Wie weit die Elektrolaster wirklich sind.
Der Nutzfahrzeugbranche, vor allem der in Europa, stehen turbulente Jahre bevor. Dabei geht es weniger um das zyklische Auf und Ab der Lastwagenkonjunktur, an das die Branche gewöhnt ist, sondern um die Transformation der Antriebstechnik in Richtung Elektro- oder Wasserstoffantrieb. Die Ziele für die Reduzierung des CO2-Ausstoßes hat die EU zu Beginn dieses Jahres festgelegt. Doch bisher fehlt die Infrastruktur für alternative Antriebe. In Deutschland etwa wurden seit dem vergangenen Jahr auch die Zuschüsse zu den Mehrkosten für Batterie- oder Wasserstoffantrieb ersatzlos gestrichen. So rücken die Termine näher, ohne dass man weiß, ob und wie die EU-Ziele erreicht werden können.
„Die Verkehrsemissionen waren am Steigen, und wir müssen den Trend umkehren“, kommentierte damals EU-Umweltkommissar Wopke Hoekstra. Die europäische Industrie werde in einer besseren Wettbewerbsposition sein, wenn sie Gewissheit über die Regeln habe. Von einer EU-Strategie etwa für die Einrichtung der Ladeinfrastruktur von Elektrolastern, mit der das Erreichen der Ziele möglich gemacht oder erleichtert werden solle, war allerdings nicht die Rede.
Die Zulassungszahlen waren auf wenige EU-Staaten konzentriert
Schon vor zwei Jahren, vor der IAA für Nutzfahrzeuge 2022, hatte der Vorstandsvorsitzende von MAN Trucks and Buses, Alexander Vlaskamp, die Zukunft der Elektrolastwagen in glänzenden Farben beschrieben und von den Megawatt-Ladern gesprochen, die in Zukunft für das Lasterbatterieladen zur Verfügung stehen würden. Doch solche Ladesäulen mit der dreifachen Leistung der derzeit – dünn gesäten – stärksten Pkw-Lader von 350 Kilowatt, sind derzeit höchstens in einem experimentellen Stadium verfügbar.
Insgesamt sind die Zulassungszahlen für Elektrolastkraftwagen in der EU noch immer mickrig. Der Verband der europäischen Fahrzeugindustrie ACEA berichtet, dass im ersten Halbjahr 2024 insgesamt 151.358 schwere Lkw mit mehr als 16 Tonnen Gesamtgewicht zugelassen wurden, davon 145.962 oder 96,4 Prozent mit Dieselantrieb, 1707 oder 1,1 Prozent mit batterieelektrischem Antrieb und 3655 oder 2,4 Prozent mit anderen alternativen Antrieben wie Gas, Ethanol oder mit Wasserstoff-Brennstoffzelle.
Die Zulassungszahlen mit alternativen Antrieben waren dabei auf wenige EU-Staaten konzentriert: Von den 1707 schweren Elektrolastern in der EU entfielen 579 auf Deutschland, 274 auf die Niederlande, 257 auf Frankreich, 177 auf Schweden und 121 auf Dänemark. Die Kategorie der anderen alternativen Antriebsarten, vor allem Gas, wird dominiert von Frankreich (1981 Neuzulassungen), Deutschland (458), Spanien (338), Schweden (316) sowie Italien (222).
Wenn Lastwagenfahrer zur selben Zeit Pause machen
Aus der Zwangslage der Nutzfahrzeughersteller, unter anderem mit den EU-Vorgaben für die schweren Lastwagen, schließen die Unternehmensberater in ihren Prognosen, dass in jedem Fall der Elektroanteil unter den Schwerlastwagen schnell steigen wird. Steffan Lemke von der Unternehmensberatung Berylls by Alixpartners prognostiziert schon 5 Prozent für 2025 und 25 Prozent 2030. Die – trotz der hohen Anschaffungskosten – im Vergleich mit Diesel günstigen Gesamtbetriebskosten für Elektro-Lkw könnten bei diesem Übergang helfen, kommentiert Lemke.
Doch Elektrolaster haben vorerst zwei gravierende Nachteile: Die Reichweite ist begrenzt, derzeit auf maximal etwa 500 Kilometer. Die Elektro-Lkw können zunächst vor allem in einem begrenzten Radius rund um einen Betriebshof mit unternehmenseigenen Ladesäulen eingesetzt werden. Bis 2030 sollen nach den Vorgaben der EU auf den Hauptrouten durch Europa Ladestationen alle 60 Kilometer installiert werden, insgesamt 1700. Steffan Lemke sagt, dass jeder dieser Standorte mindestens drei Ladesäulen mit 1000 kW Leistung, also einem Megawatt, besitzen müsse, um den Fahrern in ihrer vorgeschriebenen Pause eine Ladung für 45 weitere 300 bis 360 Kilometer Reichweite zu bieten.
Nicht geklärt ist allerdings, wie dabei Wartezeiten vermieden werden, wenn Lastwagenfahrer tendenziell zur gleichen Uhrzeit Pause machen wollen. Bis 2030 müsse ein Netz von 10.000 Megawatt-Ladesäulen eingerichtet werden, kalkuliert Unternehmensberater Lemke. „Diese enorme Zahl zeigt, wie fraglich es ist, ob die Technologie der Elektro-Lkw bis 2025 für eine vollständige kommerzielle Nutzung bereitsteht.“ Für Langstrecken und flexiblere Routen sieht er technisch den Antrieb mit Wasserstoff und Brennstoffzelle im Vorteil. Doch abgesehen vom fehlenden Netz, müsse für attraktive Betriebskosten der Preis für grünen Wasserstoff auf fünf Euro je Kilogramm sinken, deutlich unter dem aktuellen Marktwert.
Auf der am Montag beginnenden Messe IAA Transportation werden dennoch neue Elektro-Lkw von mehreren Herstellern im Mittelpunkt stehen. Zugleich müssen sich die Lasterhersteller immer noch um ihr traditionelles Dieselgeschäft kümmern, um die Mittel für die teure Entwicklung und Einführung neuer Antriebe zu erwirtschaften. Im traditionellen Geschäft steht die Branche derzeit eher vor einem Abschwung. Wenigstens diesen Umstand sieht der Nutzfahrzeugexperte Andreas Dürr von Capgemini Invent aber nicht als beunruhigend an: „Die konjunkturelle Abkühlung auf dem Markt ist allenfalls vorübergehend. Langfristig wird der Markt wachsen, auch wegen der steigenden Nachfrage nach Transportleistungen.“