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Auto-Lobby fordert EU-Aufschub bei CO₂-Grenzwerten – und erntet Kritik: „An Dreistigkeit kaum zu überbieten“

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Auto-Lobby fordert EU-Aufschub bei CO₂-Grenzwerten – und erntet Kritik: „An Dreistigkeit kaum zu überbieten“

auto-lobby fordert eu-aufschub bei co₂-grenzwerten – und erntet kritik: „an dreistigkeit kaum zu überbieten“

EU-Flaggen

Die kriselnde europäische Autoindustrie zittert vor den CO₂-Grenzwerten der EU – und fordert in einem internen Lobby-Papier Aufschub. Andernfalls seien Millionen Arbeitsplätze in Gefahr.

Brüssel – Die Autobranche steckt vielerorts in Europa in der Krise. Besonders in Deutschland wanken einstige Autoriesen wie Volkswagen oder BMW bedenklich. Die Gründe für die Misere sind vielfältig: Die Konkurrenz aus China und den USA scheint entlaufen, die Absatzzahlen stimmen nicht mehr und die Mobilitätswende stockt. Zu allem Überfluss droht den europäischen Autobauern genau in diesem Bereich noch zusätzlicher Gegenwind aus Brüssel.

Klimavorgaben der EU sind seit 2019 bekannt: Grenzwerte verschärfen sich 2025

Durch strengeren EU-Klimavorgaben zu den sogenannten Flottengrenzwerten wird geregelt, wie viel CO₂ ein Auto ausstoßen darf. Das entsprechende Gesetz gilt EU-weit seit 2019 und sollte die Autohersteller auf die erste größere Verschärfung im Jahr 2025 vorbereiten. Der Grenzwert richtet sich nach dem Durchschnitt aller Fahrzeuge, die in der EU innerhalb eines Jahres zugelassen wurden. Für das Jahr 2024 sieht dieser für jedes neu zugelassene Auto derzeit 115,1 Gramm CO₂ pro Kilometer vor.

Als strenger gesetzlicher Geleitschutz für das EU-weite Verbrenner-Aus bei Neuzulassungen ab 2035 wird sich dieser Wert im Jahr 2025 auf 93,6 Gramm und 2030 auf 49,5 Gramm reduzieren. 2035 soll dieser final bei null liegen.

Laut ACEA drohen Autoherstellern Strafzahlungen von 15 Milliarden – oder massiver Stellenabbau

Wie ernst es der EU-Kommission mit dieser Regelung ist, lässt das Strafmaß erahnen, das laut der Welt Renault-Chef Luca de Meo auf bis zu 15 Milliarden Euro taxiert. Nun ist Meo zugleich der Präsident des europäischen Verbands der Automobilindustrie (ACEA), weswegen die Zahl aufgrund des Interessenskonflikts erstmal mit Vorsicht zu genießen ist. Doch auch andere Berechnungen kommen auf einen zweistelligen Milliardenbetrag von bis zu 13 Milliarden. Doch dass die Regelungen einen großen Einfluss auf die Auto-Wirtschaft in der EU haben werden, ist unbestritten.

Zu diesem Schluss kommt auch ein internes Lobby-Papier, welches in der Branche kursiert. Bloomberg hatte zuerst daraus zitiert, mittlerweile liegt es auch der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel vor. Der Inhalt hat es in sich: Um einer Strafe zu entgehen, bliebe den Autobauern kaum eine andere Chance, als die „Produktion erheblich zu drosseln, was Millionen von Arbeitsplätzen in der EU bedroht“, so das Papier. Die Autoren werden laut verschiedenen Medienberichten dem ACEA zugeordnet, was dieser umgehend dementierte. Ob nun ACEA oder nicht – die Inhalte schlagen derzeit große Wellen in der Branche.

Einfache Rechnung: Auf vier verkaufte Verbrenner muss ein Elektroauto folgen

Dass die Autobauer die vorgegebenen Grenzwerte einhielten, sei dagegen nahezu ausgeschlossen. Die Verfasser gehen von einer einfachen Rechnung aus. Ein effizientes Auto mit Verbrennermotor verbrauche im Durchschnitt rund 120 Gramm CO₂ pro Kilometer. Um die EU-Regularien einzuhalten, müssten entsprechend auf vier zugelassene Verbrenner ein Elektroauto folgen. Das wäre ein Verkaufsanteil von 25 Prozent für Elektroautos, die die Bilanz der „schmutzigen“ Verbrenner ausgleichen und die Grenzwerte dadurch einhalten sollen. Doch an dieser Verhältnismäßigkeit scheitern die europäischen Autohersteller derzeit.

