Was der EX90 für Volvo, ist der „Dreier“ für Polestar: das neue Flaggschiff der Marke. Die Stromer haben viel gemeinsam – aber nicht alles.
- Dreier rangiert über dem Vierer
- Polestar strebt in die Luxusklasse
- Leichtfüßig über die Landstraßen
- 250 kW Ladeleistung müssen erst mal reichen
Mit Logik hat das nichts zu tun. Bei den meisten Autoherstellern gibt die Modellbezeichnung einen Hinweis, an welcher Stelle an der Wertschöpfung das Fahrzeug steht. Bei Audi steht der A1 am Anfang der Nahrungskette, der A8 für das Höchste der Gefühle. Ähnlich wie bei BMW: Der Dreier rangiert unter dem Fünfer, der Vierer klar unter dem Siebener.
Bei Polestar richtet sich die Hackordnung hingegen nach dem Datum der Modelleinführung. Oder besser gesagt am Zeitpunkt, an dem die Arbeiten am jeweiligen Modell begannen. Die Größe des Modells, die Antriebskraft oder der Stellenwert in der Preisliste sind für die Nomenklatur hingegen nachrangig.
Gipfelstürmer Der Polestar 3 setzt sich optisch deutlich von seinem Schwestermodell EX90 von Volvo ab. Auch die Antriebscharakteristik und das Fahrverhalten sind anders, deutlich dynamischer und leichtfüßiger – dem Markenimage entsprechend. Foto: Rother
Dreier rangiert über dem Vierer
Der Polestar 4, der bei uns im Juli auf den Markt kam, rangiert preislich deutlich über dem „Zweier“ – aber auch erkennbar unter dem „Dreier“, dem jüngsten Spross der Marke und neuem Flaggschiff der Volvo-Schwester. Wobei wiederum der „Vierer“ in der Topausführung mit einer Antriebsleistung von 400 kW noch einen Tick stärker ist als das Spitzenmodell des Polestar 3: Die sogenannte Performance-Version bringt hier lediglich 380 kW oder 517 PS auf die Straße. Das verstehe, wer will. In den Verkaufsgesprächen dürfte das noch für einige Konfusionen sorgen.
Fullsize-SUV Mit einer Länge von 4,90 Metern ist der fünfsitzige Polestar 3 etwas kürzer als der Volvo EX90, den es auch mit drei Sitzreihen gibt. Trotzdem ist auch er eine stattliche Erscheinung mit einem großzügigen Raumangebot. Foto: Polestar
Wir sind beide neuen Modelle gefahren in den jeweiligen Topversionen gefahren. Und kürzlich auch das Schwestermodell von Volvo. Der erste Eindruck: Mit den beiden Neulingen, die aufgrund von Verzögerungen bei der Softwareentwicklung beinahe zeitgleich auf den Markt kommen, macht Polestar einen großen Sprung nach vorne, tritt der „Polarstern“ aus dem Schatten des Schwesterplaneten heraus. Optisch wie auch technisch. Dazu später mehr. Auch weil wir uns hier erst einmal mit dem Polestar 3 beschäftigen wollen, dem Schwestermodell des Volvo EX90, der wie dieses aus den USA zu uns kommt. Etwaige Preiserhöhungen aufgrund von EU-Strafzöllen gegen China-Importe sind deshalb bei dem Modell nicht zu befürchten.
Polestar strebt in die Luxusklasse
Information overkill Auf einem großen Zentraldisplay über der Mittelkonsole, einem kleinen hinter dem Lenkrad sowie einem Head-up-Display liefert der Polestar 3 mehr Informationen als der Fahrer eigentlich braucht. Die Bedienerführung ist allerdings gut.
Wer mit einer Akkuladung weiter kommen will, ist mit dem Hecktriebler besser bedient: Der schafft nach der WLTP-Verbrauchsnorm 650 Kilometer in einem Rutsch. Das sind 70 Kilometer mehr als die Basisversion des Volvo EX90 schafft (580 Kilometer). Allerdings muss der sich auch mit einer etwas kleineren Batterie begnügen, die lediglich 101 kWh fasst – beim Polestar haben alle Modelle unabhängig von der Antriebsleistung und Ausführung ein 111 kWh großes Akkupaket an Bord. Reichweitenangst braucht demzufolge hier niemand mehr zu haben.
