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Lockerung von CO₂-Auflagen „wäre ökonomischer Selbstmord mit Ansage“, warnt Marcel Fratzscher

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung warnt davor, die EU-Klimaauflagen zu lockern und das Verbrennerverbot zu kippen. China, Indien und die USA hätten sich längst für Elektromobilität entschieden. Ein deutscher oder europäischer Sonderweg wäre fatal.

lockerung von co₂-auflagen „wäre ökonomischer selbstmord mit ansage“, warnt marcel fratzscher

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, hält eine Rückkehr zum Verbrenner für fatal picture alliance/dpa/Annette Riedl

DIW-Präsident Marcel Fratzscher hat eindringlich vor einer von der Industrie und von Verkehrsminister Volker Wissing geforderten Lockerung der EU-Klimaauflagen für Autos und vor einer Rücknahme des Verbrennerverbotes gewarnt. „Sowohl die CO₂-Flottengrenzwerte als auch das Zulassungsverbot für Diesel und Benziner müssen bleiben und dürfen nicht gelockert werden. Ansonsten wäre der Schaden, gerade für Deutschlands Automobilindustrie, immens“, sagte Fratzscher im Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ).

Es sei „ein Irrsinn zu glauben, wir könnten eine Mauer um Europa bauen, E-Autos aus den USA und Asien nicht mehr reinlassen und innerhalb der Mauern unsere Diesel und Benziner abfeiern“, so Fratzscher weiter. „Das wäre ökonomischer Selbstmord mit Ansage.“

E-Autos seien auch keine Erfindung, um Deutschlands Autobauern das Leben schwer zu machen. „Der Verkehrssektor ist einer der großen CO₂-Emittenten. Und E-Autos stoßen, wenn sie mit grünem Strom betankt werden, kein Klimagas aus.“ Die Entscheidung für die E-Mobilität sei längst gefallen, nicht in Brüssel oder Berlin, sondern in China, in Indien und den USA.

„Wenn Europa und Deutschland einen Sonderweg gehen wollen, wird Volkswagen noch ein Viertel, maximal ein Drittel seiner Verkaufszahlen für eine Weile retten können“, so Fratzschers Warnung. „Dann werden sie nicht drei Werke schließen und fünf Prozent ihrer Belegschaft abbauen müssen, dann müssten zwei Drittel der Mitarbeiter nach Hause geschickt werden“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Fratzscher reagierte auf lauter werdende Rufe einiger Autobauer und Politiker, die EU-Klimaauflagen zu lockern und zu verschieben. Das EU-weite Aus für fossil betriebene Autos sei aber „notwendig, um einen fairen Wettbewerb in Europa zu garantieren und den Unternehmen eine rechtzeitige Planung zu ermöglichen“, so der Ökonom. Die technologische Entwicklung gerade in China sei schon heute so weit, dass preiswerte E-Autos mit langen Reichweiten angeboten werden. Und in China sei das Fahren mit erneuerbarem Strom auch längst deutlich preiswerter als mit Sprit.

„Kurzum: Ein sauberer und preiswerter Antrieb ersetzt eine klimaschädliche und teure Technologie“, lautet Fratzschers Resümee. „Ja, der Umstieg ist ein gewaltiger Kraftakt, der Zeit benötigt, auch für den Aufbau der Ladeinfrastruktur und so weiter. Aber jede weitere Verzögerung wäre katastrophal.“

Manfred Weber will Regeln für Autoindustrie lockern

In Brüssel sieht das nicht jeder so. Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) Manfred Weber fordert derweil, drohende Strafzahlungen von Autobauern bei den geplanten strengeren Flottenvorgaben beim CO₂-Ausstoß auszusetzen. „Wenn zehntausende von Arbeitsplätzen wackeln, dann ist keine Zeit für Bußgeldzahlungen“, sagte Weber der „Augsburger Allgemeinen“.

Der Chef der größten Fraktion im Europaparlament und CSU-Vize forderte zudem, alle EU-Vorgaben für die Automobilindustrie auf den Prüfstand zu stellen. „Wir brauchen eine Generalrevision aller Gesetze und Vorschriften für die Autoindustrie“, sagte Weber. „Anders wird es uns nicht gelingen, diesen so wichtigen Industriezweig zukunftsfähig zu machen und Arbeitsplätze zu sichern.“

Massenhersteller wie Volkswagen oder Renault bräuchten eine klare Perspektive, mahnte der Europapolitiker. Es könne sein, dass auch manche Umweltstandards hinterfragt würden, die über das Ziel hinausschössen, fügte er hinzu.

Die EU will die sogenannten Flottenziele für den Ausstoß klimaschädlichen Kohlendioxids (CO₂) schrittweise verschärfen. Der aktuelle Wert von durchschnittlich 115,1 Gramm CO₂-Ausstoß pro Kilometer und Fahrzeug soll demnach 2025 auf 93,6 Gramm und im Jahr 2030 auf 49,5 Gramm sinken. Bei zu viel ausgestoßenen CO₂ drohen den Herstellern Strafzahlungen.

Die Branche fürchtet angesichts der gesunkenen Nachfrage nach Elektroautos zusätzliche Milliardenbelastungen. So hatte jüngst VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch gefordert, die CO₂-Flottenziele zu lockern.

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