Rundes Jubiläum: 30 Jahre Avant RS2! Der 315 PS starke, extravagante Kombi hat ganz viel Porsche – und röhrlt wie Walters Audi.
- Einer der Stars der IAA 1993
- “Schöne Kombis heißen Avant”
- RS-Kombi für rund 100.000 Mark
- Mehr Sein als Schein!
- Von Porsche mitentwickelt
- Selbstversuch Power-Kombi
- 1994 der schnellste Kombi der Welt
- Plus/Minus
- Marktlage
- Ersatzteile
Manchmal kommt das Beste kurz vor Feierabend. Du hast eigentlich deine Siebensachen schon gepackt, der Chef nimmt dich noch mal kurz beiseite, Gehaltserhöhung und so. Oder du willst den Deckel grade zahlen, die Kumpels stürmen rein, Lokalrunde und so.Irgendwann Anfang der Neunziger muss bei Audi das Beste auch kurz vor Feierabend gekommen sein. Die Gottheiten aus der Ingenieursabteilung waren mit den Gedanken schon beim Nachfolger, da platzt der Chef rein und redet über den Audi 80 und sagt: “Dem alten machen wir zum Abschied noch mal richtig Feuer.” Alle glotzen die vier Ringe an und denken an Fünfzylinder und PS ohne Ende und fragen sich: War das jetzt 'ne Gehaltserhöhung oder 'ne Lokalrunde oder beides gleichzeitig?
Einer der Stars der IAA 1993
Vor 30 Jahren wollte Audi nicht den schönsten Kombi bauen, sondern den schnellsten. Das mit der Schönheit kam erst später. Wir steigen früher ein. Der Typ in Smaragd Perleffekt, den Sie hier mit gelbem Kennzeichen der Niederlande, aber ohne Agrarhaken (Ehrenwort!) sehen, kam auf den Markt, als sein Nachfolger schon fast fertig war; Stichwort Bestes kurz vor Feierabend. Es ist ein Audi 80 der Baureihe B4, der grob gesagt eine Weiterentwicklung des Vorgängers aus den Achtzigerjahren ist, mit Grill an der Haube und neuen Hinterachsen.
Bild: Fred Roschki / AUTO BILD Ab 1991 rollt der “Facelift 80” vom Band, und jetzt schreiben wir das Jahr 1992, sie arbeiten am Nachfolgemodell mit dem internen Code B5, der 1994 kommen soll. Aber der Chef will dem alternden 80er noch mal einheizen, gemeinsam mit den Entwicklern von Porsche und Audi-Werksfahrer Walter Röhrl den schnellsten Kombi auf die Räder stellen. 1993 ist dieser Fünfzylinderbolide, mit 315 PS und Platz für fünf plus Kinderkarren im Kofferraum, einer der Stars der IAA.
“Schöne Kombis heißen Avant”
RS-Kombi für rund 100.000 Mark
Lesen wir lieber mal den Beipackzettel. Wie gesagt: Avant RS2 nennen sie ihn. Nicht Audi 80 RS2, nur Avant RS2. Am 19. März 1994, einem Samstag, stellt Audi den Wagen in die Showrooms und druckt eine Preisliste, in der oben die vier Ringe stehen und darunter der Porsche-Schriftzug. Und folgende Zahl: 98.900 Mark. Damit wir das mal einordnen können: Im selben Jahr kostet der einfachste Audi 80 Avant als Zweiliter-Vierzylinder-Benziner mit 90 PS genau 39.450 Mark, als Fünfzylinder mit 133 PS und Allrad 52.750 Mark. Und mit viel Technik und etwas Optik und einiger Handarbeit von Porsche eben 98.900 Mark.Wenn du so vorm Auto stehst und es nicht als das verstehst, was es ist, dann könntest du denken: Hui, Kunststoffheckblende aus dem D&W-Katalog bestellt und Kennzeichen druntergespaxt, die Porsche-Räder schrauben manche auch an den Käfer, und die Spiegel sahen beim Audi 80 doch immer anders aus, oder? Aber dann verstehst du den Wagen als das, was er schon zu Lebzeiten war: beim Fahren der Wahnsinn für den ersten Kick, beim Gucken der Kult für den zweiten Blick.
Mehr Sein als Schein!
