BYD

Fahrbericht Elektroauto BYD Seal: Brutal voran

Der BYD Seal beschleunigt schneller als mancher Sportwagen, bleibt aber beim Stromverbrauch vergleichsweise genügsam. Eine erste Ausfahrt zeigt auch Schwächen.

fahrbericht elektroauto byd seal: brutal voran

Vermutlich wird nicht jeder Autohersteller den Wandel bei der Antriebsenergie überleben. Der chinesische Riese build your dreams (BYD) dürfte aber gute Chance haben, denn er ist breit aufgestellt und dabei, sich auch in Europa einen guten Namen zu machen. Für eine erste Ausfahrt stand uns ein BYD Seal Excellence AWD zur Verfügung, der selbst für ein modernes Elektroauto brutal beschleunigen kann, aber auch Schwächen zeigt.

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Die Leistung moderner Elektroautos steigt rasant, und der Seal macht da keine Ausnahme. Der vordere Elektromotor leistet 160, der hintere 230 kW. In Summe sind das 390 kW, in alter Währung 530 PS. Schon die Werksangaben deuten auf ein Temperament hin, dem nur wenige Autos folgen können. Im Standardsprint werden 3,8 Sekunden versprochen, Schluss ist bei 180 km/h. Wie so oft beschreiben solche Daten den Fahreindruck höchst unvollständig. Denn der wird davon geprägt, dass im Alltag jederzeit augenblicklich derart viel Kraft zur Verfügung steht, dass man sich schon fragen darf, wo man dieses Potenzial eigentlich komplett ausschöpfen soll. Die Gelegenheiten dazu dürften rar sein, im öffentlichen Straßenverkehr setzt die Vernunft hoffentlich weit vorher ein. Der Seal marschiert bei vollem Abruf der Leistung spontan derart unerbittlich vorwärts, dass auch sehr kräftige Verbrenner fast immer das Nachsehen haben werden.

Stromverbrauch

Die Stirnfläche dieser Limousine ist natürlich kleiner als die eines SUVs, und auch der cW-Wert liegt mit 0,22 ziemlich niedrig. Das hilft, den Verbrauch gerade auf der Autobahn zu zügeln. Obwohl es auf dieser ersten, noch kurzen Ausfahrt nicht betont verbrauchsorientiert zuging, zeigte der Bordcomputer am Ende Werte um 19 kWh/100 km an. Potenzial nach unten ist dabei ehrlicherweise reichlich vorhanden. An dieser Stelle trennen sich alte und neue Welt: Wer in einem Verbrenner auch nur ansatzweise dieses Fahrleistungspotenzial mitführen will, muss es bis zu einem gewissen Grad immer mit füttern – ob er davon nun Gebrauch macht oder nicht. Schon vor Jahren hat Tesla bewiesen, dass man bei einem Elektroauto in dieser Hinsicht umdenken muss. Eine hohe Spitzenleistung bedeutet nicht zwangsläufig einen hohen Alltagsverbrauch. Der Stromkonsum steigt an, wenn der Fahrer hurtig beschleunigt und mit zunehmendem Tempo. Anders ausgedrückt: Der Seal wird sich mit dem Stromverbrauch eines Opel Corsa-e fahren lassen, wenn der Steuermann es eben ruhig angehen lässt.

BYD Seal außen (3 Bilder)

fahrbericht elektroauto byd seal: brutal voran

BYD hat die Limousine Seal elegant bis unauffällig gezeichnet. Eine Gestaltung, die … (Bild: BYD)

Reichweite

Beim Laden bleibt der Seal im aktuellen Durchschnitt. 11 kW sind es an Wechselstrom, bis zu 150 kW an Gleichstrom – in beiden Fällen bieten zahlreiche Konkurrenten inzwischen mehr. Das Datenblatt verspricht 26 Minuten für eine Aufladung von 30(!) auf 80 Prozent. Die Batterie fasst 82,5 kWh brutto, eine Nettoangabe macht BYD noch nicht. Im WLTP soll die Reichweite bei 520 km liegen. Im Alltag würde ich von rund 380 km plus eine locker-beruhigende Sicherheitsreserve ausgehen. Zur groben Orientierung: Nach einem Ladestopp von rund 15 Minuten ist dann Strom für etwa 200 km nachgeladen. Anders formuliert: Für 600 km, die Sie mit voller Batterie antreten, müssen Sie rund 15 Minuten Ladezeit einplanen.

