Test

Kia EV6 im Test: Crossover mit viel Power und schnellem Laden

Wermutstropfen sind die Optik des Hecks und die Assistenzsysteme

kia ev6 im test: crossover mit viel power und schnellem laden

Kürzlich haben wir bereits einen Test des neuen Kia EV6 veröffentlicht, den unser US-Kollege Kyle Conner fabriziert hat, und wir haben einiges dabei gelernt. Jetzt habe ich den Wagen in der gleichen Version (AWD Long Range) selbst gefahren und weitere Details entdeckt.

Dass der EV6 wie der Hyundai Ioniq 5 und der Genesis GV60 auf der Electric Global Modular Platform (E-GMP) basiert, dürften Sie inzwischen wissen. Auch, dass der Radstand mit 2,90 Meter zwar lang, aber zehn Zentimeter kürzer ist als beim Ioniq 5. Im oben verlinkten Test haben wir auch schon berichtet, dass der EV6 (wie seine E-GMP-Brüder) ein ziemlich einmaliges Allradsystem mit mechanisch abkoppelbarer Vorderachse besitzt.

Sie wissen auch schon, wie die Batteriegrößen von 58 und 73 kWh zustande kommen und dass der EV6 mit seinem 800-Volt-System mit bis zu 234 kW Gleichstrom aufgeladen werden kann. Und dass der EV6 AWD Long Range mit 239 kW Antriebsleistung viel Power bietet, können Sie sich wahrscheinlich denken. 5,2 Sekunden von 0 auf 100, das sagt ja praktisch eh schon alles.

Was bleibt dann überhaupt noch zu berichten? Eine ganze Menge. Zum Beispiel haben wir erfahren, wie die verschiedenen Leistungen der RWD-Varianten zustande kommen: Die Basisversion Standard Range RWD hat 125 kW, der Long Range RWD dagegen 168 kW. Dabei sind die Heckmotoren von der Hardware her identisch, wie mir Produktmanager Matthias Troge sagt. Der Unterschied liegt in der Batterie: Der große 77-kW-Akku gibt mehr Leistung ab als der kleine mit 58 kWh.

kia ev6 im test: crossover mit viel power und schnellem laden Cockpit mit zwei 12,3-Zoll-Displays und der doppelt belegten Einstellleiste unter dem Touchscreen

Einsteigen und Losfahren

Nach dem Einsteigen gelang es mir nicht, den Wagen in den D-Modus zu bekommen. Durch einfaches Drehen des Wählers ließen sich nur der N- und der P-Modus aktivieren, die Anzeige stand nicht auf “Ready”, also war das Auto aus irgend einem Grund noch nicht fahrbereit.

Schließlich öffnete ich die Tür, um einen der Kia-Techniker zur Hilfe zu rufen, und prompt rollte der EV6 zurück, ich konnte gerade noch ein Malheur verhindern. Selber schuld? Sicher, aber wir hätten uns gewünscht, dass beim Öffnen der Tür der P-Modus aktiviert wird. Beim Mercedes EQS muss man sich sogar um überhaupt nichts kümmern, man kann einfach aussteigen.

Was das Problem in meinem Fall war, weiß ich nicht. Nach ein paarmal Aus und An ließ sich der EV6 jedenfalls dann doch wegfahren. Tant pis, sagt der Franzose.

kia ev6 im test: crossover mit viel power und schnellem laden kia ev6 im test: crossover mit viel power und schnellem laden

Fahrgefühl: Leicht hecklastig

Bald ging es auf die Autobahn und sobald das Tempolimit wag war, ließ ich die Kuh fliegen. Schnell war ich bei 192 km/h angelangt – die offizielle Höchstgeschwindigkeit liegt bei 185 km/h (abgeregelt). Die 239 kW des Allrad-EV6 fackeln da nicht lange.

Im Normalmodus koppelt der EV6 den vorderen Motor von der Achse ab, wenn dieser nicht gebraucht wird. Damit werden Schleppverluste verhindert. Dank der Kia-Pressemitteilung kenne ich jetzt auch den Namen der Einrichtung: Disconnector Actuator System (DAS).

