Polestar

Freitag Special: wir fahren den rätselhaften Polestar 4

Hand aufs Herz: als der Polestar 4 angekündigt wurde, haben Sie auch gedacht, dass der über dem kurz vorher vorgestellten Polestar 3 rangiert? Weit gefehlt. Der Vierer wäre eigentlich zwischen dem Zweier und dem Dreier einzuordnen. Da wären wir beim ersten Rätsel angekommen.

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Sieht eigentlich eher wie eine Limousine aus, ist aber als „SUV-Coupé“ klassifiziert: der Polestar 4 Long Range Dual Motor.

Ein verkappter Zeekr 001?

Der Polestar 4 ist zwar nach dem Dreier angekündigt worden, ist aber erheblich günstiger. Das ist nur auf den ersten Blick rätselhaft, denn tatsächlich basiert der Polestar 4 auf der gleichen Geely-Plattform, wie der Zeekr 001. Womit auch erklärt wäre, warum der Polestar 4 immer noch auf einer 400-Volt-Architektur aufbaut. Das ist beileibe nichts schlechtes, denn auch die Geely SEA1 Fahrzeugplattform hat so ihre Vorteile. Da wäre zum Beispiel die 200 kW-Spitzenladeleistung, die hier vorliegt. Im Schnitt sinkt die allerdings bei 10–80% SoC auf 135 kW. Das ist ein ordentlicher, aber kaum herausragender Wert in dieser Klasse. Rätselhaft ist in der Tat aber, dass der Polestar 3 die SPA2-Architektur benutzt, die man sich mit Volvos EX90 teilt. Damit fahren alle drei Polestar auf drei unterschiedlichen Elektroplattformen herum.

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Aufgeräumter Arbeitsplatz. Für Lautstärke/Pause gibts einen „echten“ Regler. Die Mittelkonsole wirkt von den Materialien nicht ganz so hochwertig.

Von welcher Klasse sprechen wir überhaupt?

Da kommt schon das nächste Rätsel. Mit einer Länge von 4.839 mm ist der Polestar 4 etwas großzügiger als ein BMW i4 (4.783 mm) und etwas kleiner als ein BMW i5 (5.060 mm). Er liegt dazwischen. Und er will keine Elektrolimousine sein. Polestar selbst definiert den limousinenhaften Stromer als 5-sitziges SUV Coupé im D-Segment. Zugegeben: er sieht schon mal cooler aus, als ein BMW X6 (und mehr Platz hat er auch – dazu später mehr). Der Radstand ist mit knapp 3 Metern indes äußerst großzügig bemessen, da kommt nicht mal der größere BMW i5 mit. Faktisch wird hier bereits das Innenraum-Rätsel gelöst: der Vierer hat hier tatsächlich herausragende Platzverhältnisse.

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Der Polestar 4 teilt sich mit dem Zeekr 001 die Geely Elektroplattform SEA1. Die Dual Motor-Version ist der am schnellsten beschleunigende Polestar derzeit. (Klick aufs Bild öffnet PDF)

Der schnellste Polestar – bislang

Während der mindestens 78.590 Euro teure Polestar 3 in der Einstiegsversion (Long Range Single Motor) 7,8 Sekunden für den Spurt von 0 auf 100 benötigt, braucht der kleinste Vierer (Long Range Single Motor) dafür gerade mal 7,1 Sekunden. Und mit 61.900 Euro ist er auch noch fast 17.000 Euro günstiger. Ist er deshalb auch um den Preis eines kompakten Verbrenners schlechter? Da kommt das nächste Rätsel. Nein. Zwar fährt sich der Vierer nicht ganz so souverän wie das Premium-SUV Polestar 3, aber mit der Long Range Dual Motor Version bekommt man den schnellsten Polestar bislang: Nur 3,8 Sekunden braucht der 2.430 kg schwere Stromer für den Spurt von 0 auf 100 km. Der Polestar 2 Dual Motor Performance- benötigt hier über 4 Sekunden. Der Testverbrauch lag im erwarteten Rahmen, selbst bei Autobahngeschwindigkeit und Vollgas schlug der Stromer nicht über die Stränge. Ein Verbrauch von um die 20 kWh ist also durchaus machbar, ohne dabei zu schleichen. Werte darunter bei normaler Landstraßenfahrt kein Hexenwerk.

