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Blume kassiert weitere Diess-Strategie - Die neue Software-Strategie von Volkswagen

Volkswagen arbeitet an einem zentralen Betriebssystem für alle Fahrzeuge des Konzerns. Herbert Diess versprach den Start für 2025, sein Nachfolger Oliver Blume schiebt das Projekt weit nach hinten. Und in der Zwischenzeit wird improvisiert. Auch mit Hilfe von Google.

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Blume kassiert weitere Diess-Strategie – Die neue Software-Strategie von Volkswagen

Es ist ein liebevoll gepflegtes Vorurteil, dass große Autohersteller keine Software können. Ob das wirklich so ist, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt auch bei Volkswagen nur schwer sagen. Weil der Riesen-Konzern gerade erst anfängt, in Sachen Software- und Elektronik-Kompetenz Fahrt aufzunehmen und damit exemplarisch für eine ganze Branche steht, die schlicht viel zu spät angefangen hat, das Thema Software in den Mittelpunkt der Entwicklungsarbeit zu stellen.

Fehler der Vergangenheit korrigieren

Bei Volkswagen geben sie sich inzwischen alle Mühe, diesen Fehler zu korrigieren. VW-Entwicklungschef Thomas Ulbrich wird nicht müde zu betonen, dass sich die VWs der Zukunft “… immer mehr über die Software definieren. Das wird der nächste Game-Changer!” Was er damit meint: Die künftigen VW-Modelle werden von innen nach außen entwickelt, die Entwickler befassen sich mit der Elektronik-Architektur, bevor sie die Hardware anpacken.

Cariad als Software-Tochter

Dreh- und Angelpunkt in Sachen Software ist im VW-Konzern das Tochterunternehmen Cariad, das im März 2021 aus der Car.Software-Organisation des Unternehmens hervorging. Die VW-Tochter trägt die Digitalisierung im Namen, Cariad setzt sich aus “CAR, I Am Digital” (Ich bin das digitale Auto) zusammen. Bei Cariad ist die gesamte Software-Entwicklung des Konzern konzentriert. Abgesehen von der Arbeit an bestehenden Systemen lag der Fokus bisher vor allem auf der Entwicklung des VW.OS, einem einheitlichen Betriebssystem für alle Konzern-Marken.

Das ist teuer und langwierig – letztlich musste Herbert Diess auch deshalb gehen, weil das Projekt keine Fahrt aufgenommen hat. Externe Berater hatten Anfang 2022 einen verheerenden Bericht vorgelegt, der die Vermutungen bestätigt. Der gesamte Komplex rund um das Thema Software 2.0 brauche erheblich mehr Zeit als gedacht und wird zudem deutlich teurer. Der neue Konzernchef Oliver Blume priorisiert um und schiebt das VW.OS samt dem Projekt Trinity, das die neue Software hätte einführen sollen, auf Ende des Jahrzehnts.

Zwei statt drei Betriebssystem-Versionen

Stattdessen soll sich die Software-Einheit Cariad darauf konzentrieren, die beiden anderen Plattformen schnellstmöglich auf Linie zu bringen und bis 2030 wettbewerbsfähig zu halten. Das klingt komplex und ist es auch. Eine Betriebssystem-Version (1.1) ist für die aktuellen und kommenden Elektroautos auf Basis des Elektro-Baukastens MEB. Eine weitere (1.2) für die kommenden Premium-Elektro-Autos von Porsche und Audi auf der PPE-Plattform (Porsche Macan EV, Audi Q6 E-Tron). Passend dazu verfügte Blume, dass dieses Betriebssystem unter dem Namen “Software Premium” laufen soll.

Alle MEB-Fahrzeuge: 1.1

Die Elektronik- und Software-Architektur der MEB-Autos, intern 1.1 genannt, wurde unter maximalem Zeitdruck entwickelt und war zum Modellstart des ID.3 Ende 2019 auch nur bedingt fertig. Das neueste Update auf die Version 3.1 kam “Over-the-Air” zunächst im ID.5 und danach bei allen anderen Modellen. Neben deutlichen Verbesserungen in Sachen Performance und Usability sind Plug and Charge und bidirektionales Laden im Funktionsumfang enthalten.

Von tiefgreifenden Updates aller Fahrzeugfunktionen, wie man sie zum Beispiel von Tesla seit Jahren kennt, ist das 1.1-System aber noch ein ganzes Stück entfernt. Das liegt vor allem daran, dass in den MEB-Autos noch eine sehr heterogene Software-Landschaft im Einsatz ist. Digitales Herzstück aller MEB-Fahrzeuge ist die so genannten End-to-End-Elektronik-Architektur (E3), die aus zwei vernetzten Hochleistungsrechnern (In Car Application Server = ICAS) besteht. Die Aufgaben, die ICAS1 (Fahrfunktionen) und ICAS3 (Infotainment und Konnektivität) übernehmen, sind in konventionellen Autos auf sehr viele kleinere Rechner verteilt, die Steuergeräte. Mit Blick auf ein einheitliches Betriebssystem erfüllt das System 1.1 aber nur die rudimentärsten Anforderungen: Anbindung an die Automotive-Cloud von Volkswagen und eben die Over-the-Air-Updatefähigkeit.

