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Stunde der Wahrheit: Hat deutsche Autoindustrie eine Zukunft in der EU?

stunde der wahrheit: hat deutsche autoindustrie eine zukunft in der eu?

Mitarbeiter im BMW-Werk Leipzig montieren einen elektrisch angetriebenen i8.

Die Zukunft des Autos in Europa könnte sich Anfang Juli in Portugal entscheiden. Auf ihren „Studientagen“ in Cascais wollen die europäischen Konservativen von der EVP beraten, wie sie die vor allem für Deutschland zentrale Technologie des Verbrennermotors retten können.

Eigentlich hat die EU beschlossen, dass schon in wenigen Jahren keine neuen Autos mehr mit Verbrenner verkauft werden dürfen. Vor allem die Vertreter von CDU und CSU machen Druck. Jens Gieseke, Chefverhandler der EVP für die Überarbeitung der CO₂-Flottengrenzwerte, sagte der Berliner Zeitung: „In den Hausaufgaben an die neue EU-Kommission steht unsere Kernforderung ganz vorne – nämlich die Rücknahme des Verbrenner-Verbots.“ Es gebe keinen Grund, bis 2026 zu warten, sagt Gieseke: „Das Ziel einer 100-Prozent-Abschaffung der Verbrenner per 2035 muss gekippt werden.“ Mit dieser Forderung dürfte auch Ursula von der Leyen konfrontiert werden: Sie will wieder zur Kommissionspräsidentin gewählt werden und war bisher eine der Haupttreiber für das Verbrenner aus.

Gieseke, der von der Leyen für die richtige nächste Präsidentin hält, sieht gute Voraussetzungen dafür, dass das  Verbrenner-Aus in der EU schon bald gekippt werden könnte: „Wir haben starke Unterstützung für diese Forderung auch aus anderen Parteien. Im neuen EU-Parlament, in dem die Grünen deutlich geschwächt sind, sollten wir für die Forderung eine Mehrheit finden können.“ Grundsätzlich müsse jedenfalls Offenheit herrschen. Jens Gieseke: „Wir sind gegen jede Art von Verboten, wir wollen einen Wettbewerb der Technologien.“

Auch in der Industrie ist man davon überzeugt, dass es den Verbrenner weiter geben muss. Ein Sprecher von BMW sagte der Berliner Zeitung: „Unterschiedliche Kundenbedürfnisse benötigen unterschiedliche Antriebe. Hier hat auch ein Verbrenner Platz.“ Es gebe Anwendungen, für die der Verbrenner ideal sei; und solche, „wo es auf jeden Fall wirtschaftlicher ist, ein Elektroauto zu verwenden – beispielsweise etwa im städtischen Verkehr“.

BMW verfolge daher seit jeher „einen technologieoffenen Ansatz mit reinen Verbrennern, Plug-in-Hybriden, batterieelektrischen Fahrzeugen und auch dem Wasserstoffantrieb“. Das Unternehmen balanciere seinen „globalen Absatz zwischen den Weltregionen aus“. Auch die Produktion sei flexibel: „Wir liefern den Antrieb, der nachgefragt wird.“ BMW warne davor, „in Extremen zu denken“. „Vielleicht normalisieren sich die Märkte gerade, weil politisch gewollte Förderungen für Elektroautos entfallen“, so der Sprecher. Auch bei den Preisen für Elektroautos dürfte der Markt bestimmen, welche Produkte sich am sinnvollsten verkaufen lassen. Der BMW-Sprecher: „Es geht beim Preis auch immer ums Nutzungsprofil: Man braucht nicht bei jedem Auto einen Hochvoltspeicher, der auf 600 Kilometer Reichweite ausgelegt ist, wenn man in der Woche nur 150 Kilometer pendelt.“

Bei BMW beobachtet man jedenfalls einen Trend zur Vielfalt – die auch zu Überraschungen führen kann: „Medial und auch in den Strategien anderer Hersteller erlebt der Verbrenner eine Renaissance.“ Dessen ungeachtet bleibe für BMW „das Elektroauto ein wichtiger Baustein für unser Fahrzeugportfolio“. Am Elektroauto werde „nicht gerüttelt“, so der Sprecher. Die Märkte bei den Verbrennern seien „weitgehend stabil“, das Wachstum im Automobilsektor global komme dagegen „oftmals von den elektrischen Fahrzeugen“. Dennoch sei klar: „Alle etablierten Unternehmen sind in die Verbrenner investiert. Wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen: Nachhaltigkeit hat nicht nur eine ökologische, sondern auch eine ökonomische und eine soziale Komponente. Das muss man im Blick behalten.“ Und weiter: „Wenn die Industrie heute einen radikalen Ausstieg durchführen müsste, könnte dies zu extremen sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen in einzelnen Landstrichen führen. Transformation heißt, die Menschen mitzunehmen.“

Entscheidend sei, dass die Klimaziele erreicht werden. Die Diskussionen um die CO₂-Reduktion bezögen sich jedoch „oftmals nur auf Neufahrzeuge und nicht auf die Bestandsfahrzeuge“. Da liege aus BMW-Sicht „ein großer, bisher weitgehend ungenutzter Hebel“. Es gehe nicht nur um die Nutzer des Kraftstoffs, sondern auch um den Kraftstoff selbst. „Es wäre notwendig, auch auf die Mineralölindustrie zu schauen: Die könnte mit umweltschonenderen Kraftstoffen einen Riesenbeitrag für die CO₂-Reduktion der Bestandsflotte leisten“, sagte der Sprecher. Die Beimischung von zehn Prozent Bioethanol könne „sicherlich nicht das Ende an Innovation“ sein. Es gebe den Kraftstoff HVO100: „Alle unsere Diesel-Modelle können damit betrieben werden.“ EVP-Mann Gieseke pflichtet bei: „Es gibt keine Denkverbote: Die Mineralölindustrie ist eingeladen, einen Beitrag zu leisten.“

Für die deutsche Autoindustrie ist jedenfalls rasche Klarheit in der Verbrenner-Frage unumgänglich. Mit den geplanten EU-Sanktionen gegen China hätte etwa BMW ein echtes Problem. Der Sprecher: „Zum jetzigen Zeitpunkt wäre unser chinesisches Joint Venture stärker von den Einfuhrzöllen betroffen als manch anderer chinesischer Anbieter.“ Zölle seien „keine gute Lösung, um eine Industrie zu schützen oder einer Technologie zu helfen“.

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