Polestar

Erste Testfahrt im Polestar 4: Fehlt da nicht was?

Der Polestar 4 ist ein vollelektrisches SUV-Coupé mit bis zu 544 PS Leistung, das sich eine Besonderheit leistet: Es hat keine Heckscheibe. Was das heißt, was das neue Elektroauto kann und was es bietet, haben wir bei unserem Erstkontakt in Erfahrung gebracht.

erste testfahrt im polestar 4: fehlt da nicht was?

Polestar 4: Normalerweise zeigen wir ein Auto zunächst von vorn. Die Heckansicht veranschaulicht aber, wie ein Pkw ohne Heckscheibe aussieht. Hersteller

Bei der Nomenklatur geht Polestar seinen eigenen Weg. Dass die Modelle durchnummeriert werden und nicht auf phantasievollen Namen hören, kennt man zwar von anderen Herstellern. Doch während die Ziffernfolge normalerweise mit der Modellgröße ansteigt, ist bei Polestar das Erscheinungsdatum ausschlaggebend. Nach dem (inzwischen ausgemusterten) Debütanten Polestar 1 kam also die kleinere Limousine Polestar 2, danach das XL-SUV Polestar 3 und erst nach diesem der sechs Zentimeter kürzere Polestar 4. So war zumindest der Plan, denn Software-Probleme haben den 3er-Start verzögert, so dass er schlussendlich fast zeitgleich mit dem 4er auf den Markt kam.

Kein Platz für Bling-Bling

Wie alle Polestars fährt auch Nummer 4 vollelektrisch. Der scheidende CEO Thomas Ingenlath, der im Oktober 2024 von Ex-Opel-Chef Michael Lohscheller abgelöst wird, feiert das Konzept als “einen grundlegend neuen Ansatz für SUV-Coupés”. 4,84 Meter ist der 4er lang (und damit in einer ähnlichen Liga wie Tesla Model Y, Kia EV6 oder Hyundai Ioniq 6 unterwegs), gut zwei Meter breit, aber nur 1,53 hoch, daraus ergibt sich ein sportlich-flaches Erscheinungsbild von aerodynamischem Zuschnitt. Dass kein überflüssiges Bling-Bling die elegant reduzierte Klarheit der Karosserie torpediert, ist auf den skandinavischen Teil der Polestar-DNA zurückzuführen, denn die Marke gehört zwar mehrheitlich der chinesischen Geely-Holding, doch zu 18 Prozent auch deren schwedischer Tochter Volvo.

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Anders als der Polestar 3 – unseren ersten Test lesen Sie hier – nutzt der 4er aber keine Volvo-Plattform, sondern baut auf der flexiblen “Premium Sustainable Experience Architecture” (SEA) von Geely auf. Gebaut wird das SUV-Coupé zunächst nur in China, ab 2025 aber auch in Südkorea, das löst das Problem von Einfuhrzöllen, die etwa die USA, Kanada und wohl bald auch die EU auf chinesische Elektroautos erheben.

Elektroauto ohne Heckscheibe

Dass das serienmäßige Glasdach bis weit nach hinten reicht, kaschiert zunächst den Umstand, dass der Polestar 4 keine Heckscheibe besitzt. Bei einem Coupé sei sie ohnehin sehr schmal, heißt es zur Begründung, zum Wohle des Designs könne man sie sich da gleich sparen. Die Eigenwilligkeit fällt erst dann so richtig auf, wenn man direkt hinter dem Fahrzeug steht beziehungsweise fährt. Und sie hat zur Folge, dass ein klassischer Rückspiegel nur eine komplett blickdichte Perspektive aufzeigen würde. Deshalb muss es eine digitale Lösung richten, die ihre Bilder von einer Kamera auf dem Autodach bezieht.

