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Daimler-Truck-Vorstand: Die grünen Lastwagen sind da, die Kunden nicht

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Unterwegs mit Wasserstoff: Andreas Gorbach vor dem „GenH2“-Truck

Im Verteilerverkehr sind die elek­trischen Lastwagen von Daimler Truck längst angekommen, Kunden des weltgrößten Lastwagenherstellers liefern mit ihnen schon seit gut einem Jahr Pakete, Gemüse und Bauteile aus. Im November läuft auch die Serienproduktion des E-Actros 600 an – und mit diesem Fahrzeug will das baden-württembergische Unternehmen auch auf der Langstrecke ohne schädliche Abgase unterwegs sein. Der im Oktober 2023 vorgestellte Truck soll mit einer einzigen Batterieladung rund 500 Kilometer weit kommen.

Aussichten, die Daimler-Truck-Entwicklungsvorstand Andreas Gorbach eigentlich optimistisch stimmen sollten – zumal die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass viele Kunden den gebürtigen Stuttgarter auf der am Montag in Hannover gestarteten IAA Transportation mit Fragen zu dem neuen Fahrzeug bestürmen werden. Doch von großem Optimismus ist bei dem Neunundvierzigjährigen gerade nicht viel zu spüren. „Beim Thema Dekarbonisierung sehen wir gerade eine große Ernüchterung“, sagt Gorbach im Gespräch mit der F.A.Z. „Die Produkte sind in Serienproduktion. Aber sie werden von den Kunden noch nicht in großen Stückzahlen gekauft.“

Anreizsysteme statt Strafzahlungen?

Der Grund ist einfach: Wenn Lastwagen festgelegte Routen ohne planbare Heimfahrten zur Ladestation auf dem eigenen Betriebshof verlassen sollen, fehlt die Ladeinfrastruktur. Solange Spediteure nicht sicher sind, dass ihre Fahrer auf überfüllten Rastplätzen eine freie Ladesäule finden und ihre Batterien in angemessener Zeit auffüllen können, werden sie sich nicht für einen elektrischen Truck anstelle eines Diesellastwagens entscheiden. Dabei läuft den Unternehmen die Zeit davon: Die Gesetzgebung der Europäischen Union sieht empfindliche Strafzahlungen vor, wenn die Emissionen der neu verkauften Fahrzeuge 2030 nicht um 45 Prozent niedriger sind im Vergleich zum Jahr 2020.

Daimler-Truck-Technikvorstand Gorbach ärgern die Strafzahlungen. Vor zehn Jahren hätten sie möglicherweise einen Sinn gehabt, als die Politik die Hersteller dazu bewegen wollte, überhaupt in alternative Antriebe zu investieren. „Aber heute haben die Unternehmen ihre Hausaufgaben gemacht, die Elektrolastwagen sind auf der Straße, aber sie werden nicht gekauft, weil die dafür notwendige, von der Politik versprochene Infrastruktur fehlt“, erläutert Gorbach. „Die Strafzahlungen für die Fahrzeughersteller bleiben dennoch bestehen.“

Gorbach plädiert für eine konzertierte Aktion, um die ehrgeizigen Klimaziele bis 2030 auch nur ansatzweise zu erreichen: Mit Anreizsystemen müsse die Politik Investoren und Energieunternehmen zusammenbringen, damit der Ausbau der Infrastruktur schneller vonstattengehe. „Regelungen zu Strafzahlungen sollten wir dann an den Fortschritt der Infrastruktur koppeln“, sagt Gorbach.

Der Ingenieur fordert dabei einen kombinierten Ausbau von elektrischen Ladesäulen und Wasserstofftankstellen. „Es ist richtig, dass zuerst die Lastwagen mit Batterieantrieb kommen, das ist der erste Schritt, aber im Zielbild brauchen wir auch Wasserstoffantriebe“, erläutert der Entwicklungsvorstand. „Eine Entscheidung gegen Wasserstoff ist aber auch eine Entscheidung gegen die schnellste und am wenigsten kapitalintensive Dekarbonisierung.“ So seien die Kosten bei der elektrischen Infrastruktur am Anfang niedrig. Speditionsunternehmen installierten sich auf ihren Betriebshöfen Ladestationen, Probleme gebe es erst, wenn die Logistiker die zehnte, elfte, zwölfte Ladesäule haben wollen – ganz abgesehen von den enormen Kosten für riesige Ladeparks an Rastplätzen. Da werde das Netz der limitierende Faktor, es müsse ausgebaut werden, und die Kosten stiegen exponentiell.