Premium ab 2023: 1.2

Das sieht bei der Version 1.2 (Software Premium) schon ganz anders aus, die ab 2023 in Fahrzeugen auf der PPE-Plattform (Premium Platform Electric) zum Einsatz kommen soll. Statt der beiden ICAS-Server basiert die Elektronik-Architektur auf fünf Hochleistungs-Rechnern (High Performance Computer = HPC), die alle Fahrzeugfunktionen, die Domänen, abdecken – vom Infotainment über die Fahrfunktionen bis zum autonomen Fahren. Seit der Vorstellung der neuen VW-Strategie “New Auto” im Juli 2021 ist auch klar, dass Volkswagen ab der Version 1.2 unter anderem auch Android Automotive einsetzen wird. Allerdings nicht als zentrales Betriebssystem fürs gesamte Auto. Auf Nachfrage von auto-motor-und-sport.de bestätigte Cariad, dass Android Automotive nur in den Infotainment-Bereichen zum Einsatz kommen wird. Den im Vergleich zur Version 1.1 größten Sprung wird es in Sachen Over-the-Air-Updates geben. Die PPE-Fahrzeuge (Porsche Macan EV und Audi Q6 E-Tron) werden deutlich umfangreicher updatefähig sein, vom Infotainment-System bis hin zum Fahrwerk.

Spannend ist vor allem der Einsatz von Android Automotive. Damit holen sich die Wolfsburger Google ins Haus. Und genau das wollten sie Volkswagen eigentlich bisher immer vermeiden, um die Daten der eigenen Nutzer nicht mit dem Suchmaschinen-Giganten teilen zu müssen. Das soll nach Auskunft von Volkswagen auch so bleiben. Auch, weil es Android Automotive ebenfalls als Open-Source-Version (ASOP) gibt, also ohne die bekannten Google-Dienste. Gegenüber auto-motor-und-sport.de betont Cariad, dass es nicht möglich sein wird, sich in den PPE-Autos mit einem Google-Account anzumelden. Für den Zugang zur Android-Automotive-Welt von Volkswagen wird man einen VW-Account brauchen. Wichtigster Vorteil für Nutzer: Der App-Store, über den neue Funktionen ins Fahrzeug kommen können, soll zwar laut Volkswagen ebenfalls unabhängig von Google sein, wird sich aber durch die Android-Verwandtschaft schnell mit kompatiblen Apps füllen. Wer also unbedingt mit Google Maps navigieren will, kann sich den Google-Pfadfinder dann wahrscheinlich aus dem VW-Store ins Auto holen. Trotzdem wird auch in der Version 1.2 noch nicht das fertige VW.OS zum Einsatz kommen.

VW.OS (Software 2.0) kommt später

Dafür braucht es ab 2030 dann die Version 2.0. Die sollte ursprünglich 2025 mit dem Audi-Langstrecken-Elektroauto Artemis (“Landjet”) debütieren und kurz danach auch im entsprechenden VW-Projekt Trinity. Doch diesen Schritt, inklusive Rollout auf jedes neue Konzernmodell vom kleinen Mini-Elektroauto bis zum Luxus-Reisewagen, schiebt der neue VW-Chef Blume jetzt um fünf Jahre nach hinten. Parallel entwickelt VW übrigens auch eine neue Einheits-Plattform, die SSP genannt wird und auch die kommt voraussichtlich erst 2028 statt wie geplant 2025.

Wichtig zu wissen: Auch das finale VW.OS ist kein “eigenes Betriebssystem”, sondern bildet lediglich die Klammer um verschiedene Betriebssystem (QNX, Linux, Android Automotive, Auto-SAR). Der entscheidende Schritt passiert dabei vor allem auf Seiten der Hardware. Statt zwei Zentralrechnern (1.1) oder fünf HPC (1.2) wird mit der Version 2.0 alles in einer zentralen Einheit zusammengefasst. Die dort versammelte mehrfach-redundante Rechenleistung wird es möglich machen, komplexe Bildverarbeitungsprozesse aus der Cloud zurück ins Auto zu holen und damit das autonome Fahren nach Level 4 überhaupt erst möglich machen. Ob man die Autonomie-Funktion dann tatsächlich stundenweise buchen kann, bleibt abzuwarten.

Apropos Autonomie – auch hier krempelt Blume die Planung seines Vorgängers um. Ursprünglich war Audi mit der prestigeträchtigen Entwicklungsarbeit betraut. Entsprechend ungehalten soll sich laut eines Artikels im Handelsblatt Audi-Chef Markus Duessmann gezeigt haben, als er davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass der Themenkomplex “Autonomes Fahren” zu Volkswagen Nutzfahrzeug abwandert. Vom Einsatz in kleinen Bus-Shuttles verspricht sich Blume mehr Erfolg als mit der Verwendung in hochpreisigen Premium-Fahrzeugen.

In der neuen VW.OS-Welt ebenso möglich: der sogenannte Shadow-Mode. Dabei erzeugt der Hochleistungsrechner im Auto einen virtuellen Zwilling des Fahrzeugs und berechnet für den Doppelgänger ständig alle realen Fahrsituationen, erkennt Reaktionen der anderen Verkehrsteilnehmer, vergleicht sie mit der automobilen Wirklichkeit und trainiert damit die autonomen Fahrfunktionen. Die Lernerfolge fließen dann regelmäßig in Updates für die gesamte Flotte mit ein. Eine Strategie, die praktisch überall zum Einsatz kommt, wo am autonomem Fahren geforscht wird. Tesla hat bislang als einziger Hersteller entsprechend leistungsfähige Serienmodelle auf der Straße.

Kompatibilität mitgedacht

Noch ein Wort zur aufwändigen und teuren Dreifach-Arbeit (1.1, 1.2 und 2.0): Updates zwischen den Systemen (und damit auch den Fahrzeug-Plattformen) sind ausgeschlossen. Sprich: Wer in einem VW ID.3 sitzt, hat keine Chance, das “echte” VW.OS und die Version 2.0 ins Auto zu holen. Aber, und das ist den Cariad-Entwicklern wichtig: Viele der neuen Funktionen und Verbesserungen, die zum Beispiel für die Version 2.0 entwickelt werden, kommen mit etwas Verzögerung auch in die 1.1-, bzw. 1.2-Autos.

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