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Wir fanden das Ergebnis nur mittelgut. “Spätestens nach dem zweiten Tag hat man sich daran gewöhnt”, versichert Polestar-Technikvorstand Lutz Stiegler zwar. Bezweifelt werden darf aber, dass diesen Effekt auch die Träger von Gleitsichtbrillen erleben, denn sie müssen ihren Kopf stets etwas nach hinten strecken, um ein geschärftes Bild zu erhalten. Das ist erstens unkomfortabel und zweitens der Sicherheit nicht gerade zuträglich. Gut aber: Um, beispielsweise, Augenkontakt zu Kindern auf der Rückbank aufzunehmen, kann die digitale Übertragung deaktiviert werden. Und beim Rückwärtsfahren bremst der Querverkehrswarner im wahrsten Sinne des Wortes Gefahrenmomente aus.

Der Polestar 4 wird in zwei Antriebsvarianten angeboten, die jeweils eine große Lithium-Ionen-Batterie mit 100 kWh Bruttokapazität nutzen. Während im heckgetriebenen Basismodell “Long Range Single Motor” ein Elektromotor mit 200 kW/272 und 343 Newtonmetern Drehmoment verbaut ist, kommt im “Long Range Dual Motor” ein zweiter an der Vorderachse hinzu, insgesamt ergeben sich 400 kW/544 PS sowie 686 Newtonmeter und es werden alle vier Räder angetrieben. Dank einer Trennkupplung kann das Fahrzeug den vorderen E-Motor aber im Sinne der Effizienz auch entkoppeln, wenn er nicht gebraucht wird.

Über 600 Kilometer Reichweite

Bei der Topspeed – 200 km/h – liegen beide Versionen gleichauf. Die Single-Motor-Ausführung beschleunigt aber in 7,1 Sekunden von 0 auf 100 km/h, die Dual-Motor-Variante hingegen benötigt dazu nur 3,8 Sekunden. Dafür hat der einmotorige 4er bei der Reichweite die Nase vorn: Laut WLTP-Norm sind bis zu 620 Kilometer möglich, der doppelt motorisierte belässt es bei – freilich immer noch sehr üppigen – 590 Kilometern.

Dient auch als Zugpferd

Nicht unerwähnt lassen wollen wir auch die Anhängelast: Der “Single Motor” kann bis zu 1500 Kilogramm auf den Haken nehmen, der “Dual Motor” maximal 2000.

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Wir erkunden den Innenraum. Erste Erkenntnis: Das Raumangebot ist buchstäblich großartig, auch für die Hinterbänkler, deren Sitzmöbel eine elektrische Lehnenverstellung aufweist. Die zweite: Das Ambiente erfüllt Premiumansprüche, die Auswahl der Farben und der vielen Recyclingmaterialien zeugt von stilsicherem, skandinavisch inspiriertem Geschmack. Dazu gehört – Erkenntnis Nummer drei – auch ein Sinn für reduzierten Minimalimus, der das Bedienkonzept mit einschließt. Auf ein Head-up-Display – übrigens mit Schneemodus-Funktion, welche die Textfarbe von weiß auf gelb schaltet – verzichtet der Polestar 4 zwar ebensowenig wie auf ein digitales Fahrerinstrument, das Informationen zu Geschwindigkeit, Batterie und Reichweite liefert. Im Mittelpunkt steht aber der große, querformatige 15,4-Zoll-Zentralbildschirm, über den nicht nur das reaktionsschnelle Infotainment mit Google-Software angesteuert wird, sondern der auch die Bühne für praktisch alle weiteren Funktionen ist, bis hin zur Einstellung von Rekuperation, Lenkrad und Außenspiegeln.

Hohe Trefferquote

Eine solch konsequente Digitalisierung mögen wir eigentlich nicht leiden. Doch wie sie der Polestar 4 umsetzt, hat uns tatsächlich überzeugt. Erstens sind die Bedienfelder angenehm groß, was die Trefferquote erhöht. Und zweitens können auf dem Touchscreen etliche “Shortcuts” abgelegt werden, Direktzugriffe also, die das Irrlichtern durch Untermenüs ersparen. Das ist gut gemacht. Anders als beim Polestar 3 funktioniert Apple CarPlay jetzt schon, kabellos überdies. Und regelmäßige Updates “Over the Air” sorgen für stete Aktualisierung der Software.

