USA
Balanceakt auf zwei Rädern
Das Traditionsunternehmen Harley-Davidson befindet sich trotz wirtschaftlichen Aufschwungs in einer schwierigen Situation.
Die Geschichte wäre wohl um einiges kleiner geraten, wäre es nicht um Harley-Davidson gegangen, die US-Marke mit Kultcharme, die spätestens seit dem Roadmovie „Easy Rider“ von 1969 mit Dennis Hopper und Peter Fonda, verstärkt durch den Soundtrack der Band Steppenwolf, wie keine zweite Motorradmarke für das amerikanische Lebensgefühl von Freiheit, Weite und Mobilität steht. Der bullernde, leicht verzögerte Harley-Sound des V2-Motors, einst von Fans lautmalerisch mit „Potato, Potato“ umschrieben, ist im Kulturkampf einer Nation gelandet, in der zwei Lager unversöhnlich auf den Showdown am Wahltag 5. November zusteuern.
Harley-Davidson, das 1903 gegründete Traditionsunternehmen mit Sitz in Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin, war in den letzten Jahren kontinuierlich in die Krise gerollt. Dazu beigetragen hatte das etwas angestaubte Image seiner Produkte („Opas auf Viagra“), aber auch die hohen Zölle in Europa und Asien, was alles insgesamt zu sinkenden Verkaufszahlen führte.
Als Retter erschien 2020 der in Mannheim geborene Jochen Zeitz, der einst im Alter von 30 Jahren als jüngster Vorstandschef eines börsennotierten deutschen Unternehmens die damals abgeschriebene Sportartikelmarke Puma aufpolierte und zum Börsenstar machte. Seitdem haftet Zeitz das Image eines „corporate wunderkind“ an, wie Fox News es nannte, ein Wirtschaftswunderkind. „Ich habe eine Leidenschaft für umwelt- und sozialbewusste globale Geschäftspraktiken“, schreibt Zeitz in seinem LinkedIn-Profil über sich. 2020 in einer Rede im Schweizer Ort Zermatt zählte er sich selbst zu den „Vorstandsvorsitzenden von Luxusmarken, den ‚Taliban der Nachhaltigkeit‘, wie ich einst von jemandem genannt wurde“.
Nach einem jahrzehntelangen Abwärtstrend mit dem Tiefpunkt 2019 und einem Umsatz von 5,4 Milliarden Dollar stiegen die Umsätze des Traditionsunternehmens im vergangenen Jahr auf 5,8 Milliarden Dollar, das dritte Wachstumsjahr in Folge.
Doch jetzt ist das Unternehmen zwischen die Fronten des amerikanischen Kulturkampfes geraten. Der rechte Aktivist Robby Starbuck, rund 550 000 Follower auf X und 330 000 auf Instagram im Rücken, erklärte dem „woken“ Europäer Zeitz und seiner linksliberalen Agenda den Krieg. Mit ähnlichen Medienkampagnen hatte er bereits zuvor die diversere Ausrichtung des vor allem im ländlichen US-Raum engagierten Einzelhandelsunternehmens Tractor Supply Company sowie des Landmaschinen-Riesen John Deere gestoppt. Auch Budweiser Light hatte mit einer Werbekampagne, bei der die transsexuellen Tiktokerin Dylan Mulvaney für die Biersorte warb, eine Hasskampagne ausgelöst, der Verkauf brach um dramatische 30 Prozent ein – „Bud“ zog die Notbremse und stoppte die Kampagne.
Auch Harley-Davidson reagierte, wirkt ab sofort nicht mehr am Scoring-System der Human Rights Campaign mit, die Noten dafür erteilt, wie gut in einem Unternehmen Homosexuelle, Bisexuelle und transidentische Personen integriert werden. „Wir sind traurig über die negativen Äußerungen in den sozialen Medien in den letzten Wochen, die darauf abzielen, die Harley-Davidson-Gemeinschaft zu spalten“, schreibt das Unternehmen in einem auf der Plattform X verbreiteten Statement. In Bezug auf Lieferanten werden ab sofort Ziele für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion nicht weiter verfolgt.
Ganz grundsätzlich dürfe laut Errichiello nicht vergessen werden: „Marken sind deshalb erfolgreich, weil sie in einem kleinen Bereich des Lebens die Welt auf ihre ganz individuelle Weise interpretieren.“ Aus Geschäftsideen werden laut Errichiello erfolgreiche Marken, „wenn sie zusageverlässlich handeln, in einer Welt Orientierung bieten, in der sich alles verändert. Kurzum wenn sie einen Felsen in der Brandung“ darstellten.
