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Elektroautos: Sollen wir 2025 schon aufgeben?

In der Autoindustrie ist Krise. Reflexhaft fordern deswegen manche Manager, die CO₂-Ziele für Neuwagen zu kippen. Dabei könnten sie 2025 den Durchbruch zu bezahlbarer E-Mobilität bringen.

elektroautos: sollen wir 2025 schon aufgeben?

Am Montag ist mal wieder Autogipfel. Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck lädt die Chefs von Pkw-Herstellern und -Zulieferern zu Gesprächen. Danach, so heißt es, könnten weitere Hilfen angekündigt werden. So wie die großzügigen neuen Subventionen: günstige Besteuerung von Elektro-Dienstwagen bis zu 95.000 Euro Listenpreis und Sonderabschreibungen für Firmenwagen. Der grüne Minister bekennt sich zu seiner Rolle als Nachfrage-Pusher für die Autoindustrie: »Ich fühle mich schon in einer Verpflichtung, dass der Markt jetzt wieder anzieht«, sagte er am Freitag im VW-Werk Emden.

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Noch vor Kurzem wirkte Deutschlands Vorzeigeindustrie Nummer eins alles andere als hilfsbedürftig. Der Nettogewinn des Volkswagen-Konzerns für 2023: 17,9 Milliarden Euro. Mercedes-Benz: 14,5 Milliarden. BMW: 12,2 Milliarden. Nun aber warnen und klagen alle drei Hersteller, dass sie nicht mehr so profitabel wirtschaften können. Bei der Kernmarke VW gleicht die Stimmung nach der Kündigung von Werks- und Jobgarantien einer Existenzkrise. Tatsächlich verkaufen die Hersteller deutlich weniger Autos als früher; in Europa lahmt der Verkauf schon seit Jahren, im Vergleich zu 2023 kommt noch ein spürbarer Einbruch der im Vorjahr florierenden Elektroautoverkäufe vor allem in Deutschland hinzu.

Viel bedrohlicher aber ist für die Konzerne, wie schnell sich der wichtigste Markt China von ihren Verbrennern abwendet. Offiziell strebt die Regierung in Peking für kommendes Jahr 20 Prozent Marktanteil für »New Energy Vehicles« an – Elektroautos oder die Mischform Plug-in-Hybrid; dieses Geschäft dominieren chinesische Hersteller. Auf diesen sanften Übergang dürften auch die deutschen Industriebosse gewettet haben. Allerdings ist die New-Energy-Vehicle-Quote schon in diesem Juli und August auf 50 Prozent gestiegen. Eine gute Nachricht für alle Gegner fossiler Technologien; eine Hiobsbotschaft für alle, deren Verdienst daran hängt.

Für manche gilt auch beides, und das sorgt für Verwirrung. Seinen Zwiespalt offenbarte Hans Dieter Pötsch, der als Vertreter der Hauptaktionärsfamilien Porsche/Piëch den Aufsichtsrat von Volkswagen führt, auf den Wiener Elektrotagen: Die E-Mobilität werde sich durchsetzen, einerseits – klar, sonst wären die vom Konzern in die Technik gesteckten zig Milliarden ja perdu. Andererseits werde man dafür mehr Zeit brauchen; Zeit, in der sich mit einem stärkeren Verkauf der alten Verbrennertechnik noch gutes Geld verdienen ließe, weil man da kaum noch investieren muss.

»Klarheit und Verlässlichkeit« – oder was?

Pötsch forderte »Klarheit und Verlässlichkeit«. Konkret hat er die CO₂-Flottenziele der Europäischen Union im Visier, die den Herstellern Vorgaben zu den Emissionswerten ihrer Neuwagen machen und als wichtigste Leitlinie für die Dekarbonisierung des Pkw-Verkehrs gelten. Pötsch stört sich nicht nur am Flottenziel null für 2035, um das unter dem Namen »Verbrenner-Aus« schon lange heftige Lobbyschlachten toben. Sondern auch am Zwischenziel für 2030, das bereits auf mehrheitlich E-Antriebe hinausläuft. Selbst die eher milde Vorgabe ab 2025 sollte »adjustiert« werden, so der Volkswagen-Aufsichtsratsboss. Inzwischen kursiert in Brüssel ein Brief mit derselben Forderung, zu dem sich die Autolobby nicht offiziell bekennt, der aber aus ihren Kreisen stammen soll. Der deutsche Industrieverband VDA und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) äußern sich offen zustimmend. Man könnte all diese Forderungen auch als Renditeschongang bezeichnen.