Gefühlsarme Lenkung

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Das Fahrwerk mit Doppelquerlenkern vorne, einer Fünflenker-Hinterachse sowie den frequenzselektiven Dämpfern macht seine Sache im Prinzip nicht schlecht. “Wir haben die sportliche chinesische Abstimmung als Basis für das europäische Set-up genommen”, erklärt BYDs Europa-Technikchef Weijie Zhang. Perfekt ist die Abstimmung aber noch nicht. Bei längeren Wellen wippt die Karosserie nach, während Querfugen oder kleine Schlaglöcher nicht souverän verarbeitet werden. Nachbessern sollten die Techniker die Lenkung. Die Steuerung fühlt sich teigig-synthetisch und vor allem gefühllos an. Selbst in der Komfort-Einstellung gaukelt sie durch hohe Rückstellkräfte Sportlichkeit vor. Dazu pfuscht der Spurhalteassistent mit rein, der vernehmlich am Steuer zupft und mit nervendem Gebimmel auf seinen Eingriff hinweist. Leider ist er auch in diesem Auto nicht immer treffsicher.

Gut gefallen hat uns das Infotainment. Es ist intuitiv aufgebaut und bringt alles mit, was man von einem modernen System aktuell erwarten kann. Selbst die Sprachsteuerung gehört zu den Brauchbaren unter Ihresgleichen. Eine schlaue Idee ist der schwenkbare Bildschirm. Angenehm auch, dass es gleich zwei induktive Ladeschalen gibt. Dass es keinen Ladeplaner für längere Strecken gibt, sollte rasch behoben werden. Außerdem sollten Hinweise des Navigationssystems zumindest optional auch im Kombiinstrument angezeigt werden können.

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Hochwertig eingerichtet

Das riesige Glasdach flutet den Innenraum mit Licht, was gerade bei anbrechender Dämmerung sehr angenehm ist. Öffnen lässt es sich bedauerlicherweise nicht. Trotz Tönung dürfte zudem bei sommerlichen Außentemperaturen auf die Klimaanlage Schwerstarbeit zukommen, denn ein Rollo zur weiteren Abdunklung ist nicht eingebaut. Bemerkenswert hochwertig sind die Materialien, und auch die Verarbeitung wirkt sehr solide – beides ist keine Selbstverständlichkeit. Das Platzangebot im Innenraum ist guter Durchschnitt, auch vier Erwachsene kommen zurecht. Für ein 4,8-m-langes Auto enttäuschend ist das Kofferraumvolumen von 402 Litern. Hier bieten Konkurrenten auf kleinerer Verkehrsfläche zum Teil deutlich mehr Platz. Immerhin: Es gibt unter der vorderen Haube ein Fach mit 53 Litern, in dem sich beispielsweise das Ladekabel unterbringen lässt.

BYD Seal Innenraum (8 Bilder)

fahrbericht elektroauto byd seal: brutal voran

Auch im Innenraum ist der Seal modern und schnörkellos gezeichnet. Bemerkenswert sind die hochwertigen Materialien und die saubere Verarbeitung. (Bild: BYD)

Fazit

Der BYD Seal ist eine hochwertig eingerichtete und exzellent verarbeitete Limousine, die als Topmodell brutal beschleunigen kann, ohne beim Stromverbrauch über die Gebühr zuzulangen. Die Batterie erscheint ausreichend dimensioniert, um auch längere Strecken entspannt anzugehen. Die Ladeleistung ist im aktuellen Umfeld bestenfalls durchschnittlich, doch bei dieser Einordnung sollte man nicht vergessen, dass das Niveau in dieser Hinsicht in den vergangenen Jahren auch erheblich gestiegen ist.

Der BYD muss sich gegen Konkurrenten wie Tesla Model 3, BMW i4, Hyundai Ioniq 6 (Test) und VW ID.7 behaupten, was ihm, so unser erster Eindruck, trotz kleiner Schwächen gelingen dürfte. Einen Preis will BYD erst bei der offiziellen Vorstellung am 4. September auf der IAA Mobility verraten. Mittelfristig soll es drei Versionen geben. Wir rechnen damit, dass das ab 2024 erhältliche Basismodell mit 61-kWh-Speicher für rund 50.000 Euro zu haben sein wird. Den Anfang machen das von uns gefahrene Topmodell und eine Version mit Heckantrieb und 230 kW. Sie sollen ab November ausgeliefert werden.

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(mfz)

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