Anders beim Wasserstoff: Die ersten Tankstellen seien unglaublich teuer. „Doch wenn die Zahl der Wasserstofflastwagen steigt, sinken die Kosten pro Lastwagen und Kilometer schnell“, sagt Gorbach. „Über den gesamten Zeitraum der Transformation ist der Ausbau beider In­frastrukturen weniger kapitalintensiv. Und auch schneller, weil die Genehmigungen für eine Wasserstofftankstelle lange nicht so langwierig sind wie die für den Ausbau des Stromnetzes.“ Aber klar ist für Gorbach eines: „Die Infrastruktur wird zum Flaschenhals der Dekarbonisierung.“

Das Argument, dass Wasserstoff einen schlechten Wirkungsgrad habe und dass die Wasserstoffwirtschaft eine Verschwendung von Ressourcen sei, hält Gorbach „erstens für falsch und zweitens für nicht relevant.“ Wenn in sonnigen Regionen wie in Afrika Solarpanels aufgebaut würden, dann sei die Effizienz doppelt so hoch wie in Deutschland – wenn man dann aus diesem Strom Wasserstoff mache, habe man zwar den halben Wirkungsgrad bis zum rollenden Reifen – „aber eben immer noch den doppelten Wirkungsgrad am Panel. Das heißt, die emissionsfrei gefahrenen Kilometer pro Stunde Sonne sind die gleichen“, erläutert Gorbach. „Die Sun-to-Wheel-Effizienz ist also die Gleiche, weil die Ressource die Sonne ist. Alternativ behält man dort heißen Sand.“

„Ein Lastwagen ist immer ein Investitionsgut“

Zudem verweist der Entwicklungsvorstand von Daimler Truck darauf, dass Deutschland und Europa bei der Energieerzeugung nie autark sein werden. „Europa importiert 60 Prozent der Energie in Form von Öl, Gas und Kohle. Und in einer dekarbonisierten Welt wird die Importquote ähnlich sein“, sagt Gorbach. „Aber die Welt wird dann mit grünen Molekülen handeln, weil die Energie nur in Molekülen sinnvoll speicherbar und auf langen Strecken transportierbar ist.“ Strom aus sonnenreichen oder wasserkraftreichen Regionen der Welt werde verteilt mit grünen Molekülen, und das fange mit Wasserstoff an. Warum Gorbach mit Blick auf die Erfolgsaussichten bei der grünen Transformation des Lastwagenverkehrs trotz aller von seinem Unternehmen entwickelten Fahrzeuge nicht sehr optimistisch ist, gründet der studierte Verfahrenstechniker auf diese einfache Rechnung: In Europa sind sechs Millionen Lastwagen auf der Straße, die brauchen jährlich 60 Millionen Tonnen Dieseltreibstoff, umgerechnet sind das 700 Terawattstunden. Selbst bei der Annahme, dass der Wirkungsgrad von elektrischen Lastwagen doppelt so hoch ist, seien 350 Terawattstunden an elektrischer Energie nötig – das ist mehr als die Hälfte des jährlichen Bruttostromverbrauchs von Deutschland. „Um diese Energiemenge in die sechs Millionen Lastwagen zu bringen, brauchen wir entsprechend viele Kabel und Wasserstofftankstellen“, sagt Gorbach „Wir müssten in Europa 400 Schnellladesäulen für Lastwagen bauen, mit 350, 500 oder 1000 Kilowatt Ladekapazität, und zusätzlich mehr als 30 Wasserstofftankstellen – und das jeden Monat. Das passiert aktuell nicht.“

Im Gegensatz zu den Herstellern von Automobilen können Lastwagenunternehmen auch nicht auf den Idealismus ihrer Kunden hoffen. Während Käufer von Elektroautos in einem gewissen Maße bereit sind, auf Komfort zu verzichten und etwas mehr Geld zu bezahlen, wenn sie damit einen Beitrag zur Verkehrswende leisten können, denkt ein Transportunternehmer anders: Er steigt nur auf Trucks mit elektrischem Antrieb um, wenn es sich rechnet. „Ein Lastwagen ist immer ein Investitionsgut, man kauft ihn mit dem Taschenrechner und nicht mit dem Herzen“, sagt Gorbach. „Die Kunden rechnen in Cent pro Kilometer – es geht immer um Total Cost of Ownership, also die Gesamtbetriebskosten. Darin geht alles ein, Anschaffungen, Abschreibungen, Energie, Fahrer, Versicherungen, Restwerte.“ Wegen der zusätzlichen CO2-Abgaben zu Mautgebühren für Verbrenner sei der Batteriebetrieb in Deutschland in den meisten Fällen gerade so gleichwertig mit dem Diesel – „in vielen anderen Ländern ist das aber nicht der Fall“.