Wie schlägt er sich denn im internen Wettbewerb?

Verglichen mit dem Polestar 3 SUV ist die Performance-Version des Vierers nur unmerklich unkultivierter. Die Kraftentfaltung ist aber brachialer, das Fahrwerk in der Sporteinstellung härter und stuckeriger und die Außengeräusche subjektiv lauter. Ist das schlecht? Kommt auf die eigenen Präferenzen an. Denn die 517 PS des Polestar 3 sind auch nicht gerade von schlechten Eltern. Mit 544 PS setzt der Vier allerdings noch eine gehörige Schippe drauf, und das spürt man vor allem wegen des 200 kg geringeren Leergewichts. Wer nun allerdings glaubt, dass sich der Vierer in Kurven „leichter“ verhält, den müssen wir enttäuschen. Er drückt in engagiert gefahrenem Geläuf spürbar nach aussen, fast so, wie seinerzeit der erste Audi e-tron von vor 4 Jahren. Rätselhaft.

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Platzverhältnisse hinten wenn der Vordersitz für eine 190cm große Person eingestellt ist. Links: Person mit 179 cm, rechts mit 190 cm.

Interieur und Infotainment

Das Interieur des Polestar 4 hat nicht die gleiche Premium-Anmutung, wie die des Dreiers. Das würde man bei dem Preisunterschied auch nicht erwarten. Bei den Performance-Versionen liegt der bei immerhin 22.290 Euro. Der Dreier zeigt hier eindeutig die höher wertige Materialanmutung. Zudem ist die Mittelkonsole im Vierer etwas wuchtig und besteht darüber hinaus aus schnödem Kunststoff der aber gut aussieht. Für das Smartphone gibt es nur eine drahtlose Lademöglichkeit, der Einschub dafür geht schräg nach unten. Das ist auch nötig. Denn wenn man die Beschleunigung auskostet, kommt einem das Smartphone direkt entgegen geflogen, wenn es in einer rutschigeren Hülle steckt.

Mit optionalem HUD, kleinem Display hinter dem Lenkrad und einem 15,4″ Querformat-Touchscreen in der Mitte ist man allerdings bestens ausgerüstet. Die Optionen sind überschaubar und in Paketen zusammengefasst. Die Massagesitze, HUD, elektrische Heckklappe mit Fußsensor, Harman-Kardon Soundanlage etc. sind beispielsweise im „Plus-Paket“ (+5.500 Euro) enthalten. Glasdach haben sie übrigens alle serienmäßig und im Unterschied zum Performance-Paket des Polestar 2 ist im Performance-Paket des Vierers keine Leistungssteigerung inbegriffen. Aber die (siehe oben) benötigt man eigentlich nicht.

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Die Rücksitzlehnen lassen sich elektrisch verstellen (Plus-Paket). Das Display hinten (Plus-Paket) ist für die Klasse etwas spartanisch. Die Rücksitze sind sehr gut ausgeformt. Links unten: Minifrunk mit 15 Litern.

Responsives Infotainment und gutes ADAS von Mobileye

Das Android-basierende Betriebssystem gibt, wie bei den anderen Polestar-Modellen keine Rätsel auf, ist übersichtlich gestaltet und im Großen und Ganzen vereinheitlicht. Natürlich gibt es den einen oder anderen Bedienungs-Unterschied. Im ADAS von Mobileye (2 x Mobileye EyeQ5H Chips) sind die „üblichen Verdächtigen“ vorhanden, aber zusätzlich ein weiteres rätselhaftes Verhalten: Wer den adaptiven Tempomat aktiviert hat und auf der Autobahn auf der linken Spur in eine Kurve geht, muss mit Phantomabbremsungen rechnen, weil die Sensorik glaubt, dass die langsameren Fahrzeuge auf der rechten Spur im Weg seien. Polestar hat bereits reagiert und will das Problem mit dem nächsten OTA-Update beseitigen. Lästig ist es allerdings schon. Apropos Autobahn: laut Tacho regelt der Polestar 4 bei 206 km/h ab. Die Topspeed wird dank der Leistung flott erreicht. Natürlich sind drahtloses AppleCarPlay und Android Auto mit an Bord. Und einen Appstore gibts natürlich auch.