Doch was war in Milwaukee passiert? „Eine Marketing- und Werbeblase meint, dass die Kundschaft sich verändert hat, und legt jetzt Wert auf bestimmte ethische Ideale und gesellschaftliche Verpflichtungen“, sagt Oliver Carlo Errichiello, Autor des Buches „Werbung für den Zeitgeist“, das sich dem seit etwa 15 Jahren zu beobachtenden Trend widmet, demzufolge Werbebotschaften immer politischer werden. Errichiello hält das nicht grundsätzlich für problematisch, er zweifelt nur die Aufrichtigkeit solcher Botschaften an. „Oft hat man bei Unternehmen den Eindruck, auf der kommunikativen Ebene eine wunderbar weiße Weste zu haben, aber auf der entscheidenden Leistungsebene sich nicht zu verändern“, so der „Markenprofessor“. Errichiello: „Tatsächlich ist es einfacher, ein engagiertes Kommunikationskonzept zu fahren, als tatsächlich dafür zu sorgen, dass sich die Lieferketten in den Herstellungsländern verändern. Da wird sehr viel verdeckt.“
Doch zurück zum „Potato, Potato“, dem stotternden Harley-Sound in Milwaukee: „Festzustellen bleibt, dass eine hochindividuelle Marke wie Harley-Davidson mit diesen Vorgaben, wie denn die Welt zu sein hat, wie eine Gesellschaft zu funktionieren habe, überhaupt nicht korrespondiert“, ist Errichiello überzeugt. „Und das war die große Schwierigkeit, die jetzt deutlich geworden ist – zumal in einem Land wie den USA, deren Gesellschaft in dieser Frage enorm polarisiert ist“, so der Konsumphilosoph. Harley-Davidson hätte seine Kundschaft „mit Erwartungshaltungen konfrontiert, die überhaupt nicht zu dieser Marke passen“.
Dass der Konzern am Ende eingeknickt ist, sieht Errichiello eher als Stärke: „Indem Harley-Davidson sofort reagierte, hat es seiner Kundschaft signalisiert: ‚Wir haben verstanden.‘“ Denn auch das gehöre zur Wahrheit: „Irgendwann gehört die Marke nur noch juristisch dem Vorstandschef oder dem Unternehmen, aber nicht mehr wirklich. Das Bild über eine Marke verselbstständigt sich genau dann, wenn Erwartungen und Vorurteile der Menschen die Marke bestimmen und auch ihren Wert definieren“, erklärt der Hamburger Markenexperte. In diesem Fall sei es Aufgabe des Managements, dafür zu sorgen, „dass diese Erwartungshaltungen zusageverlässlich erfüllt werden – wozu auch eine Portion Demut vor den Kunden gehört.“
Doch diese zur Schau getragene Demut allein reicht den Rebellen wider den „Wokism“ um Robby Starbuck offenbar nicht, sie fordern den Kopf des selbst ernannten „Woke-Talibans“ Zeitz. „Ich denke, es ist ekelhaft“, so der Biker-Kolumnist James „Hollywood“ Macecari gegenüber Fox News unter Bezugnahme auf die afghanische Terrorgruppe. „Er hat seine Erbsenzähler und Lakaien aus Europa mitgebracht und es ist ihm egal, wofür Harley und dessen Geschichte steht. Es gibt keinen Service mehr, keine Interaktion mit den Kunden“, beschwert sich Vinny Terranova, Besitzer eines Motorrad-Vintage-Geschäfts in Sturgis, South Dakota. „Harley-Davidson war unser Gott und wir waren seine Jünger“, zitiert der Sender einen langjährigen Harley-Fahrer und -Händler aus Colorado, „doch dann stach uns Gott, den wir verehrt haben, in den Rücken.“
Also wird im herkömmlichen Harley-Sound des V2-Motors bis in alle Ewigkeit weiter gebullert? Wohl kaum, denn mit dem angestaubten „Easy Rider“-Image allein wird die Traditionsmarke Harley-Davidson nicht überleben – ob mit oder ohne Jochen Seitz an der Spitze. Harley-Davidson ist dazu verdonnert, sich zu verändern, ohne sich zu verbiegen, zudem neue, jüngere Kundenkreise zu erschließen, ohne die traditionellen Kundinnen und Kunden zu verlieren. Eine schwieriger Balanceakt auf zwei Rädern.