Die Kernanwendungen sind schon elektrifiziert

Aus der Perspektive der Energiebilanz betrachtet, wären Elektro-Lkws sehr interessant, meint der Daimler-Technikchef: „Ein Lastwagen braucht mit Dieselantrieb 27 Liter auf 100 Kilometer, das sind umgerechnet rund 325 Kilowattstunden an Energie. Unser neuer E-Actros braucht dagegen 120 Kilowattstunden, also ein Drittel“, sagt Gorbach. Und es gehe sogar noch sparsamer: „Bei unseren Sommertestfahrten haben wir Werte gemessen, die noch niedriger lagen, nahe an 100 Kilowattstunden. Wir lassen uns gerne motivieren und überraschen von Wettbewerbern, aber ich habe noch keine niedrigeren Zahlen gesehen.“

Doch ganz abgesehen von den Problemen der Ladeinfrastruktur ist für die Techniker auch der derzeit gravierendste Nachteil der Batterietechnik offensichtlich: „Bei Batterielastwagen wird das zulässige Gesamtgewicht um zwei Tonnen erhöht, das kompensiert aber nicht die fünf bis sechs Tonnen Batterie“, sagt Gorbach. Allerdings falle der Nachteil von zwei bis drei Tonnen weniger Zuladung für die meisten Kunden nicht ins Gewicht, denn viele Lastwagen würden mit relativ leichter Ware beladen und damit bereits vom Volumen her voll, bevor das Gewichtslimit erreicht sei. Dennoch gelte derzeit: „Für 800 bis 1000 Kilometer Reichweite müsste die Batterie derzeit so groß werden, dass das keinen Sinn mehr macht. Das ist ein weiterer Grund, auch den Antrieb mit Wasserstoff zu entwickeln.“

Gegenüber Elektroautos, bei denen viele teure Modelle NMC-Batterien mit Lithium, Nickel, Mangan und Kobalt benutzten, die billigen dagegen LFP-Batterien mit Lithium und Eisenphosphat, sei der Elektrolastwagen bei der Wahl der Batterietechnik im Vorteil: „Wir nutzen LFP-Batterien, also Lithiumeisenphosphat. In einem Lkw kann man die geringere Energiedichte gegenüber NMC-Batterien konzeptionell ausgleichen und gleichzeitig Vorteile bei Kosten, Lebensdauer und Sicherheit mitnehmen.“ Dass die eigentlich billigeren Batterien mehr Platz brauchen, ist beim Lastwagen einfach kein Problem, dafür muss diese Art von Batterietechnik andererseits auch nicht so aufwendig gekühlt werden wie teure und kompakte NMC-Batterien. Dass zuerst Fahrzeuge mit batterieelek­trischem Antrieb auf den Markt kommen, sei richtig. Daimler Truck habe nun die Kernanwendungen elektrifiziert, mit kleinen Elektrolieferwagen unter dem zu Daimler Truck gehörenden Markennamen Fuso, mit schweren Elektrolastwagen für den Verteilerverkehr und mit Elektrobussen. Doch aus der Sicht von Gorbach wird vorerst der Elektroantrieb keine ähnlich universale Rolle einnehmen, wie es in den vergangenen Jahren der Dieselmotor konnte. „Im Zielbild brauchen wir auch Wasserstoffantriebe.“ Die breite Einführung dieser Technik könne sich aber noch in Richtung Ende des Jahrzehnts verschieben.

„E-Fuels scheiden aus“

Den Dieselmotor will Gorbach zudem nicht vollständig abschreiben: „Generell wird es in Zukunft auch weiter spezielle Anwendungen geben, in denen wir weiter den Diesel haben werden. Bei einem Feuerwehrauto will man lieber 1000 Liter Wasser dabeihaben als eine Tonne Batterie. Und der Kohlendioxidausstoß ist bei diesen Fahrzeugen ohnehin vernachlässigbar.“ Bedauern ist aus der Einordnung zu E-Fuels zu hören: „Mit Blick auf die technische Machbarkeit limitiert die Gesetzgebung die Möglichkeiten auf elektrische Energie und Wasserstoff. E-Fuels und andere CO2-neutrale Kraftstoffe scheiden aus, weil nur die sogenannte Tank-to-Wheel-Bilanz am Auspuff gemessen wird – und wenn dort Kohlenstoff rauskommt, ist der Lastwagen kein Nullemissionsvehikel.“ Die Folgerung klingt drastisch: „Im Grenzfall scheint das verrückt: Wenn Batteriefahrzeuge Strom aus Kohleverbrennung nutzen, sind sie grün, wenn Dieselfahrzeuge kohlendioxidneutrales HVO verbrennen, sind sie grau.“

Für den Technikfreak Gorbach stecken im Umbruch aber auch viele Möglichkeiten für die Zukunft: „Die Transformation ist auch eine große Chance. Wir sind als Unternehmen so stark, weil wir innovativ sind – und in den neuen Techniken steckt ein unglaublich großes Feld an Innovationsmöglichkeiten“, sagt der Entwicklungsvorstand von Daimler Truck. „Nach mehr als 100 Jahren Dieseloptimierung bietet die neue Antriebstechnik wieder eine Chance auf weiter 100 Jahre Innovation und hoffentlich auch auf eine neue Technologieführerschaft.“ So pessimistisch er auf die Verkehrswende im Schwerlastverkehr schaut, so optimistisch ist der Stuttgarter mit Blick auf den Erfindergeist seiner Ingenieure.

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