Finanzen

Wirtschaft

Wirtschafts-nachrichten

Autohersteller schreiben Brandbrief an EU-Kommission: „Es drohen Millionen Jobverluste“

autohersteller schreiben brandbrief an eu-kommission: „es drohen millionen jobverluste“

Die Autolobby warnt die EU-Kommission, dass Millionen Jobs in der Branche gefährdet sind.

Drohende Werkschließungen bei VW, Insolvenz von Recaro, Stellenabbau bei Continental und Gedanken über eine Abkehr aus Deutschland bei anderen Zulieferern: Kaum ein Tag vergeht derzeit ohne Horrormeldungen aus der Automobilindustrie. Die Hersteller geraten immer mehr ins Schlingern und drohen, am internationalen Markt an Boden zu verlieren. Grund genug offenbar für die Branche, die EU-Kommission eindringlich vor den Folgen dieser Krise zu warnen.

In einem Brandbrief, welcher der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, fordert die europäische Autolobby (ACEA) die EU-Kommission dazu auf, die für 2025 geplanten strengeren CO₂-Flottenwerte zu senken oder um zwei Jahre zu verschieben. Es wird erwartet, dass Luca de Meo, Chef von Renault und gleichzeitig Präsident der ACEA, am Mittwoch in Brüssel bei der Kommission die Notlage der Autobranche klarmachen wird. Laut de Meo drohen der Branche Strafzahlungen in Höhe von 15 Milliarden Euro, wenn sie im kommenden Jahr die strengen CO₂-Ziele verfehlt. Das entspräche einem Sechstel des Vorsteuergewinns der gesamten europäischen Branche in 2023.

Nach Ansicht des ACEA hätte eine solche Strafe gravierende Folgen. Die Industrie sei nicht in der Lage, die bevorstehende Verschärfung von EU-Klimavorgaben einzuhalten. Es drohe der „Verlust von Millionen Jobs“, heißt es. Zum Vergleich: Der VW-Konzern beschäftigt aktuell weltweit knapp über 662.500 Mitarbeiter, also deutlich unter einer Million. Wie realistisch ist die Warnung? Und trägt die Politik wirklich die alleinige Schuld an der Krise?

Einige Kritiker sehen in dem Vorstoß der europäischen Autolobby fehlendes Verantwortungsbewusstsein für die eigenen Fehler. Die grüne Lobbyorganisation „Transport and Environment“ bezeichnet die Forderungen beispielsweise als „absurd“. Die Hersteller hätten genug Zeit gehabt, sich auf das seit 2019 bekannte CO₂-Ziel vorzubereiten. Der frühere Porsche-Chef Wendelin Wiedeking wiederum sagte, die EU habe Vorgaben gemacht, die „unzulässig“ seien und der Industrie „zu viel aufgebürdet“. Die EU bedrohe die gesamte Branche, so der frühere Automanager. „Man stranguliert den wichtigsten Wirtschaftsfaktor, den Europa hat.“

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) betont auf Anfrage der Berliner Zeitung, dass die Autoindustrie das Pariser Klimaabkommen unterstütze und die Branche mit aller Kraft und Kreativität daran arbeite, die Ziele zu erreichen. Allerdings: „Unsere Innovationen und Investitionen können nur dann maximale Wirkung zeigen, wenn das Umfeld stimmt, wenn Klimaschutz nicht gegen, sondern mit der Industrie und den Menschen in unserem Land entwickelt wird – und wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen stimmen“, betont ein VDA-Sprecher.

Die Nachfrage nach Elektroautos in Europa als zentraler Beitrag zur Erreichung der Klimaziele bleibe aktuell leider hinter den Erwartungen zurück. „Der VDA fordert daher, die von der EU-Kommission für 2026 geplanten Review für die Flottenregulierung für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge auf das nächste Jahr vorzuziehen.“ Mit der Review will die EU-Kommission die Erfolge bei der Reduzierung der CO₂-Emissionen überprüfen und gegebenenfalls Anpassungen vornehmen. Das Vorziehen dieses Prozesses sei laut VDA wichtig, um bestmögliche Rahmenbedingen zu schaffen. Was der VDA zu der von den Herstellern geforderten Rücknahme oder Verschiebung der CO₂-Flottenwerte hält, blieb unbeantwortet.

Der Brandbrief der Autolobby solle eine Drohkulisse für die Politik aufbauen, um Strafzahlungen zu minimieren beziehungsweise ganz zu vermeiden, sagt der Autoexperte Frank Schwope zur Berliner Zeitung. „Die Aussagen von ACEA- und Renault-Chef Luca de Meo und Volkswagen-Chef Oliver Blume wirken abgestimmt, um neue Fördergelder zu initiieren“, vermutet der Dozent für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) Hannover. Dass die Autoindustrie „stranguliert“ werde, wie Ex-Porsche-Chef Wiedeking sagt, hält Schwope für übertrieben, aber: „Sicherlich legt die EU der Autoindustrie Fesseln an.“

Trotzdem sei die Politik nicht alleine schuld an der schwierigen Situation. „Die Hersteller tragen einen großen Anteil an der Krise selbst, schließlich haben sie den Verbrenner weiter stark gemolken und zu wenig Richtung Elektroautos getan.“ Die Hersteller hätten sich von Tesla und chinesischen Herstellern die Rücklichter zeigen lassen. Trotzdem brauche es einen klareren Kurs in Europa in der Automobilindustrie. „Es ist wichtig, dass die EU klare Regularien erlässt, sich daran hält und die einzelnen Regierungen diese auch unterstützen, sodass kein Hü-und-Hott bei der Elektromobilität erfolgt“, fordert der Autoexperte.

Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! [email protected]

TOP STORIES

Top List in the World