Kann man die Coolness eines Muscle Cars mit dem Nutzen eines Pick-up-Trucks kombinieren? Natürlich! Chevy und Ford haben's drauf!
Erst die Arbeit und dann! Im Idealfall ist der Unterschied zwischen Job und Vergnügen gering und der Übergang fließend. So wie bei Martin Thies. Der Landwirt aus Hüttblek in Schleswig-Holstein hat in seinem elterlichen Betrieb irgendwann Tiere gegen Autos getauscht. Unter dem Firmennamen “Cruising Cars” werden jetzt in seiner umgebauten Scheune ausgewählte US-Klassiker artgerecht gehalten.Ob Mopar Muscle Cars, Fullsize-Limousinen oder Pick-ups aus den 1950er- bis 1970er-Jahren, ankaufen tut er nur, was ihm gefällt. Am liebsten unverbastelte Autos mit Erstlack. Gekümmert, geschraubt und restauriert wird selbst, so viel zur Philosophie auf dem Hof. Aktuell warten neben reinrassigen Pick-ups von Dodge und Ford auch zwei sogenannte Pkw-Pick-ups auf neue Wertschätzer.
Muscle Cars mit Pritsche
Um zu verstehen, wie diese seltene Fahrzeuggattung entstehen konnte, schalten wir kurz in den Rückwärtsgang, denn die Geschichte amerikanischer Siedler lässt sich ohne Planwagen, Pritschenwagen und Pick-up-Trucks nicht erzählen. Robuste Arbeitstiere mit kräftigen Achtzylindern hatten die Erschließung weiter Ländereien und das Bewirtschaften riesiger Felder erst möglich gemacht.
Bild: Roman Raetzke / AUTO BILDDie neue Fahrzeuggattung der “car trucks” war so erfolgreich, dass Ford jedes Jahr ein neues Modell auf die Räder stellte, immer mit dem Frontdesign der entsprechenden Pkw. Bei der zweiten Serie entschied man sich für den kleineren Ford Falcon als Basis, auch um sich von den großen Pick-ups der eigenen F-Serie abzugrenzen.1966 durfte der Ranchero wieder wachsen und teilte sich die Schnauze erst mit dem neuen Fairlane, dann mit dem Nachfolgemodell Torino. Dieser kam ab 1972 nicht mehr mit einer selbsttragenden Karosserie, sondern mit einem separaten Chassis, fast in den Dimensionen einer Fullsize-Limousine.Das markante Frontdesign wurde 2008 durch Clint Eastwood berühmt, der im Film “Gran Torino” als Antiheld Walt Kowalski mit seinem 1972er Gran Torino Sport alte amerikanische Ideale verteidigen wollte. Wie wäre die Geschichte wohl verlaufen, hätte Walt statt Coupé auf Ranchero gesetzt?Je nachdem, ob Dragstrip oder Hausrenovierung Priorität hatte, konnten die Kunden damals nahezu jede Motorisierung für ihren Lifestyle-Laster wählen. Vom 4,1-Liter-Sechszylinder bis zum gigantischen 7,5-Liter-V8-Bigblock war alles drin. Dieser in Würde gealterte und unrestaurierte Ford aus Kalifornien erlebte mit dem kleinen 4,9-Liter-Smallblock einen eher beschaulichen Alltag und wurde vor einigen Jahren nur zum Teil nachlackiert, um die echte Patina des in Ginger Bronze ausgelieferten Ranchero GT zu erhalten.
Bild: Roman Raetzke / AUTO BILDEtwas skeptisch drehe ich den Zündschlüssel nach rechts, denn ich muss jetzt mit einem viel zu schwachen Smallblock klarkommen, der mit den 2,2 Tonnen wirklich Mühe hat. Dafür macht er richtig Krach. Das C4-Automatikgetriebe meldet durch einen sanften Ruck Kraftschluss, da setzt sich die Fuhre in Bewegung.Im Cruising-Modus zwischen 60 und 80 km/h kommt der Ranchero in seine Komfortzone und gleitet über die Landstraße. Der Ford läuft sauber geradeaus, und solange ich den Blick nicht nach hinten richte, fühle ich mich wie im fancy Coupé von Clint Eastwood. Nur in scharfen Kurven untersteuert er wegen des geringen Gewichts auf der Hinterachse. Wie viele Bierkisten müsste ich auf die Ladefläche wuchten, damit der Wagen ausgewogen auf der Straße liegt? Die Ladefläche ist immerhin satte zwei Meter lang und eineinhalb Meter breit.
Kultlaster von Chevrolet
Bild: Roman Raetzke / AUTO BILDÜbrigens brauchte General Motors damals zwei Jahre, um dem Ranchero ein eigenes Modell entgegenzusetzen. Erst 1959 rollte der erste Pkw-Pick-up bei GM vom Band. Der neue El Camino bekam das Design des Impala, basierte aber auf dem Kombimodell Brookwood. Weil der Ranchero aber mit der zweiten Serie geschrumpft wurde, reagierte Chevrolet auch mit der kleineren Limousine, der Chevelle. Vorerst nur mit den kleineren Motoren erhältlich, wurde es mit der dritten Generation erst richtig interessant.Die Muscle Cars erlebten gerade ihre besten Baujahre, denn die großen drei aus Detroit hatten Intermediate Coupés im Programm, bei denen es nur um Leistung ging. Dodge befeuerte den Charger R/T mit einem 426-Hemi (7,0 Liter), Pontiac schickte den GTO mit 454 Cubic Inch (7,4 Liter) ins Rennen, Ford beschleunigte den Mustang mit einem 429er Cobra Jet, und bei Chevrolet konnte die leistungshungrige Jugend den LS6-V8 mit 7,5 Liter Hubraum aus der Chevelle SS (Super Sport) für den El Camino bestellen.
Bild: Roman Raetzke / AUTO BILDDiese zwei magischen Buchstaben trägt auch der 1972er El Camino, bei dem Besitzer Martin gerade die Zylinder flutet. Ein Fake, wie sich herausstellt, die begehrten Buchstaben sind reine Angeberei. Der weiße Lifestyle-Laster muss sich mit dem bewährten 5,4-Liter-V8 (327 cui) aus dem Schwestermodell Corvette begnügen. Ob da was passiert?Ja, tatsächlich. Der Chevy geht erstaunlich schnell nach vorn. Bei 3800 Umdrehungen pro Minute mobilisiert der Smallblock 271 PS und würde eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h ermöglichen. Theoretisch! Fahrwerkstechnisch sollte man es bei den klassischen 55 Meilen nach amerikanischen Empfehlungen belassen, denn die unvorteilhafte Gewichtsverteilung ist auch beim El Camino das Problem, wenn man mal ohne Ladung unterwegs ist.Trotzdem kann die Frage, ob solche Fahrzeuge Sinn ergeben, eindeutig mit Ja beantwortet werden. Auch wenn viele Autohersteller Limousinen zu Lastwagen umfunktionierten: Chevy El Camino SS und Ford Ranchero GT sind für mich die Topmodelle einer fast ausgestorbenen Gattung, die beides sein wollten und auch konnten: Pkw und Pick-up.