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Autofahren als Zen-Zeremonie

Kolumne

Autofahren als Zen-Zeremonie

autofahren als zen-zeremonie

Verkehrsminister Volker Wissing und seine Partei FDP sind gegen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen. (Thomas Frey/dpa)

In anderen Ländern wird weniger gerast. Die damit verbundenen Vorteile hat auch viele beim ADAC überzeugt. Wenn jetzt noch die FDP folgt, gibt es bald ein Tempolimit.

Eigentlich kann man durchaus eingestehen, dass im deutschen Straßenverkehr relativ wenig Unfälle geschehen. Relativ. Denn zieht man in Betracht, wie viele Hornochsen da unterwegs sind (was aber eigentlich eine fehlerhafte Bezeichnung ist. Schließlich handelt es sich bei einem Ochsen um ein kastriertes Rind; ein Zustand, der so manchem Raser dringend anzuempfehlen wäre), wie schnell auf unseren Autobahnen gefahren werden darf und wie überzüchtet die heutigen Automobile sind, grenzt es an ein Wunder, dass wir nicht Spitzenreiter der europäischen Verkehrsunfallstatistik sind. Stattdessen belegen wir jedes Jahr einen Platz im gesicherten Mittelfeld.

Klar, könnte man nun sagen, in anderen Ländern werden ja auch weniger Spähpanzer gefahren. Schließlich tragen die Deutschen die Panzerung bereits in ihrer Genetik. Falsch. Denn die erbliche Veranlagung mag zwar vorhanden sein, und tatsächlich war im vergangenen Jahr jedes dritte hierzulande neu zugelassene Fahrzeug eines für den sogenannten Sportgebrauch, also ein Sport Utility Vehicle, vulgo SUV genannt – dennoch dümpelt Deutschland bei der Nutzung solcher Karossen ebenfalls im durchschnittlichen Bereich.

Zugegeben, an der Spitze stehen klassische Allradländer wie die Hochgebirgskette namens Schweiz und schneelastige Nordstaaten wie Schweden, Norwegen und Finnland, wo man allein schon wegen der widerborstigen Tierwelt ein robustes Fahrzeug mit Elchfänger benötigt. Solche Probleme kennen wir in Deutschland nicht, dennoch fahren wir viele SUV – trotzdem kann man uns beim besten Willen nicht als Geländelimousinenfetischisten bezeichnen. Zumindest frönen wir dieser sexuellen Hanglage nicht mehr als unsere Nachbarvölker und sogar weniger als die Menschen in so manchem, vollkommen elchbefreiten Mittelmeerland.

In einem Punkt zumindest sind wir spitze: im Rasen. Das zu beweisen, braucht’s keine Statistik, da reicht die Empirie. Man bewege sich mit dem Auto ins Ausland, und sofort nach Überfahren der Grenze fühlt man sich wie in Abrahams Schoß (immer dieser Abraham mit seinem Schoß. Irgendwann kriegen sie den auch mal wegen sexueller Belästigung dran). Jedenfalls sinken augenblicklich Stresslevel und Pulsfrequenz, und Autofahren gleicht mit einmal einer Zen-Zeremonie.

Und warum kracht es dann nicht öfter? Eine wahrscheinliche These mutmaßt, dass sich Deutsche mehr als andere an Verkehrsregeln halten – trotz aller Raserei. Das spräche unbedingt für ein Tempolimit. Und das, ob Sie es glauben oder nicht, wird kommen.

Mittlerweile nämlich hat sich ja sogar die Mehrheit aller ADAC-Mitglieder gegen freie Fahrt für freie Bürger ausgesprochen. Und damit bröckelt eine sichere Bank, die die FDP benötigt, um das zu verteidigen, was sie für Freiheit hält.

Also werden die sogenannten Freidemokraten umschwenken und sich auf andere Neoliberalitäten konzentrieren Es gäbe da zum Beispiel die Einschränkung des Streikrechts, die Kürzung des Bürgergelds und vor allem die Förderung der Luftfahrt jedweder Art.

Denn auch wenn wir uns bei der Nutzung von SUVs lumpen lassen, sind wir mit unserem Flugwahn immer noch weit vorne. Unsere Lufthansa etwa erzielte 2023 das drittbeste Ergebnis ihrer Geschichte. Trotz „German Flugscham“.

Michael Herl ist Theatermacher und Autor.

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