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Amtsgericht Wiesbaden: Einsprüche gegen Fahrverbote meist aussichtslos

amtsgericht wiesbaden: einsprüche gegen fahrverbote meist aussichtslos

Das Justizzentrum in Wiesbaden.

Seit das Land Hessen bei der Verkehrsüberwachung vermehrt auf flexibel aufstellbare Autoanhänger mit autonomen mobilen Blitzern, sogenannte Enforcement Trailer, setzt und seit der Strafkatalog weiter verschärft wurde, werden mehr Bußgelder und häufiger befristete Fahrverbote gegen Raser verhängt. Die Folge spürt das Amtsgericht Wiesbaden durch eine sich aufbauende Welle von Klagen gegen Bußgeldbescheide.

Strafrichterin Claudia Dirlenbach stört sich vor allem daran, dass national tätige Anwaltskanzleien im Internet bei den Verkehrssündern mit ihrer „nicht seriösen“ Werbung den Eindruck erwecken, rechtliche Einsprüche gegen Fahrverbote seien aussichtsreich. Das Gegenteil ist laut Dirlenbach der Fall. Die Einsprüche seien in aller Regel aussichtslos, und in mehr als 90 Prozent der Fälle werde der Bußgeldbescheid bestätigt.

Das Oberlandesgericht Frankfurt stärke den Amtsgerichten bei diesen Entscheidungen den Rücken, sagte Dirlenbach. Das bedeutet, dass der Fahrer trotz seines Einspruchs zeitweise auf den Führerschein verzichten müsse, der Anwalt aber sein Honorar direkt oder über die Rechtsschutzversicherung erhalte.

„Nahtloses Nachbesetzen“ und keine Sorge vor Personalengpässen

„Ein Fahrverbot hinterlässt einen tieferen Eindruck als höhere Geldstrafen“, sagt ihre Richterkollegin Doris von Werder. Die 54 Richter des Amtsgerichts werden sich daher weiter mit Ordnungswidrigkeiten und ihren Folgen beschäftigen müssen. Die Zahl dieser Verfahren wird sich nach den Erwartungen von Amtsgerichtspräsident Helmut Vogt seit 2018 von 3015 auf mehr als 6000 bis zum Jahresende 2024 verdoppelt haben.

Nicht nur in diesen Verfahren sehen die Richter eine Tendenz zu abnehmendem Respekt gegenüber den Gerichten. Angeklagte erschienen unentschuldigt nicht zu Verhandlungen, Rechtsanwälte kämen zu spät, Zeugen fielen durch ein „massiv ablehnendes Verhalten“ auf, so Richterin Werder.

Sie geht in ihrem Richteralltag am Justizzentrum Wiesbaden inzwischen davon aus, dass von zehn geladenen Zeugen zu einer anberaumten Verhandlung nur acht erscheinen. Hinzu komme vor allem von nicht in Wiesbaden ansässigen Rechtsanwälten eine Strategie der „Konfliktverteidigung“, die unter anderem in einer Flut von Beweisanträgen und sehr häufig auch von Befangenheitsanträgen mündeten, obwohl Letztere von der zuständigen Richterin Dirlenbach „zu 99 Prozent“ abgelehnt würden.

Insgesamt sieht sich das Amtsgericht für die Bewältigung seiner Aufgaben personell gut aufgestellt. Unter den 315 Mitarbeitern sind 45 Rechtspfleger und 19 Gerichtsvollzieher. Es gebe bislang ein „nahtloses Nachbesetzen“ frei werdender Richterstellen, lobt der seit zwei Jahren amtierende Gerichtspräsident Vogt. Das liege unter anderem an dem guten Ruf, den das Wiesbadener Amtsgericht im Rhein-Main-Gebiet unter den Berufsanfängern habe. Der aktuelle Zuwachs der Kriminalität werde die Justiz wohl erst mit Verzögerung erreichen.

Zunahme „nicht erziehungsgeeigneter“ Eltern beobachtet

Als zunehmende Belastung empfinden vor allem die in Familien-, Jugend- und Strafsachen eingesetzten Richter den allmählichen Anstieg der Kinderschutzverfahren, bei denen es darum gehe, über Auflagen für die Eltern bis hin zum Kindesentzug und der „Inobhutnahme“ durch eine Pflegefamilie zu entscheiden. Seit 2017 sind die Sorgerechtsverfahren von 555 auf zuletzt 694 (2023) gestiegen.

Familien- und Strafrichterin Werder sieht eine Zunahme „nicht erziehungsgeeigneter“ Eltern. Ebenso wie ihre Kollegin beklagt sie einen massiven „Medienmissbrauch“ von Kindern und Jugendlichen zu Hause. Beide Richterinnen ziehen aus ihren Verfahren die Erkenntnis, dass sich häusliche Gewalt „fortpflanzt“. In den Biographien junger Straftäter sei sehr häufig in früher Jugend „etwas nicht gut gelaufen“. Der Staat müsse auf diesem Feld dringend mehr investieren.

Skeptisch äußerte sich Werder im Hinblick auf die Kindergrundsicherung. Sie hielte es für wirksamer, mehr Geld für Betreuung und Personal auszugeben. Richterin Dirlenbach hält geschlossene „Haftvermeidungs-Einrichtungen“ für nötig, die eine psychologische Therapie bieten könnten. Solche geschlossenen Einrichtungen seien nötig, um die Kinder nicht zurück in überforderte Elternhäuser geben zu müssen. Familienrichter seien zunehmend mit Verwahrlosung und Verrohung „empathieloser“ Kinder mit erhöhter Gewaltbereitschaft konfrontiert.

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