Aber werden die Regeln, die vor fünf Jahren beschlossen wurden, wirklich drei Monate von Inkrafttreten gekippt, weil sie den Konzernen gerade ungelegen kommen? Trotz mächtiger Fürsprache steht dem einiges entgegen. Politisch wäre es mindestens kompliziert, die Regierungen der EU-Staaten und das Europaparlament für das Abräumen zu gewinnen, immerhin wurde das Regelwerk mühsam ausgehandelt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen würde damit Glaubwürdigkeit einbüßen. Sie will zwar in ihrer zweiten Amtszeit Klimaambition nicht mehr ganz nach oben stellen, aber auch nicht komplett über Bord werfen. Auch aus der Branche selbst kommen Gegenstimmen. Carlos Tavares, der mit dem Stellantis-Konzern den größten Wettbewerber von Volkswagen führt, nannte die Idee »surreal«: Jeder habe genug Zeit gehabt, sich auf die CO₂-Ziele einzustellen und danach zu handeln.

Die meisten Autohersteller, schätzen Experten, haben von den Vorgaben für 2025 nichts zu befürchten. Volkswagen allerdings drohten etwa vier Milliarden Euro Bußgeld – aber unter der Annahme, dass der Konzern genauso CO₂-lastige Autos verkauft wie im ersten Halbjahr dieses Jahres.

Die Briten machen es vor

Dass strengere Flottenziele wirken, ist längst erwiesen. Klar: Die Kunden entscheiden, welche Autos sie kaufen. Aber die Unternehmen entscheiden, welche Modelle sie zu welchem Preis anbieten und bewerben. Die Aussicht auf drohende Bußgelder war ihnen bisher ein starker Ansporn, eher Fahrzeuge mit niedrigeren Emissionen schmackhaft zu machen. Bisher haben sämtliche Autohersteller ihre Flottenziele mindestens punktgenau eingehalten, auch wenn oft die Angst vor einem teuren Verfehlen der Ziele umging.

Aktuell ist das in Großbritannien zu beobachten, wo es ähnliche Flottenziele wie in der EU gibt, die dort aber jedes Jahr statt nur alle fünf Jahre angepasst werden. Schon in diesem Jahr müssen dort rechnerisch 22 Prozent der Neuwagen vollelektrisch fahren. Vorab war das Gejammer groß, doch jetzt scheinen alle Hersteller auf Kurs. Um etwas nachzuhelfen, bietet Stellantis mit dem Vauxhall Frontera nun ein Batteriemodell zum selben Preis wie die Verbrennerversion. Es ist für Europa eine Neuheit, dass der Elektro-Aufpreis wegfällt, und das dürfte auch den Flottenzielen zu verdanken sein.

So könnte es auch auf dem Kontinent laufen, wenn das 2025er-Ziel bleibt, wie es ist. Die Umweltorganisation »Transport & Environment« hält für das realistischste Szenario, dass auch im kommenden Jahr alle Autokonzerne ein EU-Bußgeld vermeiden, indem sie stärker auf E-Autos oder zumindest Hybride setzen. Eine große Rolle werde dabei spielen, dass nun endlich eine Anzahl hochwertiger E-Autos für unter 25.000 Euro auf den Markt kommt. Dann würde die geschmähte Klimapolitik den Durchbruch für bezahlbare Elektromobilität bringen, die dann wohl auch nicht mehr so unbeliebt wäre. Allerdings würde das die Autoaktionäre einiges an Rendite kosten. Aber da müssen sie dann durch.

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Redakteur Mobilität

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