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Test

Audi e-tron GT 60 im Test: Liebe, zumindest auf den ersten Blick

Der Taycan-Twin lässt mich endlich vom E-Auto träumen, aber man muss schon das richtige Leben für ihn haben

audi e-tron gt 60 im test: liebe, zumindest auf den ersten blick

Ich muss gestehen, ich bekomme erst so langsam Lust auf Elektroautos. Ich bin Fan von Performance-Fahrzeugen. Ich fahre Rennen am Nürburgring. Ich mag, wenn’s richtig röhrt und ein Motor den Charakter des Autos bestimmt.

In letzter Zeit aber kann ich mir immer besser vorstellen, auf die leise Seite zu wechseln. Für den Alltag. Ich liebe etwa das Tesla-Design, natürlich deren monströsen Schub. Und als wir zuletzt ein Model 3 Performance in der Redaktion hatten, war ich durchaus beeindruckt. So richtig abgeholt hat mich allerdings dieser Bursche hier.

Über Optik lässt sich ja nie nicht streiten, aber im Falle des Audi e-tron GT muss man vielleicht mal eine Ausnahme machen. Er ist einfach traumhaft schön. Aus jedem noch so schiefen Winkel. Vielleicht gerade, weil er nicht aussehen will wie die Zukunft (gell BMW *hüstel*), einfach wie ein sehr gut gemachter Gran Turismo.

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Einen verflucht niedrigen Schwerpunkt hat er auch, das sieht man ihm ja irgendwie an. Niedriger als der R8 sogar. Da hilft der 93-kWh-Akku (nutzbar sind 86 kWh) im Boden. Dass er sich die Plattform mit dem Porsche Taycan teilt, brauche ich Ihnen vermutlich nicht mehr zu erzählen. Das bedeutet auch: 2-Gang-Getriebe an der Hinterachse und 800-Volt-Spannungslage. Mein Testwagen e-tron GT 60 Quattro ist am nächsten am Taycan 4S dran. Der Zuffenhausener wiegt gut 50 Kilo weniger und hat 54 PS mehr.

Beim Audi sorgen die zwei E-Motoren für 476 PS Nennleistung, 530 sind es kurz im Overboost. Dazu kommen 630 Nm Drehmoment. Von 0-100 km/h geht es in 4,1 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 245 km/h, die WLTP-Reichweite bei 488 Kilometer. Und wenn Sie mit den maximal 270 kW Gleichstrom Saft in den GT pumpen lassen, dann soll der Ladebalken in etwas über 20 Minuten von 5 auf 80 Prozent springen. Mit Wechselstrom sind 11 kW drin, daheim dauert eine Ladung somit um die neun Stunden. So viel zur Theorie.

Langstrecken-Qualitäten mit Planungsbedarf

Im echten Leben hat mich der GT vor allem fahrdynamisch überrascht. Die bahnbrechende Erkenntnis, dass ein knapp 500 PS starkes E-Auto recht solide beschleunigt ist natürlich in erster Linie .. ähm .. bahnbrechend. Das Beeindruckende an diesem Auto ist aber der überaus brauchbare Push auch jenseits der 170, 180 ja selbst der 200. Häufig hat man ja das Gefühl, die ersten zwei Sekunden Kickdown ziehen einem unmittelbar das Gesicht durch die Kopfstütze und dann passiert irgendwie nix mehr. Hier hält das “Huuuuiiiiiii” durchaus länger an, ohne aber gleich mit nahender Bewusstlosigkeit zu drohen, wie etwa in einem Taycan Turbo S.

Das alles gepaart mit einer absolut himmlischen Ruhe und dem eher gediegenen Federungscharakter (dazu gleich mehr) macht den e-tron GT zu einer Langstreckenwaffe, die den Vergleich mit traditionellen First-Class-Gleitern vom Schlage einer Mercedes S-Klasse oder eines Bentley Continental GT absolut nicht scheuen muss.

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Zumindest, solange man in der Lage ist, genügend Schnelllade-Punkte anhand der anvisierten Route ausfindig zu machen. Denn was man recht schnell merkt: Mit den kolportierten 488 Kilometern Reichweite ist es in der Realität nicht besonders weit her.

Bewegt man das Auto im Eco-Modus und achtet auf eine eher Ressourcen-schonende Fahrweise, dann kann man die 400-Kilometer-Marke durchaus knacken. Schert man sich allerdings weniger um solche Belange und fährt, wie man eben so fährt im Alltag, dann sind eher 350 Kilometer realistisch. Das beinhaltet übrigens kein sinnloses Geheize oder ständiges Ausnutzen des durchschlagenden Beschleunigungsvermögens. Für ein Auto mit Größe, Anspruch und Preisschild des e-tron GT ist das schon ziemlich mau.

Fahrdynamisch beachtlich

Nun macht es einem der Ingolstädter Elektro-Beau mit seiner ausgeprägten GT-igkeit (ich erwähnte es bereits) recht leicht, das Messer nicht zwischen den Zähnen, sondern besser daheim zu lassen. Zumindest mit dem optionalen Adaptiv-Luftfahrwerk sänftet er luxuriös, rollt toll ab und er verführt auch nicht absichtlich zu sportlichen Kapriolen, sondern frönt der Ruhe und Entspanntheit. Da ist er schon anders ausgeprägt als sein Zuffenhausener Pendant. Und somit hat man auch nicht das Gefühl, irgendetwas zu verpassen, wenn man ihn betont verbrauchsoptimiert pilotiert.