Die Gründe sind vielfältig und gehen von fehlenden staatlichen Subventionen, über Preisdruck aus Übersee bis hin zu einer realitätsfernen Preis-Leistungs-Logik im Angebot.

Gefährden die Grenzwerte der EU Millionen an Arbeitsplätze? Autobranche fordert Aufschub

Als Konsequenz aus dieser Rechnung leiten die Verfasser schließlich den Produktionsstopp von mehr als zwei Millionen Verbrennern ab – woraufhin die erwähnten Millionen von Arbeitsplätzen wegfielen würden. Demgegenüber sind aber noch weitere Szenarien denkbar: Etwa höhere Rabatte auf E-Autos, um die Verkäufe anzukurbeln, oder CO₂-Credits von Konkurrenten aus dem Ausland zu kaufen. Fraglich ist jedoch, ob aus diesen ebenfalls sehr kostenintensiven Varianten nicht auch ein massiver Stellenabbau der bestehenden Arbeitsplätze einherginge.

Um entweder Strafzahlungen oder Stellenabbau aufzuhalten, plädieren die Autoren für einen Aufschub von zwei Jahren, ehe die schärferen Vorgaben umgesetzt würden.

VW-Sprecher sieht Grenzwert-Ziel für 2025 als „zu ehrgeizig“ – Lemke-Ministerium widerspricht

Die Forderungen nach mehr Transformationszeit hatten zuvor der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA) und auch Hans Dieter Pötsch, Aufsichtsratschef bei Volkswagen, aufgestellt. Ein VW-Sprecher legte nun in der Welt nach: „Das Ziel für 2025 ist nach unserer Einschätzung zu ehrgeizig, gemessen daran, wie sich die Elektromobilität aktuell in Europa entwickelt. Wir müssen am Langfristziel 2035 festhalten, gleichzeitig brauchen wir realistisch gestaffelte Ziele auf dem Weg dorthin.“

Dass eine Nachjustierung seitens der EU tatsächlich erfolgt, wirkt derzeit unwahrscheinlich – trotz der schlechten Lage der Autoindustrie. Zwar fordert die Regierung Italiens seit Kurzem das für 2026 anvisierte „Review“ des Gesetzes zum Verbrenner-Aus vorzuziehen und dazu auch direkt die Grenzwerte-Regelung zu ändern. Doch ist dieser „Review“-Mechanismus automatisch im Gesetz verankert – und erfüllt laut dem Bundesumweltministerium von Steffi Lemke (Grüne) sowieso nur Dokumentationspflichten. Sinn sei es, so ein Sprecher gegenüber der Welt, den Fortschritt bei der Erreichung der Ziele zu bewerten, allerdings sowieso erst nach 2025.

„Vorstoß ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten“ – Umweltverbände sehen Autobranche strategielos

Noch deutlicherer Widerspruch kommt in einem Pressestatement von Sebastian Bock, Geschäftsführer der Umweltorganisation Transport & Environment Deutschland: „Der Vorstoß ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten: Die Autohersteller haben in den letzten zwei Jahren über 130 Milliarden Euro Gewinn gemacht und hatten genügend Zeit, sich auf das seit 2019 bekannte CO₂-Ziel vorzubereiten.“

Auch Lemkes Ministerium hält den Vorstoß der Autobranche für zu übereilt: Bei früheren Zielwerten hätten die Autobauer „ihre Erfüllungslücke erst jeweils im Zieljahr geschlossen“ – obwohl die Lücken häufig größer waren als jetzt. Marion Tiemann von Greenpeace sieht in der Aufschub-Bitte gegenüber dem ZDF vielmehr ein Versagen der Autobauer selbst: „Das Jammern über angeblich zu strenge Grenzwerte kann die fehlende langfristige Strategie nicht verdecken.“

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