Sie wollten in zwei Jahren 2200 Avant RS2 bauen, es sind 1994 und 1995 insgesamt 2891 geworden. So viele haben ihr Kreuzchen beim alternden 80er in der Vollfettstufe gemacht, obwohl sie ein paar Monate später auch den taufrischen A4 Avant hätten fahren können. Sie wollten alle mehr Sein als Schein.
Bild: Fred Roschki / AUTO BILD Beginnen wir trotzdem beim Schein. Blinker und Nebelleuchten im vorderen Stoßfänger stammen vom Porsche 911 der Modellreihe 964. Auch das Leuchtenband soll an die Elfer-Tradition erinnern, und ganz nebenbei trugen damals alle Porsche das hintere Kennzeichen unten. So sitzt es auch beim RS2 unten im Stoßfänger.Vom 964er hat der Audi die beiden Außenspiegel geerbt, bei Porsche haben sie extra noch die Spiegelfüße neu konstruiert. Die Räder im Format 7 x 17 Zoll mit 245er-Gummis kommen aus dem Porsche-Cup, dahinter blicken wir auf rote Bremssättel mit Porsche-Logo; die Anlage entstammt dem 968. Das RS im Logo ist eigentlich den scharfen Porsche-Typen vorbehalten, hier haben es die Stuttgarter dem Ingolstädter gegönnt.
Von Porsche mitentwickelt
Bild: Fred Roschki / AUTO BILD Fangen wir an beim Motor. Grundlage war der 2,2 Liter kleine Fünfzylinder, der im Audi S2 ab 1990 erst 220 und zwei Jahre später 230 PS leistete und 350 Nm Drehmoment auf die Kurbelwelle wuchtete und den Spurt auf Tempo 100 in 5,9 Sekunden bewerkstelligte. Wie gesagt: Das war die Basis, dann kam Porsche.Weil das Triebwerk bereits zu Walter Röhrls Rallyezeiten standfeste 400 PS lieferte, trauten sie dem 20-Ventiler 315 PS ohne Weiteres zu. Sie haben den Turbolader geändert, den Ladeluftkühler vergrößert, Abgasanlage und Ansaugtrakt modifiziert und ganz oben auf die Ansaugbrücke Porsche geschrieben, um auch jedem, der die Haube öffnet, gleich den Mund mit zu öffnen. Außerdem haben sie Motormanagement und Ventilsteuerzeiten feingetunt – fertig sind beachtliche 315 PS und bis zu 410 Nm Drehmoment.
Selbstversuch Power-Kombi
Wie sich das anfühlt? So als würde dich einer bei lebendigem Leib in den Flitzebogen spannen, nach hinten ziehen und ohne Vorwarnung plötzlich loslassen. Dann fliegst du kerzengerade los und überlegst unterwegs: Ach du liebes bisschen, was war das denn?Ja, du spürst anfangs ein Turboloch, das kannst du nicht verliebt weglächeln, das ist ja da. Unter 3000 Touren fährst du dieses Auto bitte wie einen Familienkombi, da passiert nicht viel. Danach umso mehr. Wenn sich der Drehzahlmesser langsam der 3000er-Marke nähert, dann liegst du maximal gespannt im Flitzebogen. Wenn du dann auf dem Gas bleibst, dann schießt du los, es liegen zuerst 410 Nm Drehmoment an und bis 4900/min immer 400. Du gibst Gas, du schaltest, du spürst leichtes Magengrummeln, weil dieser brachiale Bumms kein Ende nimmt. In nur 3,9 Sekunden hast du dich auf 80 km/h katapultiert, in 5,4 auf 100. IN! EINEM! KOMBI! 1994!
1994 der schnellste Kombi der Welt
Den RS2 Avant haben sie nicht kastriert wie einen stürmischen Rüden, sie haben ihn so belassen, wie er ist. Von Haus aus wild, in diesem Fall auf 262 Sachen Spitze. Das war 1994 der Wert für den schnellsten Kombi der Welt. Und das, obwohl sich die deutschen Autohersteller in den Achtzigerjahren in einer Selbstverpflichtung auf 250 km/h Höchstgeschwindigkeit verständigt hatten. Audi konnte ja sagen: Wir waren das nicht, das war Porsche. Die haben sich noch nie an die Sache mit 250 gehalten, warum ausgerechnet hier? Ja, warum ausgerechnet beim RS2? Weil er's will. Und kann.Sie haben ihm permanenten Allrad eingebaut, herausgekommen ist ein neutrales Fahrverhalten, das dir nichts abverlangt. Er fährt einfach wie am Schnürchen gezogen, wie auf Schienen, sicher und gutmütig. Walter Röhrl, der als Rallyefahrer auf dem Monster-Audi namens S1 geholfen hat, den quattro-Antrieb für die breite Masse zum Erlebnis werden zu lassen, sagte damals anerkennend: “Der RS2 untersteuert im Grenzbereich leicht. Dann nimmt man einfach das Gas weg, und das Auto kommt wieder auf Kurs.” Überhaupt sei es eine Wucht, dass Audi die Hochleistungsbremsen vom 968er eingebaut habe. Motorleistung, Fahrverhalten, Bremse – das war für den Meister damals etwas “homogenes Ganzes, da passt einfach alles zusammen”.