Auf der anderen Seite muss man aber allemal festhalten: Er kann durchaus, wenn er denn muss. Die Lenkung beschießt einen nicht mit Feedback, aber sie ist flott, sehr präzise und überaus angenehm in der Handhabung. Außerdem klebt der 2,3-Tonner wie verrückt. Das bringt schon durchaus Spaß in der Kurve.

Was ebenfalls Spaß bringt, und das ist in der Tat eine schöne Überraschung: Der e-tron ist nicht so zackig und auf Performance abgestimmt wie der Taycan. Er darf sich ein bisschen mehr bewegen und er lässt sich auch leichter mit dem Gas justieren. Ein Audi, der frivoler mit dem Heck mitlenkt als ein vergleichbarer Porsche – verrückte neue Welt.

Fahrerisch ist hier also durchaus Großes gelungen. Der e-tron GT spielt die Rolle des souveränen Gran Turismo ziemlich perfekt, involviert aber auch den sportlicheren Fahrer. Und man muss ja schon sagen: Zur technischen Nüchternheit eines Audi passt so ein lautloser, aber brachialer Antrieb irgendwie jetzt schon besser.

Schönheitsfehler

Also direkt los zum Händler und mit fliegenden Fahnen bestellen? Nun, verständlich wäre die schnell entflammte Euphorie anhand von Auftritt und Fahrverhalten allemal. Aber neben der recht enttäuschenden Real-Reichweite ist da noch mehr, was die Verliebtheit zu trüben vermag.

Da wäre zum einen das Interieur. Qualitativ gibt es wie immer nichts auszusetzen. Ein Audi eben, wäre ja noch schöner. Zudem erfreut die Anwesenheit echter, richtiger Knöpfe für Klimabedienung und Co. Und auch am Infotainmentscreen und dem digitalen Instrumentendisplay gibt es eigentlich nichts auszusetzen.

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Aber aus irgendeinem schwer erklärbaren Grund fehlt mir hier drin das gewisse Etwas. Wir reden hier über einen deutlich sechsstelligen (mit etwas Ausstattung) Botschafter der Audi-Zukunft und er sieht innen aus wie jeder andere Audi auch. Natürlich kann man trefflich drüber streiten, ob jedes E-Auto ein Cockpit haben muss wie ein Raumschiff oder ob es nicht gerade gut ist, wenn man Bewährtes beibehält. Aber so ein bisschen mehr Tech-Lametta wäre schon schön gewesen. Macht der Taycan ja auch.

Dann wäre da noch das Thema Platz. Vorne läuft das wuchtige Armaturenbrett zu den Türen hin sehr weit mit einer kantigen Leiste aus. Das erschwert den Ein- und Ausstieg spürbar. Hinten wird es aufgrund der scharfen Dachlinie ab 1,80 Meter eng. Die Beinfreiheit geht in Ordnung, mehr aber auch nicht in Anbetracht von fast drei Metern Radstand. Der Kofferraum ist relativ groß, aber etwas flach und die Ladeluke leidet ebenfalls hinter dem schönen Antlitz des Autos.

Bliebe noch ein weiterer Punkt, der zumindest ein bisschen stört beim Erlebnis E-Auto, denn die Rekuperation ermöglicht im e-tron GT kein One-Pedal-Fahren. Daran dürfte in erster Linie Porsche Schuld sein. Dort ist man eben der Meinung, dass man bremst, indem man ein Pedal drückt, nicht loslässt.

Fazit

Ein Traumauto mit hervorragenden Fahrleistungen, einem sehr gediegenen, aber unterhaltsamen Fahrverhalten und einer ausbaufähigen Reichweite. Hat man seine Ladepunkte im Griff, gibt es kaum ein besseres Auto für lange Strecken. Schnell, unglaublich leise (vor allem mit der 690 Euro teuren Akustikverglasung), komfortabel und in puncto Optik/Image derzeit schwer zu schlagen.

Günstig ist der Spaß natürlich nicht, wobei in den 126.600 Euro des Testwagens auch eine Keramik-Bremse (8.500 Euro) dabei war, die man sicher nicht braucht. Auf die adaptive Luftfederung für 1.490 Euro würde ich allerdings nicht verzichten.

Bildergalerie: Audi e-tron GT 60 quattro (2021) im Test

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Technische Daten und Preise Audi e-tron GT 60 Quattro

Motor 2 E-Motoren (PSM)

Getriebeart 2-Gang-Automatik

Antrieb Allradantrieb

Leistung Nennleistung: 350 kW (476 PS); im Overboost (390 kW) 530 PS

Max. Drehmoment 630 Nm; im Boost 640 Nm

Beschleunigung 0-100 km/h 4,1 Sekunden

Höchstgeschwindigkeit 245 km/h

Batterie 86 kWh Netto

Elektrische Reichweite Werksangabe: bis 488 km; im Test: zwischen 320 und 400 km

Ladeanschluss AC dreiphasig, bis 270 kW DC

Aufladezeit bei 270 kW 22,5 Minuten (5-80 Prozent)

Leergewicht 2.351 kg

Zuladung 564 kg

Kofferraumvolumen 405 Liter (plus 81 Liter vorne)

Verbrauch Werksangabe: 21,6 kWh/100 km

Basispreis 99.800 Euro

Preis des Testwagens 126.660 Euro

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