Leichtfüßig über die Landstraßen
Und obwohl beide Fahrzeuge die gleiche Plattform nutzen und aus der gleichen Fabrik mit vielen Gleichteilen rollen, gibt es doch einige Unterschiede zwischen den beiden Schwestermodellen, die mit Längen von 4,90 Meter (Polestar 3) und 5,04 Metern (Volvo EX90) der Kategorie der Fullsize-SUVs zuzurechnen sind. Der Volvo EX90 ist als Familienmodell konzipiert und deshalb auch mit sieben Sitzen erhältlich. Der Polestar 3 hingegen als Familiensportler, mit maximal fünf Sitzen und einer spürbar dynamischeren Abstimmung von Fahrwerk und Lenkung. Bei unserer Testfahrt durch die Voralpen spielte er seine Stärken vor allem bei Überholmanövern auf der Landstraße und in den Bergauf-Passagen eindrucksvoll aus. Auch noch leichtfüßiger als seine Volvo-Schwester, die sich allerdings auch mit einigen Zentnern mehr (2590 statt 2422 Kilogramm) herumschleppen muss.
Hier gibt’s aufs Ohr Mit 25 Lautsprechern verwandelt das Soundsystem von Bowers & Wilkins den Polestar 3 in einen rollenden Konzertsaal.
Trotz seiner relativ hohen Gewichts überraschte der Polestar 3 dabei mit einem erfreulich niedrigen Stromverbrauchs um die 22 kWh/100 Kilometer. Allerdings ließen wir es auf der Autobahn-Passage auch bei umwelt- wie sozialverträglichen 120 km/h bewenden. Wer häufiger die Höchstgeschwindigkeit von 210 km/h antestet und meint, mit Geschwindigkeiten über 160 km/h deutlich schneller am Ziel zu sein, sollte sich aber auf Durchschnittsverbräuche über 30 kWh und mehr einrichten, mahnte Polestar-Technikvorstand Lutz Stiegler. Die Gesetze der Physik lassen sich eben nicht so leicht aushebeln.
250 kW Ladeleistung müssen erst mal reichen
Das gilt auch für das Ladeverhalten. Die Geely-Töchter haben sich darauf verständigt, ihre neuen Modellen vorerst weiterhin mit einem 400-Volt-Bordnetz auszustatten. Weniger aus Kostengründen denn mit Blick auf Möglichkeit zum bidirektionalen Laden. Mit 250 kW hat man trotzdem eine ganz ordentliche Ladeleistung hinbekommen: Der große Akku soll am mit Gleichstrom betriebenen Schnelllader spätestens nach 30 Minuten wieder zu 80 Prozent gefüllt sein. An der mit Wechselstrom betriebenen Wallbox braucht es aufgrund einer maximal Ladeleistung von 11 kW fast einen halben Tag, bis der Stromspeicher wieder zu 100 Prozent gefüllt ist – da hätten wir uns eine schnellere Lösung mit 22 kW gewünscht. In der Aufpreisliste ist dies aber vorerst nicht vorgesehen.
Auf 4 folgt 3 Die Polestar-Nomenklatur könnte einige Verwirrung stiften: Der Polestar 3 rangiert über dem SUV-Coupé mit der Nummer 4.
Gedulden muss sich auch, wer beim teilautonomen Fahren über die Autobahn gerne Unterstützung durch ein LiDAR-System von Luminar hätte: Das 5000 Euro teure „Pilot“-Paket (das neben der Lasertechnik auch noch weitere Kameras enthält) wird erst im Frühjahr kommenden Jahres verfügbar sein. Was allerdings auch seine Vorteile hat: Die LiDAR-typische „Warze“ oberhalb der Windschutzscheibe verunziert derzeit noch nicht die Dachlinie. Und ob das Fahrzeug damit auch hierzulande von Level 2 auf Level 3 des hochautomatisierten Fahrens hieven lässt, ist noch längst nicht ausgemacht.
Da ist das Geld schon besser in die (6000 Euro teure) Soundanlage von Bowers & Wilkins investiert, die das gemeinsam mit Qualcomm und NVIDIA entwickelte Infotainmentsystem krönt und den Polestar 3 in einen rollenden Konzertsaal verwandelt. Wir fangen schon mal an zu sparen: Aktuell betragen die Lieferzeiten für den Polestar 3 etwa vier Monate.