Sobald man wieder aufs Gas geht, schaltet sich die Vorderachse wieder dazu, und zwar laut Kia in 0,4 Sekunden. Die von Kyle in seinem Test bemerkte winzige Verzögerung konnte ich auch bei wiederholten Versuchen nicht reproduzieren.

kia ev6 im test: crossover mit viel power und schnellem laden

Als ich nach dem Verlassen der Autobahn eine enge Kurve vor mir hatte, nutzte ich sie, um das Kurvenverhalten zu testen. Bei leicht feuchtem Belag und etwas mehr Gas hatte ich den Eindruck, dass das Heck nach außen schwingt – dass der Wagen leicht übersteuert. Das ist plausibel, sagt mir später der Produktmanager Troge. Denn erstens ist der hintere Motor stärker (ca. 170 kW, gegenüber nur ca. 70 kW vorne), wir haben also einen heckorientierten Allradantrieb, und zweitens ist das hintere Aggregat deshalb auch schwerer, was die Gewichtsbalance nach hinten verschiebt.

Ansonsten wirkt das Fahrwerk ziemlich straff, auch wenn es nie wirklich störend wird. Lenkung und Gaspedal-Annahme werden vom gewählten Fahrmodus beeinflusst, sagte uns Kia. Beim Gaspedal ist das eindeutig so: Wenn man bei gleichbleibender Gaspedalstellung von Eco auf Normal wechselt, oder von Normal auf Sport, dann macht das Auto einen Satz vorwärts. Bei der Lenkung konnte ich keinen Unterschied feststellen.

kia ev6 im test: crossover mit viel power und schnellem laden Die drei Fahrmodi Eco, Normal und Sport sowie die Anzeige des Rekuperationsmodus (links unten)

Rekuperationsmodi: “Auto” ist kaum zu finden 

Ein Punkt, zu dem ich zuvor wenig wusste, waren die Rekuperationsmodi. Der EV6 hat fünf davon, darunter Max (alias i-Pedal) für das beliebte One-Pedal-Driving – mein Lieblingsmodus. Daneben gibt es noch drei Stufen von 0 bis 2, die allesamt über die Lenkradwippen gewählt werden. Alls das funktionierte problemlos.

Ich interessierte mich aber besonders für den Auto-Modus. Dabei soll automatisch eine stärkere Rekuperation gewählt werden, wenn zum Beispiel der Vordermann langsamer wird oder ein Tempolimit folgt.

Das Aktivieren ist aber alles andere als einfach. Wenn mein Kollege auf dem Beifahrersitz nicht die Bedienungsanleitung gewälzt hätte, wäre es mir nie gelungen: Man muss per Touchscreen zuerst diese Option wählen und kann erst dann durch gleichzeitiges Ziehen beider Lenkradwippen den Auto-Modus anschalten.

Beim unlängst getesteten BMW iX ist der Auto-Modus der Rekuperation dagegen der Aufstartmodus, das heißt, diese Rekuperationseinstellung ist immer nach dem Start des Systems aktiv. Kia dagegen scheint der Intelligenz seines Systems nicht so recht zu trauen. Auch im Fahrbetrieb haben wir von der automatisch gewählten Rekuperation nichts gemerkt – anders als bei BMW, wo es deutlich zu spüren war.

Tempolimit-Übernahme: Meist nicht automatisch

Interessiert war ich auch an der automatischen Übernahme des Tempolimits. Eine Funktion, die mir bei den ständig wechselnden Tempolimits auf den Landstraßen zwischen Saarlouis und Trier sehr zupass gekommen wäre. Eigentlich soll der EV6 das können, aber es dauerte wirklich lange, bis ich die Logik verstanden habe, und Produktmanager Troge musste mir dabei helfen.

Die Sache ist die: Stellt man zum Beispiel am Abstandstempomaten 104 km/h ein, und es folgt dann ein 80er-Schild, dann zeigt einem der EV6 im Head-up-Display einen weißen Pfeil mit einem Minus daneben an. Nur wenn man dann links am Lenkrad die Wippe zum Einstellen der Geschwindigkeit einmal nach unten drückt, wird 80 km/h übernommen, ansonsten passiert nichts. Stellt man dagegen 100 km/h ein, dann wird das Limit automatisch und ohne Betätigung übernommen. Darauf muss man erstmal kommen!