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Kopffreiheit bei einer Person über 190 cm ist minimal. Dank Verstellmöglichkeit der Rückenlehne lässt sich das etwas kompensieren.

Sitze und Platzverhältnisse

Die Sitze geben guten Seitenhalt, die Platzverhältnisse hinten sind großzügig. Wer mit 190 cm Größe den Beifahrersitz auf eine angenehme Stellung setzt, der hat hinten immer noch massig Platz. Für die größeren Passagiere gibt die Kopffreiheit Anlass zur Sorge. Das nivelliert sich allerdings, wenn man auf den Rücksitzen die Lehnen (natürlich elektrisch!) einstellt. Dann stößt man mit dem Kopf an den Polsterungen an, die sich da befinden, wo man ein Heckfenster vermuten würde – das ist allerdings überraschenderweise nicht vorhanden.

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Der „elektronische“ Rückspiegel: für Brilleträger eher suboptimal. Aber auch „Normalsichtige“ fremdeln zunächst mit der Monitor-Rückspiegel.

Das fehlende Heckfenster

Womit wir beim nächsten Rätsel wären: warum hat man auf das Heckfenster verzichtet? Schwer zu sagen. Mit den Platzverhältnissen hat das eigentlich nicht viel zu tun. Und theoretisch hätte man eine „Schiessscharte“ unterbringen können. Da man aber darauf verzichtete, ist auch der Rückspiegel etwas ganz Besonderes. Ein Monitor. Und das ist für viele gewöhnungsbedürftig. Denn der Monitor-Rückspiegel hat zwei ganz eklatante Nachteile: einmal für Brillenträger. Für Weitsichtige ist er nicht weit genug entfernt um ein scharfes Bild zu zeigen. Man muss also (wie der Autor des Berichts) über den Rand der Brille schielen. Und dann springt das Monitor-Bild bisweilen, wenn man beispielsweise auf der Autobahn einen Spurwechsel vollzieht. Wir finden die Lösung ziemlich suboptimal.

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Die Platzverhältnisse im Kofferraum sind gut, wenn die Rücksitze umgeklappt sind stehen 1.551 Liter zur Verfügung. Zudem gibts drunter noch ein kleines Fach für einen Minikoffer.

Fazit:

Der Polestar 4 in der Dual Motor-Variante ist ein potentes Elektroauto, das sein Gewicht allerdings nicht verhehlen kann. Das Fahrwerk lässt sich auch schlechten Straßen anpassen und gibt dann ausreichenden Komfort wider. Allerdings fährt der Polestar 3 hier sanfter über Schlaglöcher und miese deutsche Straßen. Die Platzverhältnisse sind mehr als üppig, was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass das Auto von Anfang an als reiner Stromer konzipiert wurde. Der Kofferraum hat zwischen 541 und 1.551 Liter Fassungsvermögen. Der Frunk putzige 15 Liter. Mit der 94,0 kWh-Batterie sind Reichweiten um die 450 Kilometer möglich, bei zurückhaltender Fahrweise auch mehr.

Der Preis ist angemessen, mit dem optionalen Plus-Paket bekommt man eine Menge sinndvoller Extras, wie beispielsweise heizbare Rücksitze und Lenkrad und vollelektrische Vordersitze sowie 22 kW-AC-Laden. Ein Massenprodukt wie es in den Hochzeiten des Autoabsatzes eine Mercedes-Benz E-Klasse oder 5er-BMW war, wird der Polestar 4 deshalb nicht werden. Sein Preis/Gegenwert ist allerdings vergleichsweise hoch. Im Vergleich zu deutschen Premiummarken wird hier eine Menge Elektroauto fürs Geld geboten.

Bis zum 15.11. 4.000 Euro sparen

Und nun kommts es noch dicker: Wer bis zum 15.11.2024 einen Polestar 4 in Deutschland bestellt, der bekommt einen Sofortrabatt von 4.000 Euro Brutto. Da wäre der Aufpreis für das „Plus-Paket“ schon fast wieder drin. Das ist nun wieder überhaupt nicht rätselhaft.

Bericht: Bernd Maier-Leppla
Fotos: Polestar, Walter Vogg, Bernd Maier-Leppla

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