU gegen chinesische Elek­troautos vermeiden zu können. Die sind ­erheblich: Auf Importautos müsste Leap­motor in Zukunft 31 Prozent Zoll bezahlen, statt bislang 10 Prozent. Auch andere chinesische Hersteller wie BYD, SAIC und Chery wollen Autos in Europa bauen und planen dafür eigene Fabriken. Aber keiner der Wettbewerber ist mit der Produktion vor Ort so weit wie Leapmotor durch seine Kooperation mit Stellantis.

Dass das europäisch-chinesische Joint Venture mit einem Kleinwagen an den Start geht, ist kein Zufall. Sie bedienen eine Marktlücke, denn kompakte und preisgünstige E-Fahrzeuge haben Europas Autobauer bislang so gut wie gar nicht im Angebot. Der gut 3,60 Meter kurze viertürige Leapmotor T03 soll weniger als 20.000 Euro kosten. Der Hersteller verspricht für das Elektromobil eine Reichweite von rund 260 Kilometern. Das einzige andere E-Auto auf dem europäischen Markt mit einem so niedrigen Preis ist der „Spring“ der rumänischen Renault-Billigmarke Dacia. Das spartanische Gefährt, das sich gut verkauft, importiert Dacia allerdings aus China.

Mangel an bezahlbaren Modellen

Andere europäische Hersteller tun sich dagegen schwer, derart günstige E-Autos anzubieten. Stellantis selbst hat als Elektroeinstiegsmodell den Kleinwagen Citroën eC3. Mit Preisen von etwa 23.000 Euro an ist er das billigste derzeit in Europa gefertigte Elektromodell – aber eben deutlich teurer als das neue Miniauto von Leapmotor. Von 2030 an sollen die Stellantis-Marken in Europa nur noch E-Autos anbieten. Der Konzern plant, in den kommenden Jahren Dutzende neuer Elektromodelle auf den Markt zu bringen. Volkswagen wiederum hat für 2026 sein Elektrobasismodell ID.2 angekündigt, das rund 25.000 Euro kosten soll.

Fachleute halten den Mangel an bezahlbaren Modellen im Einstiegssegment für einen Hauptgrund dafür, dass viele Kunden den Umstieg auf Elektroantrieb scheuen. Sie sagen voraus, dass chinesische Hersteller diese Marktlücke nutzen und in den kommenden Jahren verstärkt mit preisgünstigen E-Autos auf den europäischen Markt drängen werden.

Mit Stellantis und Leapmotor haben sich zwei sehr ungleiche Partner zusammengetan. Stellantis ist ein Weltkonzern mit 190 Milliarden Euro Jahresumsatz, der 2023 rund 6,2 Millionen Fahrzeuge verkauft hat. Leapmotor dagegen ist ein Autozwerg, der vergangenes Jahr nur 144.000 Autos ausgeliefert hat und bislang Verluste schreibt. Aber technologisch gelten die Chinesen als stark. Wichtige Elektrokomponenten fertigt das kleine Unternehmen in Eigenregie, statt sie von Zulieferern einzukaufen. Vergangenes Jahr verhandelte auch VW mit Leapmotor über eine Allianz, verbündete sich dann aber mit dem Wettbewerber Xpeng.

Große Ziele

Zusammen haben Stellantis und die Chinesen große Ziele. Ihr neues Gemeinschaftsunternehmen wolle schon dieses Jahr in Europa bis zu 10.000 E-Autos verkaufen, sagte ein Leapmotor-Manager im Juni in einer Investorenrunde. 2025 wird bereits ein Absatz von 60.000 bis 100.000 Fahrzeugen angepeilt. Längerfristig werden eine halbe Million Fahrzeuge im Jahr angepeilt. Nach dem Einsteigermodell T03 wollen die beiden Partner noch dieses Jahr das Elektro-SUV C10 von Leapmotor nach Europa bringen, das unter 40.000 Euro kosten soll und gegen den Tesla Y und den VW ID.4 antritt.

Europa ist aber nur die erste Station der Zusammenarbeit der beiden Autobauer. Stellantis will die chinesischen E-Autos auch in andere asiatische Länder, in den Nahen Osten, Afrika und nach Südamerika bringen. Für Leapmotor soll das Bündnis zum Sprungbrett auf den Weltmarkt werden.

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