Ein weiteres Manko: Die Spurführung kann man offenbar nur aktivieren oder deaktivieren. Ist sie aktiviert, dann piepst das System auch – immer, wenn man eine Linie überfährt. Das nervt. Laut Kia piepst übrigens auch die Heckklappe, beim Schließen per Taste. Aus eigener Erfahrung mit einem Toyota-Mietwagen möchte ich hinzufügen: Sowas ist nicht optimal, wenn man morgens früh vom Campingplatz aufbrechen muss.

kia ev6 im test: crossover mit viel power und schnellem laden Der EV6 ist ein Crossover zwischen Kombi, Coupé und SUV

Stromverbrauch und Reichweite

Nach etwa anderthalb Stunden Fahrt mit relativ hohem Autobahnanteil (ich schätze ein Drittel) lag der vom Bordcomputer gemeldete Verbrauch bei 24 kWh/100 km. Mein etwas verhaltener fahrender Kollege brachte es auf 21 kWh. Wenn man von 77 kWh Batteriekapazität ausgeht, müssten damit 320 bis 370 km möglich sein. Die Normangaben zum Vergleich: 18 kWh/100 km und 506 km Reichweite.

Ein Effizienzwunder ist der EV6 nicht, das gibt der Produktmanager bereitwillig zu. Die Kunden werden das Auto eher sportlich nutzen, glaubt er. Also vielleicht so ähnlich, wie ich es getan habe.

Fond und Kofferraum

Wie wegen des großen Radstands nicht anders zu erwarten, ist im Fond mehr als genug Platz für die Knie, auch über dem Kopf habe ich als 1,76 Meter großer Insasse genug Platz. Die Oberschenkel stehen allerdings ein klein wenig nach oben, weil der Abstand zwischen Boden und Sitzfläche doch etwas klein ist. Die Sache ist bei meiner Oberschenkellänge allerdings kaum störend und deutlich weniger ausgeprägt als beim BMW i4.

Eine nette Idee ist, dass man die Vordersitze zum Aufhängen der Jacke nutzen kann, auch wenn die Lehne nicht so schön breit ist wie ein richtiger Kleiderbügel. Was den Kofferraum angeht, so sorgt die ziemlich flach liegende Heckscheibe für eine geringe Höhe:

kia ev6 im test: crossover mit viel power und schnellem laden Kia EV6: Vordersitzlehne als Kleiderbügel-Ersatz kia ev6 im test: crossover mit viel power und schnellem laden Kia EV6: Unpraktische Kofferraum-Schrägen

Preis: Alle Varianten werden maximal gefördert 

Letzter Punkt: Der Preis. Den EV6 gibt es ab 44.990 Euro. Der Netto-Listenpreis liegt unter 40.000 Euro, damit qualifiziert sich das Auto für die maximale Förderung. Und das gilt für alle Versionen, da die übrigen Varianten sämtlich als Antriebsoptionen deklariert sind. Egal, ob man die Basisversion für rund 45.000 Euro kauft oder die Topversion GT für 65.990 Euro bestellt, man erhält 9.570 Euro Umweltprämie. Der gefahrene EV6 Long Range AWD kostet damit knapp 43.000 Euro nach Förderung.

  Akku / Reichweite Leistung Preis
Standard Range RWD 58 kWh / ca. 400 km 125 kW  44.990 Euro
Long Range RWD 77 kWh / 528 km 168 kW  +4.000 Euro
Long Range AWD 77 kWh / 506 km ca. 170 + ca. 70 = 239 kW  +7.900 Euro
GT 77 kWh / ca. 400 km 430 kW +21.000 Euro

Verfügbarkeit: 6 bis 12 Monate Wartezeit 

Bestellstart ist am 23. Oktober. Wer sich schon einen EV6 reserviert hat (was bisher etwa 2.000 Leute beim Hersteller getan haben, wozu noch die Bestellungen über die Händler kommen), bekommt das Auto “in diesen Wochen”, so Kia. Wer sich allerdings erst jetzt entscheidet, muss sechs bis zwölf Monate warten, denn derzeit ist der Wagen ausverkauft. Chipmangel! Ein Highlight der Palette soll sogar erst Ende 2022 starten: die beim Ioniq 5 nicht angebotene, extrem sportliche Version GT mit 430 kW (und einer Höchstgeschwindigkeit von 260 km/h).