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Auf zur ersten Testfahrt, die wir mit der 544 PS starken Dual-Motor-Variante angehen. Braucht man so viel Kraft? Tatsächlich würden wir eher die Reichweite auf unserer Prioritätenliste nach oben setzen und, stünden wir vor einer Kaufentscheidung, dem Single Motor den Vorzug geben. Beeindruckt waren wir dennoch von dem Beschleunigungs-Erlebnis, das der enorme und spontan einsetzende Elektro-Punch beschert, ferner von der agilen Behändigkeit, mit der Serpentinensträßchen – ganz nebenbei wogenfrei – durcheilt werden und von der souveränen Manier, mit der die semiaktive Federung den immerhin fast 2,4 Tonnen schweren Aufbau stützt. Sie bleibt allerdings dem Dual-Motor vorbehalten, im Basismodell mit Heckantrieb ist eine Stahlfederung verbaut.

Will nicht filmen

An elektrischen Fahrhelfern unterstützt so gut wie alles, was derzeit State of the Art ist, sie bedienen sich einer Armada von zwölf Kameras, einem Radar und zwölf Ultraschallsensoren, darunter befindet sich auch eine Fahrerüberwachungskamera, die Augen- und Kopfbewegungen des Menschen am Steuer überwacht, um Anzeichen von Müdigkeit oder Fahruntüchtigkeit beizeiten zu erkennen. Videos würden dabei nicht aufgezeichnet, betont Polestar, wahrscheinlich wohlwissend um das Misstrauen, das chinesischen Autos in puncto datensammlerischen Übereifers entgegenschlägt.

erste testfahrt im polestar 4: fehlt da nicht was?

Wie auch der Polestar 3 bietet der 4er kein 800-Volt-, sondern ein gängiges 400-Volt-Bordnetz, vorrangig, um im Rahmen einer Kooperation mit Tesla rabattierten Zugang zu dessen Supercharger-Netz anbieten zu können, wie Technikvorstand Lutz Stiegler erläutert. An der DC-Schnellladesäule wird Strom mit maximal 200 kW Energie gebunkert, von zehn auf 80 Prozent Batterieladestand soll es in einer halben Stunde gehen. AC-Laden an der Wallbox läuft mit bis zu 11 kW ab, den Akku komplett zu befüllen, dauert elf Stunden, fast einen halben Tag also. Eine Wärmepumpe gehört zur Serienausstattung.

Rabatt bis November

Auf dem chinesischen Heimatmarkt gibt es das Elektroauto ohne Heckfenster schon seit Ende letzten Jahres, in Deutschland wird es seit Mitte August 2024 ausgeliefert. Die Geschäfte von Polestar sind zuletzt nicht allzu gut gelaufen. Um den Verkaufszahlen den dringend benötigten Schub zu geben, wird die Kundschaft bis zum 15. November 2024 mit einem Einführungsrabatt zur Frühbucher-Bestellung animiert. Der Nachlass reduziert die Preise – Long Range Single Motor ab 61.900 Euro, Long Range Dual Motor ab 69.900 Euro – um jeweils 4000 Euro.

Ulla Ellmer

Polestar 4 in Kürze:

Wann er kommt: Marktstart ist bereits erfolgt

Wen er ins Visier nimmt: Tesla Model Y, Mercedes EQE SUV, BMW iX3, Audi Q6 e-tron, Kia EV6, Hyundai Ioniq 6

Was ihn antreibt: Den heckgetriebenen Long Range Single Motor ein Elektromotor mit 200 kW/272 PS, den allradgetriebenen Long Range Dual Motor zwei Elektromotoren mit einer Gesamtleistung von 400 kW/544 PS

Was er kostet: Long Range Single Motor ab 61.900 Euro, Long Range Dual Motor ab 69.900 Euro. Bis 15. November 2024 Einführungsrabatt in Höhe von 4000 Euro abzugsfähig

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