Plus/Minus
Einer wie keiner. Der Avant RS2 war schon zu Lebzeiten 1994 und 1995 äußerst selten auf unseren Straßen, nur 2891 Exemplare wurden verkauft. Das kann nur am Preis von knapp unter 100.000 Euro ohne Zusatzausstattung (genauer: 98.900 Mark) gelegen haben und deutlich darüber bei Bestellung von Klimaanlage (plus 4435 Mark), elektrischem Schiebedach (1440) und Kassettenradio Gamma (1445). Denn so einen Fahrspaß wie im RS2 gab es damals in nur wenigen anderen Kombis. Mit 262 km/h Spitze war er außerdem der damals schnellste Serienkombi.Und heute? Fährt er immer noch nicht wie einer, der dieses Jahr das H-Kennzeichen bekommen kann. Wenn gewollt, cruist er entspannt im sechsten Gang über die Lande. Wenn verlangt, veranstaltet er dank 400 Nm Drehmoment zwischen 2800 und 4900/min ein Spektakel, das immer noch sportlich und vor allem Musik fürs Ohr ist.
Bild: Fred Roschki / AUTO BILD Wer jetzt ganz tief in die Schatulle greifen und sich einen RS2 zulegen will, sollte auf eine nachvollziehbare Historie schauen und lieber etwas mehr für Typen ohne Reparaturstau investieren. Obwohl der Grauguss-Motorblock für Laufleistungen deutlich jenseits der 200.000 Kilometer taugt, ist er nicht ohne Probleme. Undichte Simmerringe der Kurbelwelle machen sich auf der Bühne durch Ölverlust bemerkbar.Und auch die Fahrzeugelektrik ist nicht für die Ewigkeit. So gehört die Lambdasonde zu den regelmäßigen Austauschteilen, zu bemerken an unrundem Motorlauf. Ihr Augenmerk sollten RS2-Interessenten auch auf sämtliche Gelenke der Vorderachse werfen, Dreieckslenker, obere Domlager und Koppelstangen gehören zu den typischen Verschleißkandidaten.Also lieber einen durchreparierten RS2 kaufen – und eines bedenken: Der Typ kam mit Porsche-Geburtshilfe auf die Welt. Entsprechend teuer ist er auch im Werkstattunterhalt, wenn er lange halten soll.
Marktlage
Die Preise gehen hoch. So ist das mit der Marktwirtschaft: Angebot und Nachfrage. Das Angebot jedenfalls ist bescheiden. Derzeit sind auf den üblichen Marktplätzen keine zehn Avant RS2 im Angebot. Los geht es nicht mehr ganz original und mit Laufleistungen jenseits von 250.000 Kilometern bei 50.000 Euro, also ehemaliger Neupreis. Die vorzeigbaren Exemplare, leider auch mit Laufleistungen über 150.000 Kilometer, werden mit bis zu 80.000 Euro angeboten, teilweise nachlackiert.
Ersatzteile
Achtung, Kleinserie! Vom RS2 wurden keine 3000 Exemplare gebaut, entsprechend speziell sieht’s bei der Teileversorgung aus. Prinzipiell gilt: Alles, was an Serienteilen von Porsche eingebaut wurde (Bremsen vom 968, Spiegel und Räder vom 964), gibt es bei Porsche. Alles, was speziell für den RS2 hergestellt wurde, ist schwierig zu bekommen. Zum Beispiel die Innenausstattung mit Sportsitzen und Alcantarabezug in der Mitte. Sollte das verschlissen sein, muss der Sattler ran. Viele Teile gibt’s nachgefertigt, etwa das RS-Logo fürs Lenkrad (38 Euro).