Fazit: Der Ioniq 5 hat schon abgeräumt 

Der EV6 ist ein gute Elektroauto, mit viel faszinierender Technik: 800-Volt-System, extrem schnelles Laden, hohe Motorleistung, das bidirektionale Laden, die weit nach hinten zurück umlegbaren Vordersitz-Lehnen, das Head-up-Display mit Augmented-Reality-Funktion und die Insert-Bilder im Instrumentendisplay, wenn man blinkt.

Eine Besonderheit des EV6 ist auch die extrem sportliche Topversion und nette Ideen wie die Vordersitzlehnen, die sich als Kleiderbügel nutzen lassen, und die doppelt belegte Einstell-Leiste. Es gibt aber auch Nachteile gegenüber dem Hyundai. So gefällt mir persönlich das Heck nicht, während die Front okay ist. Ehrlich gesagt: Da die beiden Autos ansonsten so ähnlich sind, würde ich den einfach lieber bestellen. Das etwas anders ausgelegte Fahrwerk wäre für mich persönlich kein Argument.

Mehr erhoffe ich mir in dieser Hinsicht vom Genesis GV60, dem dritten E-GMP-Auto. Der wartet mit weiteren Technik-Highlights auf, wie dem Magic-Ball-Bedienelement, der Gesichtserkennung und dem induktiven Aufladen der Traktionsbatterie, ein optionales Feature, das bald in Korea eingeführt wird.

Enttäuscht haben mich die Assistenzsysteme, vielleicht auch, weil der BMW iX zu meinen letzten Testkandidaten gehört hat, und der macht in dieser Hinsicht alles besser – sorry, Kia. Ob Hyundai da besser ist, kann ich nicht sagen, denn den Ioniq 5 habe ich viel zu kurz gefahren um mir ein Urteil zu erlauben.

Das klingt nun alles ziemlich negativ. Das gibt wahrscheinlich ein falsches Bild. Insgesamt ist der Kia EV6 ein sehr gutes Elektroauto. Der Antrieb macht Spaß, das Fahrwerk ist ordentlich abgestimmt und die vielen Gimmicks sind nett (auch wenn sie vom Ioniq 5 bekannt sind). Insgesamt aber kommt der EV6 für mich sozusagen zu spät: Der Hyundai Ioniq 5 hat den ganzen Ruhm schon eingefahren.

Bildergalerie: Kia EV6 (Oktober 2021)

kia ev6 im test: crossover mit viel power und schnellem laden kia ev6 im test: crossover mit viel power und schnellem laden kia ev6 im test: crossover mit viel power und schnellem laden kia ev6 im test: crossover mit viel power und schnellem laden kia ev6 im test: crossover mit viel power und schnellem laden kia ev6 im test: crossover mit viel power und schnellem laden kia ev6 im test: crossover mit viel power und schnellem laden

Kia EV6 Long Range AWD

Motor 2 E-Motoren (beide PSM), vorne ca. 70 kW, hinten ca. 170 kW

Leistung 239 kW

Max. Drehmoment 605 Nm

Antrieb Allradantrieb (vorderer E-Motor mechanisch über DAS von der Achse abkoppelbar)

Beschleunigung 0-100 km/h 5,2 Sek.

Höchstgeschwindigkeit 185 km/h

Verbrauch 17,2 kWh/100 km (19-Zoll-Räder)

Batterie 77,4 kWh (Nennkapazität)

Elektrische Reichweite 506 km (19 Zoll)

Ladeanschluss CCS2, bis 11 kW AC, bis 240 kW DC

Aufladezeit 7h20 bei 11 kW AC, 1h13 bei 50 kW DC, 18 min bei 240 kW DC

Länge 4.680 mm

Breite 1.880 mm

Höhe 1.550 mm

Kofferraumvolumen 490-1.300 Liter plus 20 Liter vorne

Zuladung 440 kg

Leergewicht 2.090 kg

Basispreis 52.890 Euro

Marktstart 23. Oktober 2021

TOP STORIES

Top List in the World